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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Säugetiere (Fortpflanzung, Lebensweise, Verbreitung)

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Säugetiere (Fortpflanzung, Lebensweise, Verbreitung).

ausmündet. Die Hoden der männlichen Tiere bleiben bei den Walen und Kloakentieren (wie bei Vögeln und Reptilien) in der Bauchhöhle; gewöhnlich jedoch treten sie durch den Leistenkanal hervor und in eine doppelte, zum Hodensack umgestaltete Hautfalte ein, welche den großen Schamlippen des weiblichen Geschlechts entspricht; hier liegen sie entweder stets, oder begeben sich, wie bei manchen Nagetieren, Insektenfressern etc., nach der Brunstzeit wieder in die Bauchhöhle zurück. Die Ausführungsgänge der Hoden gestalten sich zu den Nebenhoden und führen in die beiden Samenleiter, welche in die Harnröhre einmünden. An dieser Stelle münden in die Samenleiter die Ausführungsgänge der Vorsteherdrüse. Dem Ende der Harnröhre schließt sich als Begattungsorgan die Rute (Penis) an, welche durch Blutandrang in besondern, ihr angehörigen sogen. Schwellkörpern anschwellen und sich steifen kann; bisweilen sind in ihr auch knorpelige oder auch knöcherne Stützen (Penisknochen, bei Raub- und Nagetieren) vorhanden. Die Spitze der Rute, die sogen. Eichel, ist sehr verschieden geformt und kann vielfach in eine besondere, drüsenreiche Hautfalte zurückgezogen werden; bei den Kloakentieren und einigen Beuteltieren ist sie gespalten. Die Eierstöcke sind nur bei den Kloakentieren denen der Vögel gleichgestaltet, d. h. traubig und links verkümmert, bei allen übrigen Säugetieren beiderseits gleichmäßig entwickelt und kompakt. Die Ausführungsgänge bestehen aus den beiden paaren Eileitern, welche entweder jeder für sich zu einem Uterus (Gebärmutter) anschwellen und darauf völlig getrennt in je eine Scheide ausmünden (so bei den Beuteltieren), oder zwar nur eine gemeinschaftliche Scheide, aber zwei Uteri (bei Nagetieren) oder endlich auch nur einen gemeinschaftlichen Uterus besitzen (s. im einzelnen Gebärmutter). Die äußern Geschlechtsteile werden durch zwei Hautwülste (große Schamlippen), zwei kleine innere Schamlippen und durch die der Rute gleichwertige Klitoris gebildet. Letztere kann zuweilen eine ansehnliche Größe erreichen und, von der Harnröhre durchbohrt, selbst zur Ableitung des Harns benutzt werden. Die Geschlechter werden in der Regel leicht an der verschiedenen Form der äußern Genitalien erkannt; häufig ist das Männchen größer, besitzt abweichenden Haarwuchs, lautere Stimme, stärkere Zähne, auch wohl Geweihe. Dagegen bleiben die Milchdrüsen, welche in der Weichengegend, am Bauch oder an der Brust liegen können und fast stets in Zitzen oder Saugwarzen auslaufen, beim männlichen Geschlecht verkümmert und geben nur ausnahmsweise Milch.

Fortpflanzung. Lebensweise.

Die Zeit der Fortpflanzung (Brunst) fällt bei den Säugetieren meist in das Frühjahr; in den wärmern Klimaten und bei den größern Haussäugetieren knüpft sich die Brunst weniger an eine bestimmte Jahreszeit, sondern wiederholt sich (analog der Menstruation beim Menschen) in Zwischenräumen von einigen Wochen. Unabhängig von der Begattung erfolgt gegen Ende der Brunst der Austritt eines oder mehrerer Eier aus dem Eierstock, welche, wie es scheint, im Eileiter befruchtet werden. Nur die Kloakentiere (s. d.) legen die Eier gleich den Vögeln ab, bei allen übrigen Säugetieren jedoch tritt das Ei (von 0,1-0,2 mm Durchmesser) in die Gebärmutter und entwickelt sich hier in verschiedener Weise. Wenn im Embryo sich der Darm gebildet hat, so wächst aus seinem Hinterende eine Blase, die Allantois, hervor und gewinnt, indem sich viele Blutgefäße in ihr verzweigen, für den Embryo eine große Bedeutung. Bei den Beuteltieren ist sie klein und reicht nicht bis zur Wand der Gebärmutter, so daß ihre Gefäße nicht mit denen der letztern zum sogen. Mutterkuchen (Placenta) in Verbindung treten können. Bei allen übrigen Säugetieren hingegen dehnt sich die Allantois bis zur Uteruswand aus, und die in beiden Gebilden enthaltenen Gefäße legen sich innig aneinander, wodurch ein Stoffwechsel zwischen dem Blute des Muttertiers und des Embryos eintritt. Bei der Geburt löst sich alsdann entweder die Allantois glatt los, oder es wird auch ein Teil der Uteruswand als sogen. Nachgeburt mit ausgestoßen. Hiernach und nach der Verbreitung des Mutterkuchens um den Embryo herum werden neuerdings die S. in mehrere große Gruppen zerlegt (s. unten). Die Dauer der Trächtigkeit steht einerseits im Verhältnis zur Körpergröße und richtet sich anderseits nach der Entwickelungsstufe, in welcher die Jungen zur Welt kommen. Am längsten währt sie bei den großen Land- und kolossalen Wasserbewohnern, am kürzesten bei den Beuteltieren, bei denen die frühzeitig gebornen Jungen an den Zitzen, in einer von Hautfalten gebildeten Tasche hängend, erst ihre Ausbildung erlangen. Die Zahl der geworfenen Jungen schwankt zwischen 1 und 12, doch kommen abnorm auch 24 Junge auf einen Wurf vor. Die großen S., welche länger als sechs Monate tragen, gebären in der Regel nur ein Junges. Meist deutet die Zitzenzahl des Muttertiers auf die größere oder geringere Menge der Jungen hin, welche durchweg nach der Geburt längere oder kürzere Zeit an den Zitzen der Milchdrüsen gesäugt werden.

Die Wale, Seekühe und Robben sind Wasserbewohner und zwar mit wenigen Ausnahmen ausschließlich auf das Meer angewiesen; alle übrigen S. leben auf dem Land. Manche hausen einsiedlerisch in bestimmten Jagdrevieren und nur zur Zeit der Brunst paarweise, andre leben gesellig, oft unter Schutz und Führung der ältesten und stärksten Männchen; die erstern leben in Monogamie, die geselligen in Polygamie. Weitaus die meisten S. suchen am Tag Nahrung und ruhen nachts; doch gibt es in allen Ordnungen, und in manchen vorherrschend, Nachttiere, die erst in der Dämmerung und Nacht aus ihren Schlupfwinkeln hervorkommen. Einige Nager, Insektenfresser und Raubtiere verfallen während der kalten Jahreszeit in ihren oft sorgfältig geschützten Schlupfwinkeln und ausgepolsterten Erdbauten in einen unterbrochenen (Bär, Dachs, Fledermaus) oder andauernden (Siebenschläfer, Haselmaus, Igel, Murmeltier) Winterschlaf. Regelmäßige Wanderungen, wenn auch nicht den Zügen der Vögel vergleichbar, unternehmen das Renntier, südamerikanische Antilopen, der nordamerikanische Büffel, Seehunde, Wale, Fledermäuse und besonders der Lemming. Eigentliche Kunsttriebe sind bei Säugetieren selten zu beobachten, doch erreichen im Einklang mit der Größe des Gehirns die Geisteskräfte in einzelnen Fällen eine sehr hohe und beim Menschen überhaupt die höchste bekannte Stufe. Viele S. legen geräumige Gänge und kunstvolle Bauten über und in der Erde an, und fast alle bauen für die Nachkommen besondere, oft mit weichen Stoffen überkleidete Lager, einige sogar wahre Nester, ähnlich denen der Vögel. Zahlreiche Bewohner von Gängen und Höhlungen tragen Wintervorräte ein.

Verbreitung. Einteilung.

Man kennt gegen 3500 Arten S., etwa 900 fossile und 2600 lebende; während in den ältern Schichten mehr Pflanzen- als Fleischfresser vorkommen, halten sich jetzt beide Gruppen ziemlich das Gleichgewicht. S. sind über die ganze Erde verbreitet, doch nimmt die Zahl der Gattungen und Arten nach den Polen