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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Schiller

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Schiller (1796-1804).

Reihe von Epigrammen, welche unter dem Namen "Xenien" in Schillers "Musenalmanach" für 1797 erschienen und wie "mordbrennerische Füchse" in die Saatfelder der litterarischen Philister von rechts und links brachen. Die Anregung war von Goethe ausgegangen, die Ausführung des Plans eine durchaus gemeinsame, obschon S. den stärksten und treffendsten Ton anschlug, der Erfolg ein ungeheurer. Zahllose Entgegnungen mehr grober und erboster als witziger Art verrieten, wie tief die Pfeile ins Fleisch gedrungen waren. Es galt nun für die Freunde als nächste wohlverstandene Aufgabe, nach der heiter-derben kritischen Negation durch positive Leistungen der Nation zu zeigen, wie ernsthaft ihnen die echte Kunst am Herzen lag. Im Frühling 1797 hatte sich S. ein in freundlichem Garten gelegenes Häuschen gekauft, in dessen Räumen der froh gestimmte Dichter neue Schaffenslust empfing und während der nächsten Zeit eine große Zahl seiner vorzüglichsten Balladen ("Taucher", "Ring des Polykrates", "Kraniche des Ibycus" etc.) und den "Wallenstein" schuf. Letzterer, unter Schillers dramatischen Werken ohne Frage das größte und vollendetste, wurde im Frühling 1799 mit "Wallensteins Tod" abgeschlossen. Das "Lager" ging im Oktober 1798, "Die Piccolomini" 30. Jan. 1799, "Wallensteins Tod" 20. April zuerst zu Weimar in Szene. Der Beifall war bei der völligen Neuheit der Erscheinung, der Breite des gewaltigen, inhaltreichen Werkes anfänglich ein geteilter; aber mit "Wallensteins Tod" steigerte er sich zum Enthusiasmus, und einer jener in der Litteratur seltenen Momente, wo der ganze Wert einer großen Dichtung von den Massen der Durchschnittsbildung augenblicklich empfunden wird, trat ein. Die ersten Auflagen der erschienenen Trilogie fanden, wie aus Cottas Briefen erhellt, reißenden Abgang. S. beschloß jetzt, sich ausschließlich der dramatischen Dichtung wieder zuzuwenden, und gab sogar seit 1800 die Herausgabe des "Musenalmanachs" auf. Schon im April 1799 hatte er die Bearbeitung eines neuen tragischen Stoffes begonnen. Die Geschichte der "Maria Stuart" hatte sich ihm schon früher als dankbare Aufgabe geboten; die Ausführung seines Gedichts wurde zwar durch die Entwürfe zu den "Maltesern" und dem "Warbek" zeitweilig unterbrochen, war aber gleichwohl im Juni 1800, während S. im Schloß zu Ettersburg Villeggiatur hielt, beendigt worden. Das Stück gehört zu den bühnenwirksamsten Schillers, und sein künstlerisches Prinzip, die freibeweglich gewordene dramatische Dichtung wiederum einer strengern Stileinheit zu nähern, tritt in demselben entscheidend hervor. Inzwischen war S., hauptsächlich um dem realen Theater näher zu sein, nachdem der Herzog ihm seinen Gehalt auf 400 Thlr. erhöht hatte, im Dezember 1799 nach Weimar übergesiedelt. Die letzte Zeit in Jena war durch eine schwere Krankheit seiner Frau, die ihm 11. Okt. das dritte Kind, nach zwei Söhnen die erste Tochter, geboren hatte, sorgenvoll gewesen; das neue Leben am neuen Ort ließ sich dagegen heiter und freundlich an. In den ersten Monaten des Jahrs 1800 unternahm S. eine Bühnenbearbeitung des Shakespeareschen "Macbeth", welche nach der Seite der theatralischen Brauchbarkeit nichts zu wünschen übrig ließ, wenn schon sie dem britischen Dramatiker durch das Schillersche Stilprinzip stellenweise Gewalt anthat. Im Juli entschied sich S. für die Dramatisierung der Geschichte der Jeanne d'Arc. Mit der Ausführung dieser wunderbar farbenreichen, vom höchsten Schwung des Schillerschen Pathos getragenen Tragödie, welche die Darstellung des Glaubens und des Wunders in die moderne Poesie wieder hereinzog, näherte sich S. der Welt der Romantiker, mit denen er persönlich verfeindet war. Gleichwohl wirkten auch hier die rein menschlichen Seiten der Charakteristik, die Freiheitsstimmung, welche tendenzlos, aber aus tiefster Seele und unbewußter Vorahnung des Dichters quoll, am stärksten. Dazu stand S. in der "Jungfrau" auf jener Höhe theatralischer Kunst, wo der Künstler seines Effekts und Erfolgs in jeder einzelnen Szene gewiß wird. Im April 1801 war die "Jungfrau von Orléans" vollendet: die Aufführung in Weimar unterblieb jedoch zunächst, weil der Herzog Bedenken trug. Erst im September sah der Dichter zu Leipzig, wohin ihn die Rückreise von einem längern Besuch bei Körner in Dresden geführt hatte, sein Stück auf den Brettern. Dem Bedürfnis des weimarischen Theaters zuliebe bearbeitete S. im Spätherbst 1801 Gozzis Märchenkomödie "Turandot". Daneben gab das gesellige Leben der Ilmstadt mannigfache Anregung zur Produktion. In einer von Goethe zusammengebrachten Wochengesellschaft, dem sogen. Mittwochskränzchen, ertönten zuerst Schillers Lieder: "Die vier Weltalter", "Die Gunst des Augenblicks" und "An die Freunde". Eine von Kotzebue angesponnene Intrige, welche die beiden großen Freunde entzweien sollte, scheiterte gänzlich. Im Februar 1802 hatte sich S. in Weimar ein Heimwesen erstanden. In das von dem Engländer Mellish erkaufte bürgerliche, an der Esplanade gelegene Haus kam im November, ohne Schillers Zuthun, ein Adelsbrief. Der Herzog hatte dem Dichter eine Freude machen und zugleich, ohne andre zu verletzen, S. und seiner Gattin den freiesten Verkehr mit dem weimarischen Hof ermöglichen wollen. In den Jahresübergang von 1802 zu 1803 fällt die Beendigung der "Braut von Messina". Der Versuch, den S. in dieser Dichtung, welche in sprachlicher Hinsicht wohl als seine vollendetste und prächtigste bezeichnet werden darf, gemacht hat, um den antiken Chor unserm Drama zu restituieren, blieb ein vereinzeltes Experiment und bezeichnete den Höhepunkt der antikisierenden Sinnes- und Kunstrichtung, der sich S. und Goethe eine Zeitlang gemeinsam hingegeben hatten. Trotzdem hatte die Aufführung in Weimar glänzende Wirkung. Zur Erholung von der strengen Arbeit des tragischen Schaffens bearbeitete S. unmittelbar nach Beendigung der "Braut von Messina" zwei französische Lustspiele: "Der Parasit" und "Der Neffe als Onkel"; dann aber wendete er sich wieder "zu dem großen Problem, von welchem all sein Denken und Dichten ausgegangen war, - zu dem Problem sittlicher Menschenwürde und staatsbürgerlicher Freiheit". Schon im September 1802 hatte er die Geschichte von "Wilhelm Tell" als dramatischen Stoff ins Auge gefaßt und Tschudis "Schweizerchronik" zu studieren angefangen. Im Februar 1804 war das Gedicht beendet, an naturalistischer Wahrheit, nationaler Schwungkraft in Gedanken und Handlung Schillers meisterlichstes Werk, wie große Ausstellungen auch in Bezug auf die dramatische Charakteristik, besonders des Helden, von der Kritik dagegen erhoben worden sind. Die Wirkung des "Tell" auf den Bühnen übertraf daher auch die aller vorangegangenen dramatischen Dichtungen Schillers. Kaum hatte S. die neue dichterische Großthat vollbracht, als er sich schon zu einer andern wendete. Im März 1804 wurde der Plan zu "Demetrius" entworfen. Doch entführte bereits im April eine mit der Frau und den beiden ältesten Kindern unternommene Reise nach Berlin, wohin Iffland dringend eingeladen hatte, den Dichter der neu begonnenen Arbeit. In Berlin