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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Schleswig-Holstein

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Schleswig-Holstein (Geschichte 1852-1863).

Die dänische Gewaltherrschaft.

Dieser schmähliche Ausgang der schleswig-holsteinischen Erhebung, die zugleich als eine nationaldeutsche Sache angesehen worden war, erregte in Deutschland zugleich Erbitterung und Beschämung. Wenn auch die Hauptschuld auf Preußen fiel, dessen König die preußische Macht umso weniger für S. einzusetzen geneigt war, als er im Grunde dessen Erhebung als revolutionär verabscheute, so war doch auch der Mangel einer einheitlichen Organisation Deutschlands Ursache der deutschen Niederlage gewesen, und das unglückliche Schicksal Schleswig-Holsteins bildete fortan einen Stachel, der das deutsche Nationalbewußtsein weckte und reizte. Es erschien als eine unauslöschliche Schande für das ganze deutsche Volk, daß es zusehen mußte, wie die Dänen in S. hausten. Sie betrachteten dasselbe als erobertes Land, das durch seine "Rebellion" alle seine Rechte verwirkt habe. Eine Menge von Beamten, auch acht Kieler Professoren, wurden verjagt; das ganze reiche Kriegsmaterial wurde als Siegesbeute nach Dänemark geschafft, den entlassenen Offizieren und Mannschaften jede Pension verweigert. Jedes Herzogtum erhielt durch Erlaß vom 28. Jan. 1852 besondere Minister und Landstände. Diesen, die für Schleswig in Flensburg, für Holstein in Itzehoe zusammentraten, wurden im Oktober 1853 die Entwürfe der neuen Provinzialverfassungen vorgelegt; danach bildete Schleswig ein unzertrennliches Glied des dänischen Reichs, Holstein einen selbständigen Teil der dänischen Monarchie, der mit derselben durch das Thronfolgegesetz vom 31. Juli 1853 auf immer vereinigt sei. Obwohl beide Entwürfe von den Ständen verworfen wurden, wurden sie doch als gültige Verfassungen für Schleswig 15. Febr., für Holstein 11. Juni 1854 publiziert. Ebenso wurde die vom dänischen Reichstag beschlossene Gesamtstaatsverfassung den Herzogtümern 26. Juli 1854 ohne weiteres aufgedrungen. In dem gemeinschaftlichen Reichsrat war S. zur Minderheit verurteilt; bei der Steuerbewilligung und der Feststellung des Staatshaushalts waren seine Interessen nicht gewahrt, seine Domänen wurden für den Gesamtstaat in Anspruch genommen. Armee und Flotte, Zoll, Post, Münze etc. waren fortan dänisch. Zwischen Schleswig und Holstein dagegen wurden möglichst viele Schranken aufgerichtet, das gemeinschaftliche Oberappellationsgericht in Kiel aufgehoben. In Nordschleswig oder "Südjütland" wurden die deutschen Geistlichen und Lehrer durch Dänen ersetzt und das Dänische als Kirchen- und Schulsprache rein deutschen Gemeinden aufgedrängt. Unter dem Beifall des dänischen Volkes, besonders der Bevölkerung Kopenhagens, unterdrückten die dänischen Beamten, geschützt durch dänisches Militär, mit kleinlichem Haß jede Regung deutschen Nationalbewußtseins und erstickten jeden "Schmerzensschrei des verlassenen Bruderstammes".

Indes die Herzogtümer wahrten mit männlicher Festigkeit ihre Rechte. Im dänischen Reichsrat verlangten 1856 elf deutsche Mitglieder, an ihrer Spitze Scheel-Plessen, daß die Gesamtstaatsverfassung den Ständen der Herzogtümer vorgelegt werde, und als diese Forderung von den Dänen zurückgewiesen ward, protestierten sie gegen die Gültigkeit der Verfassung. Dies veranlaßte Österreich und Preußen, bei Dänemark die 1851 und 1852 eingegangenen Verpflichtungen in Erinnerung zu bringen und nach längerm fruchtlosen Notenwechsel sich an den Deutschen Bund zu wenden. Dieser erklärte 11. Febr. 1858, daß die Gesamtstaatsverfassung sowie ein Teil der Provinzialverfassung für Holstein und Lauenburg nicht als rechtsgültig zu betrachten und zu beseitigen seien, weil sie mit den Grundsätzen des Bundesrechts und mit den Zusagen von 1851 und 1852 in Widerspruch ständen. Aber erst als der Bund mit Exekution drohte, wurde die Gesamtstaatsverfassung 6. Nov. 1858 für Holstein und Lauenburg außer Wirksamkeit gesetzt, jedoch zugleich erklärt, daß die Minister für Auswärtiges, Krieg, Marine und Finanzen auch in betreff Holsteins nur dem König verantwortlich seien. Es blieb daher der bisherige Zustand bestehen, nur daß Holstein und Lauenburg im Reichsrat gar nicht vertreten und Schleswig den Danisierungsgelüsten der eiderdänischen Partei erst recht preisgegeben war. Jeden Antrag auf Verständigung über eine neue Gesamtstaatsverfassung erwiderten die holsteinischen Stände mit der Forderung voller Selbständigkeit und dem Hinweis auf das alte Recht der Verbindung mit Schleswig, ohne deren Herstellung kein wahrer Friede in S. möglich sei. Unter diesen Umständen gab König Friedrich VII. den Gedanken einer im Interesse der Dynastie erwünschten Gesamtmonarchie auf und schloß sich ganz der eiderdänischen Partei an, die schon lange, um Schleswig völlig einverleiben zu können, vorgeschlagen hatte, Holstein aus dem Gesamtstaat auszuscheiden, aber durch Beschränkung der Stände Dänemark ganz dienstbar zu machen. Zu diesem Zweck schied eine königliche Bekanntmachung vom 30. März 1863 Holstein und Lauenburg aus dem Gesamtstaat aus und setzte die Rechte der holsteinischen Stände auf das geringste Maß herab. Dagegen wurde im Herbste dem Reichsrat der Entwurf einer eiderdänischen Verfassung vorgelegt und von diesem 13. Nov. angenommen, welcher Schleswig völlig mit Dänemark verschmolz. Gegen die Verordnung vom 30. März hatte der Bund indes Einspruch erhoben, ihre Zurücknahme gefordert und, als diese nicht erfolgte, 1. Okt. 1863 die Exekution in Holstein und Lauenburg beschlossen.

Der deutsch-dänische Krieg.

Da starb 15. Nov. 1863 König Friedrich VII., und mit ihm erlosch die königliche Linie des Hauses Oldenburg. Dem Londoner Protokoll gemäß folgte Christian von Glücksburg als Christian IX. auf dem Thron. In den Herzogtümern, welche das Londoner Protokoll nie anerkannt hatten, wurde aber nicht er als rechtmäßiger Erbe angesehen, sondern der Prinz Friedrich von Augustenburg, dessen Vater, Herzog Christian, zwar beim Verkauf seiner Güter an Dänemark sich verpflichtet hatte, nichts gegen das Londoner Protokoll zu unternehmen, der selbst aber nie seine Zustimmung hierzu gegeben hatte. Prinz Friedrich erklärte also 19. Nov. seinen Regierungsantritt als Herzog Friedrich VIII. von S., und dieser Akt wurde nicht bloß in S., sondern in ganz Deutschland mit Jubel begrüßt, da durch die Anerkennung des augustenburgischen Erbrechts S. von Dänemark getrennt und dem Deutschtum gerettet wurde. Der Bundestag, an welchen sich Friedrich VIII. um Anerkennung seines Rechts wandte, während der dänische Gesandte seine neue Vollmacht für Christian VIII. vorlegte, beschloß die einstweilige Suspension der holstein-lauenburgischen Stimme und 7. Dez. die Ausführung der Bundesexekution. Auf die Ankündigung derselben (12. Dez.) befahl die dänische Regierung die Räumung Holsteins durch ihre Truppen, und 23. Dez. rückten 12,000 Sachsen und Hannoveraner unter dem sächsischen General Hake in Holstein ein. Kaum waren die Dänen abgezogen, als Herzog Friedrich überall als Landesherr ausgerufen und von einer großen Volksversammlung in Elmshorn 27. Dez.