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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Schweiz

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Schweiz (Geschichte 1574-1798).

Einwohner ausgetrieben. Aufs eifrigste schlossen sich die katholischen Orte den gegenreformatorischen Bestrebungen an; 1574 nahm Luzern die Jesuiten und 1579 einen ständigen Nunzius bei sich auf, und 5. Okt. 1586 schlossen die fünf Orte nebst Freiburg und Solothurn den "goldenen" oder "Borromeischen Bund", wie er zu Ehren des bekehrungseifrigen Kardinal Carlo Borromeo genannt wurde; der Vertrag verpflichtete die Mitglieder, sich gegenseitig, nötigen Falls mit den Waffen, beim alten Glauben zu erhalten. Damit war die Eidgenossenschaft so gut wie gesprengt; die katholischen Orte hielten ihre Tagsatzungen zu Luzern, die reformierten in Aarau, und die gemeinen Herrschaften waren das einzige Band, das die beiden Parteien noch zusammenhielt. 1587 folgte ein Bund von sechs katholischen Orten mit Philipp II. von Spanien, und der sich immer steigernde Religionsfanatismus führte 1597 zur Trennung des Kantons Appenzell in die katholischen innern und die reformierten äußern Roden. Mehr als einmal wurde der Bürgerkrieg nur durch Frankreich abgewendet, das jeden thätlichen Konflikt zwischen den Eidgenossen zu verhindern suchte, um nicht in seinen Werbungen beeinträchtigt zu werden. Schweizerische Soldtruppen nahmen an den Hugenottenkriegen in beiden Lagern hervorragenden Anteil, vornehmlich aber auf seiten der katholischen Liga, und die Schweizergarde des Herzogs von Anjou war in der Pariser Bluthochzeit thätig. Während des Dreißigjährigen Kriegs verhielt sich die S. neutral, konnte jedoch die Neutralität nicht unbedingt aufrecht erhalten. Die katholischen Orte gewährten spanischen, Zürich schwedischen Truppen den Durchzug; Graubünden wurde infolge wilder Parteikämpfe der Tummelplatz der fremden Mächte und, von den unter sich zwiespältigen Eidgenossen preisgegeben, nur durch die Verschlagenheit Georg Jenatsch' (s. d.) gerettet, der zuerst 1635 mit Hilfe der Franzosen die Österreicher und dann 1637 mit Hilfe der Spanier die Franzosen zum Abzug zwang. Wiederholte Versuche des Reichskammergerichts, seinen Gerichtszwang auf Basel und Mülhausen auszudehnen, veranlaßten die evangelischen Orte Ende 1646, den Baseler Bürgermeister Rudolf Wettstein nach Münster zu senden, wo derselbe, unterstützt von Frankreich und Schweden, die Anerkennung der Souveränität der S. durch den Westfälischen Frieden durchsetzte.

Umwälzungen in der Revolutionszeit.

In der Zeit zwischen dem Westfälischen Frieden und der französischen Revolution genoß die S. völlige Ruhe nach außen, und auch im Innern wurde sie selten gestört. Die Bedrückung des Landvolkes durch die Städte hatte 1653 einen Aufstand der Bauern Luzerns, Berns, Solothurns und Basels zur Folge, der aber rasch überwältigt wurde. 1656 brach ein neuer Religionskrieg aus, der mit einer großen Niederlage der Berner bei Villmergen (23. Jan.) endete. In einem neuen Religionskrieg jedoch, welcher anläßlich eines Streits zwischen dem Abt von St. Gallen und seinen reformierten Unterthanen in Toggenburg entstand, wurden die katholischen Orte in der zweiten Schlacht bei Villmergen 25. Juli 1712 von den Bernern völlig geschlagen und im Frieden von Aarau (11. Aug.) von der Mitherrschaft der Vogtei Baden und des untern Freiamtes ausgeschlossen. Damit ging das Übergewicht von den katholischen Orten, die es seit der Schlacht bei Kappel 1531 besessen hatten, auf die evangelischen über. Wie die unterthänigen Landschaften von den herrschenden Kantonen mit rücksichtsloser Selbstsucht regiert wurden, so riß auch in den Kantonen eine Anzahl altgesessener Familien die Herrschaft an sich; in einigen, wie in Bern, Luzern, Freiburg und Solothurn, waren diese Oligarchien, sogen. Patriziate, sogar gesetzlich anerkannt. In fast allen Kantonen suchte das Volk die oligarchische Herrschaft abzuschütteln, und es fanden im 18. Jahrh. heftige innere Kämpfe statt, die indessen überall mit dem Sieg der Oligarchen endeten und die Fortdauer zahlreicher veralteter Mißbräuche, wie Zensur, Zunftzwang, Feudallasten, ja hier und da selbst der Leibeigenschaft, zur Folge hatten. Trotzdem blühten Handel und Industrie auf, in der Ostschweiz die Baumwollenfabrikation, in Zürich und Basel die Seidenweberei, in der Westschweiz die Fabrikation von Uhren, und die Schweizer wurden allmählich aus einem Volk von Kriegern ein Industrie- und Handelsvolk. In geistiger Beziehung war das 18. Jahrh. die Blütezeit der S. Gelehrte, Schriftsteller und Künstler von europäischem Ruf, wie die Baseler Bernouilli und Euler, der Berner Albrecht v. Haller, die Züricher Bodmer, Breitinger, Lavater und Pestalozzi, der Schaffhauser Joh. v. Müller, die Genfer Bonnet, de Saussure, Rousseau u. a., verliehen ihr einen geistigen Glanz, der das gesunkene politische Ansehen ersetzte.

Schon vor dem Ausbruch der französischen Revolution hatte die "helvetische Gesellschaft", eine 1762 gestiftete Vereinigung aller hervorragenden deutschen und französischen Schweizer zu jährlichen Zusammenkünften, die politische Wiedergeburt der S. im Sinn größerer Einheit und Freiheit erstrebt. Der Ruf nach einer solchen wurde lauter, als die Bewegung in Frankreich begann. Aber hartnäckig wiesen die Regierungen jede Konzession von der Hand; noch 1795 wurde ein Versuch der Landgemeinden am Zürichsee, ihre alten verbrieften Rechte wiederzuerlangen, mit Einkerkerung ihrer Führer bestraft. Die revolutionäre französische Regierung legte sich daher gegen die S. keine Rücksichten auf und verleibte im März 1793 das Pruntrut, das sich gegen den Bischof von Basel erhoben und als "raurakische Republik" konstituiert hatte, der französischen Republik ein. Der Waadtländer Laharpe und der Baseler Oberzunftmeister Peter Ochs riefen aber die französische Regierung auch zum Einschreiten in der S. selbst auf, um mit ihrer Hilfe sie nach den Grundsätzen der Revolution umzugestalten, und als Bonaparte 1797 für die geplante ägyptische Unternehmung Geld brauchte, beschloß das französische Direktorium die Zertrümmerung der bisherigen Eidgenossenschaft. Das Veltlin, Bormio und Chiavenna wurden im Oktober 1797 mit der Cisalpinischen Republik, im Dezember das Ergual (St. Immerthal) und das Münsterthal, im Januar 1798 Mülhausen und im April Genf mit der französischen Republik vereinigt. Gleichzeitig rückte ein französisches Heer in die zu Bern gehörige Waadt ein, die sich als unabhängige Lemanische Republik konstituierte. Jetzt stürzte in Basel, Solothurn, Luzern, Freiburg, Zürich und Schaffhausen das oligarchische Regiment von selbst zusammen, die gemeinen Vogteien und andern Unterthanenländer verwandelten sich in demokratische Freistaaten. Nur Bern hielt zäh am Alten fest und gab dadurch den Franzosen den erwünschten Vorwand zu bewaffnetem Einschreiten. Zwei französische Heere unter Brune und Schauenburg rückten in das Bernische ein, überwältigten den Widerstand der Berner Truppen bei Fraubrunnen und Grauholz und zwangen die Stadt 5. März zur Kapitulation; 41 Mill. Frank an barem Geld und Vorräten schleppten die Franzosen aus Bern weg. Am 22. März 1798 proklamierte Brune die eine und unteilbare Helve-^[folgende Seite]