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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Staatssekretär; Staatsservituten; Staatssozialismus; Staatsstreich; Staatsverbrechen

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Staatssekretär - Staatsverbrechen.

tem Kredit des Staats der Kurs über pari gestiegen, mithin Geld zu einem niedrigern Zins zu haben ist. Zur sichern Durchführung der genannten Maßregel ist es nötig, daß die Finanzverwaltung der Einwilligung der meisten Gläubiger gewiß ist und die nötigen Mittel bereit gehalten werden, um die erforderlichen Heimzahlungen vollständig bewirken zu können. Hierauf werden die Gläubiger öffentlich aufgefordert, ihren Willen zu erklären. Diejenigen, welche den neuen Bedingungen zustimmen, erhalten für die alten Obligationen, falls dieselben nicht nur einfach abgestempelt werden, neue mit entsprechenden Kouponbogen, die übrigen Schuldtitel werden gegen bar eingelöst. Meist wird, um die Gläubiger der Konversion geneigt zu stimmen, noch eine besondere Konversionsprämie in einem Prozentsatz der umzutauschenden Summe zugestanden. Solche Konversionen sind dann unmöglich, wenn der Staat sich an einen bestimmten Tilgungsplan gebunden hat oder die Kündigung überhaupt ausgeschlossen ist; sie werden unvorteilhaft, wenn das Anlehen zu einem zu niedrigen Nominalzinsfuß und damit auch zu niedrigem Kurs begeben worden ist. Die Zinsreduktionen werden oft mit der Konsolidation oder Schuldzusammenziehung verbunden, d. h. mit Operationen, durch welche mehrere Anlehen verschiedener Benennung und mit verschiedenen Nominalzinsfüßen in eine einzige mit nur einem Zinsfuß zusammen verbunden werden. Dieser Umstand hat dazu Veranlassung gegeben, daß die Worte Konversion, Zinsreduktion und Konsolidation oft als gleichbedeutend gebraucht werden. Die Konvertierung kann auch unter der Form der Arrosierung auftreten. Unter letzterer ist jede Nachzahlung zu verstehen, welche zu dem Zweck gemacht wird, um bereits bestehende Ansprüche behaupten zu können. So verlangte Österreich 1805 und 1809 Nachzahlungen von den Inhabern von Schuldscheinen, welche ihrer Forderungsrechte überhaupt nicht verlustig gehen wollten. Die Arrosierungsanlehen können jedoch auch den Charakter freier Übereinkunft behaupten. Steigt der Zinsfuß erheblich, während der Kurs vorhandener, zu niedrigem Nominalzinsfuß abgeschlossener Anlehen stark sinkt, so kann die Möglichkeit einer spätern Zinsreduktion und einer Tilgung dadurch geschaffen werden, daß der Nominalzinsfuß erhöht wird und zu dem Ende die Gläubiger zu Zahlungen aufgefordert werden. Gewaltsame Ermäßigung von Zins und Schuldsumme ohne Einverständnis der Gläubiger nennt man Staatsbankrott (s. d.).

In den meisten Ländern ist bei der gegebenen Lage der Finanzverwaltung (fortwährend steigende Ausgaben) an eine erfolgreiche Tilgung der Schulden nicht zu denken. Letztere sind vielmehr seit Ende vorigen Jahrhunderts stetig gestiegen. Eine genaue Vergleichung der Schulden verschiedener Länder und Zeiten ist zwar unmöglich; doch bieten die Zahlen nachfolgender Tabelle immerhin einen brauchbaren Inhalt für die Beurteilung im allgemeinen. Unter der Hauptsumme von 91,794 Mill. Mk. (für 1880) sind 6984 Mill. Mk. Eisenbahnschulden. Auf Deutschland allein entfallen davon 2700 Mill. Mk., so daß unter den Großstaaten Deutschland verhältnismäßig am günstigsten gestellt ist. Die Ausgaben für Verzinsung und Tilgung dere ^[richtig: der] Schuld waren in Millionen Mark 1885: in Frankreich 1067, England 591, Rußland 521, Italien 436, Österreich-Ungarn 372, Spanien 219, Vereinigte Staaten 201, Niederlande 58, Preußen 182, Bayern 51, Sachsen 31, Württemberg 17, Deutsches Reich 17.

Es betrugen die S. (in Millionen Mark) in:

Länder 1787 1816 1846 1874 1880

Frankreich 1500 1680 3300 18126 24798

Großbritannien 4800 16990 16080 15690 14834

Spanien 600 2250 3600 7200 10333

Italien 240 900 1200 7830 10006

Österreich-Ungarn 690 1800 2490 7290 7992

Rußland 600 2400 1800 6700 7211

Türkei - - - 2250 5727

Deutschland 240 1020 900 3150 4821

Portugal 60 240 480 2160 1745

Belgien - - 450 564 1633

Niederlande 1500 2700 2400 1520 1579

Rumänien - - - 120 377

Griechenland - - 120 212 277

Schweden 18 24 30 144 220

Dänemark 46 108 330 270 194

Serbien - - - - 28

Norwegen - 26 16 40 17

Zusammen: 10294 30058 33196 75266 91794

Regelmäßige Angaben über die S. aller Länder der Erde liefert das "Diplomatisch-statistische Jahrbuch des Gothaischen Hofkalenders". Vgl. Nebenius, Der öffentliche Kredit (2. Aufl., Karlsr. 1829); Baumstark, Staatswissenschaftliche Versuche über Staatskredit, Steuern und Staatspapiere (Heidelb. 1833); Hock, Die öffentlichen Abgaben und Schulden (Stuttg. 1863); Eug. Richter, Das preußische Staatsschuldenwesen (Bresl. 1869); Salings Börsenpapiere, finanzieller Teil (12. Aufl., Berl. 1888).

Staatssekretär, der Chef eines Verwaltungsressorts. Wenn man auch den Ausdruck S. vielfach gleichbedeutend mit Minister gebraucht, so besteht zwischen beiden im konstitutionellen Staatswesen doch ein wichtiger Unterschied, indem der Minister der Volksvertretung verantwortlich ist, der S. nicht. Der Minister hat eine politische, der S. eine geschäftliche Stellung. Im Deutschen Reich ist der Reichskanzler der alleinige verantwortliche Minister. Die Chefs der einzelnen Reichsämter, die Staatssekretäre des Auswärtigen Amtes, des Reichsamtes des Innern, des Reichsjustizamtes, des Reichsschatzamtes und des Reichspostamtes haben keine selbständige politische Stellung. Den Staatssekretären des Auswärtigen und des Innern sind Unterstaatssekretäre beigegeben. In Preußen führen die Vertreter der verantwortlichen Minister den Amtstitel Unterstaatssekretär. In Elsaß-Lothringen führt der unter dem Statthalter stehende Chef des Ministeriums den Titel S. Die Chefs der einzelnen Ministerialabteilungen heißen Unterstaatssekretäre.

Staatsservituten (öffentliche Servituten), dauernde Beschränkungen der Staatshoheit eines unabhängigen Staatswesens im Interesse und zu gunsten eines andern Staats oder sonstigen Berechtigten. In diesem Sinn wurde früher z. B. das dem Haus Thurn und Taxis zustehende Postrecht in den einzelnen deutschen Staaten als Staatsservitut bezeichnet. Auch die Verpflichtung, fremde Truppen auf bestimmten Etappenstraßen durch das eigne Staatsgebiet marschieren zu lassen, gehört hierher.

Staatssozialismus, diejenige soziale Richtung, welche unter Befestigung der Machtstellung der Monarchie von der letztern eine Hebung der Lage der Arbeiter, insbesondere aber eine Einschränkung der Herrschaft der Bourgeoisie und des beweglichen Kapitals erwartet. Vgl. Arbeiterfrage, S. 752, und Sozialismus.

Staatsstreich, s. Revolution.

Staatsverbrechen, s. Majestätsverbrechen.