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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Stanley

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Stanley (Afrikareisender).

Einweihung des Suezkanals beigewohnt, dann einen Abstecher nach Persien und Indien gemacht hatte, langte er im Januar 1871 in Sansibar an, von wo er mit etwa 200 Mann (darunter 3 Weiße), vorzüglich ausgerüstet und aufs beste bewaffnet, einige Wochen später seinen Marsch ins Innere von Afrika antrat. Nach vielen zu überwindenden Schwierigkeiten war er endlich am Ziel: 10. Nov. hielt er seinen feierlichen Einzug in Udschidschi am Tanganjikasee, wo er in der That den tot geglaubten Livingstone fand. Daß S. in Großbritannien eine starke Anfeindung erfuhr, daß man seinen ganzen Bericht für eine Unwahrheit erklärte, daß später aber sich alles dies als bloße Verleumdung herausstellte, trug nur dazu bei, dem verdienten Manne noch größere Berühmtheit zu verschaffen. Nachdem er mit Livingstone sich noch der Erforschung des Tanganjika gewidmet, trat er im März 1872 seine Rückreise nach Sansibar und Europa an. Über seine Erlebnisse und die Resultate seiner Expedition, die dem Besitzer des "New York Herald" gegen 10,000 Pfd. Sterl. gekostet hatte, berichtete er in dem Werk "How I found Livingstone" (Lond. 1872; deutsch, 2. Aufl., Leipz. 1885), worin er außer seinen eignen auch Livingstones Beobachtungen in dem See- und Flußsystem im SW. und W. des Tanganjikasees brachte. Darauf wohnte er 1873 bis 1874 dem Feldzug der Engländer gegen den König der Aschanti bei und berichtete darüber wie über den abessinischen Feldzug in "Coomassie and Magdala" (Lond. 1874). In noch großartigerer Weise nahm S. sodann seine Forschungen 1874 wieder auf und zwar zuerst auf Kosten des "New York Herald" und des Londoner "Daily Telegraph". Mit mehr als 300 Soldaten und Trägern verließ er im November 1874 Bagamoyo, erreichte 27. Febr. 1875 das südliche Ufer des Ukerewe oder Victoria Nyanza und umfuhr den ganzen See. Da S. nicht wußte, daß der Schwestersee des Ukerewe, der 1864 von Baker entdeckte Mwutan oder Albert Nyanza, bereits von dem Italiener Gessi bis zu seinem Südende befahren war, so versuchte er, diesen See zu erreichen. Vom Ukerewe sich westlich wendend, entdeckte er im Januar 1876 zunächst das 5000 m hohe, schneebedeckte Gambaragaragebirge. Unter 30° 20' östl. L. v. Gr. und dem Äquator stieß er alsdann auf einen großen Golf, den er Beatricegolf nannte und für einen Teil des Mwutan ansah. Nach spätern Aufnahmen des ägyptischen Obersten Mason Bei muß jedoch angenommen werden, daß S. hier einen neuen großen, noch unbenannten See entdeckt hat. Nun sich südlich wendend, erforschte er den Hauptzufluß des Ukerewe, den Kagera oder Kitangule, welchen er als einen bedeutenden, 20-40 m tiefen Strom schildert, und der aus einem gleichfalls von S. entdeckten See, dem Akanjaru oder Alexandrasee (zwischen 2-3° südl. Br. und 31° östl. L. v. Gr.), entspringt. S. wandte sich nun der Lösung des größten noch vorhandenen afrikanischen Problems zu. Er wollte zu ergründen suchen, wohin die ungeheuern Wassermassen der Seen und Ströme, die westlich vom Tanganjikasee liegen, sich ergössen, und ob dieselben, wie theoretisch bereits Behm nachgewiesen, den obern Lauf des Congo darstellten, von dem man nur die Mündung kannte. Am 27. Mai 1876 war S. wieder in Udschidschi am Ostufer des Tanganjikasees, machte auf demselben sein tragbares Boot flott und umfuhr in 51 Tagen zum erstenmal vollständig dieses große Wasserbecken. Auch den nach W. führenden "Abfluß" des Tanganjika, den von Cameron entdeckten Lukuga, fand S. wieder auf und fuhr denselben eine Strecke weit abwärts. Nach seinen Schilderungen ist der Lukuga jedoch nur ein sumpfiger Arm des Tanganjika, welcher bloß bei Hochwasser einen gelegentlichen Abfluß nach W. ausmacht. Nach Vollbringung dieser Aufgabe drang S. nach W. vor und erreichte unter großen Gefahren Nyangwe, den äußersten von Livingstone und Cameron erreichten Ort am obern Lualaba-Congo. Nachdem er seine zusammengeschmolzene Expedition wieder auf 200 Bewaffnete gebracht hatte, verließ er 15. Nov. 1876 mit 18 Kanoes Nyangwe, um eine der gefahrvollsten und merkwürdigsten Reisen anzutreten, von welcher die Geschichte aller Zeiten berichtet. Sowohl in seinem obern Lauf bis zum Äquator als in seinem untern zeigt der Lualaba-Congo zahlreiche bedeutende Wasserfälle, die zum großen Teil umgangen werden mußten, was meist unter Kämpfen mit den Eingebornen geschah. Einzelne Katarakte wurden durchschifft, doch verlor S. hierbei seinen treuen Diener Kalulu und seinen letzten weißen Gefährten, Francis Pocock. Drei Vierteljahre hatte diese gefahrvolle, abenteuerliche Reise gedauert, als S. mit seiner zusammengeschmolzenen Schar, dem Hungertod nahe, 8. Aug. 1877 in Boma an der Congomündung in den Bereich portugiesischer Herrschaft gelangte. Aber die Anstrengungen waren des Resultats wert. Der bisher unbekannte Riesenlauf des Congo konnte in die Karte eingetragen werden (s. Congo). S. stellte die ganze Länge des Stroms, für welchen er den nicht acceptierten Namen "Livingstone" vorschlug, auf 630 Meilen fest, von denen der 225 Meilen lange, oft seeartig erweiterte mittlere Teil für die größten Schiffe fahrbar ist, so daß hier dem Handel ein neues, ungeheuer großes Gebiet durch den kühnen Reisenden eröffnet wurde. Die Identität des Congo mit dem Lualaba war somit festgestellt und damit eine Wasserstraße ins Innere von Afrika von mehr als 4000 km Länge eröffnet, die nur an 2-3 Stellen von Katarakten unterbrochen wird. Bereits vier Monate nach seiner Rückkehr veröffentlichte er seinen Reisebericht "Through the dark continent" (Lond. 1878), der mehrmals aufgelegt wurde, ebenso wie die zu gleicher Zeit erschienene deutsche Übersetzung "Durch den dunkeln Weltteil" (2. Aufl., Leipz. 1881, 2 Bde.). Der großartige Erfolg Stanleys führte nach der Begegnung König Leopolds II. von Belgien mit dem Entdecker in Brüssel zur Gründung des Comité d'études du Haut-Congo, das es sich zur Aufgabe stellte, Zentralafrika dem Handel zu eröffnen. S. wurde mit der Leitung des Unternehmens betraut, er legte nicht allein längs des Congo, auch in dem später an Frankreich abgetretenen Gebiet des Kuilu eine Reihe von Stationen an bis zu den Stanleyfällen am obern Congo, entdeckte, den Kwa aufwärts fahrend, den großen See, welchem er den Namen Leopolds II. gab, und war mit kurzer Unterbrechung, als ihn seine geschwächte Gesundheit zur Reise nach Europa nötigte, bis 1884 unermüdlich im Congogebiet thätig. In diesem Jahr kehrte er endgültig nach Europa zurück, nahm als technischer Kommissar des Bevollmächtigten der amerikanischen Union an der Congokonferenz in Berlin teil und veranlaßte in England die Bildung einer Gesellschaft zur Erbauung einer Eisenbahn von der Congomündung bis zum Stanley Pool. Zu gleicher Zeit publizierte er "The Congo and the foundation of its free state", deutsch unter dem Titel: "Der Congo und die Gründung des Congostaats" (Leipz. 1885, 2 Bde.). Als Ende 1886 die ägyptische Regierung in Gemeinschaft mit einigen englischen Kapitalisten eine Expedition zum Entsatz Emin Beis auszusenden beschloß,