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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Steuern

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Steuern (Allgemeines, Steuerpolitik).

stendeckung der Staats- oder Gemeindewirtschaft von Staats- oder Gemeinde- (Kreis- etc.) Angehörigen sowie von im Staatsgebiet sich aufhaltenden Ausländern zwangsweise erhoben werden. Dadurch, daß die S. nicht zur Vergütung eines durch den Zahlenden veranlaßten Aufwandes dienen sollen, unterscheiden sich dieselben von den Gebühren. Bisweilen wird verlangt, die Besteuerung solle auch als Mittel benutzt werden, um eine für die untern Klassen günstigere Verteilung des Einkommens zu bewirken (sogen. sozialpolitische Seite der S.). Während heute der Zwang ein Merkmal der Steuerbegriffs bildet, war derselbe dem letztern früher in Deutschland so fremd, daß V. L. v. Seckendorff in seinem "Deutschen Fürstenstaat" von 1656 die S. als "Extraordinar Anlagen" bezeichnete, welche "freywillig und als guthertzige Beysteuern gereichet, und dahero auch in etlichen Orten Bethen (nach andrer Schreibweise Beden oder Beeden), das ist erbetene Einkünffte, anderswo auch Hülffen und Praesente genennet werden". Diese Beden (petitiones, precariae, Heischungen) wurden in Geld oder Naturalien entrichtet. Ritter und Geistliche waren davon meist befreit. In außerordentlichen Fällen wurden sogen. Notbeden gefordert. Auch Städte zahlten oft Beden (Orbede) an den Landesherrn.

Auferlegte S. (Auflagen) wurden von den Germanen früher als ein Zeichen der Unfreiheit betrachtet; noch in den ersten Zeiten des Mittelalters durften die auf dem Reichstag bewilligten S. nur von denen erhoben werden, die sie bewilligt hatten. Übrigens waren die S. auch in der ältern germanischen Zeit durch die Sitte mehr oder weniger gebotene Beiträge, welche in der Zeit, als der Staatsgedanke mehr von privatrechtlichen Elementen durchsetzt war, vertragsmäßig geregelt wurden (Ordinarsteuern). Bei außerordentlichen Beihilfen (Extraordinarsteuern) ließen sich die Landstände landesfürstliche Reversbriefe ausstellen, "daß solche Bewilligungen künfftig zu keiner ordentlichen Beschwerung oder Aufflage gereichen sollten". Die Einnahmen aus S. flossen in die der Aufsicht und Kontrolle der Landstände unterstellte Steuerkasse, während die von den Landständen unabhängige Kammerkasse die Einnahmen aus Domänen und Regalien aufnahm. In den modernen Kulturstaaten unterliegt die Besteuerung und die Verwendung der S. verfassungsmäßiger Regelung und Bewilligung. Die durch Geburt, Ernennung und Wahl bestimmten gesetzgebenden Gewalten ordnen die S. an, während der einzelne Staatsangehörige sich solcher Anordnung zu fügen hat (Steuerrecht des Staats, Steuerpflicht des Staatsangehörigen). Vertritt hierbei die Regierung mit ihren Anforderungen das Interesse der Verwaltung, so wahrt die Volksvertretung mit ihrem Steuerbewilligungsrecht dasjenige der Steuerzahler. Dem Steuerbewilligungsrecht entspricht das nicht dem einzelnen Steuerzahler, sondern der Volksvertretung zustehende Recht der Steuerverweigerung. Doch wird dies Recht nicht allein durch die gesetzlich feststehenden Ausgaben, sondern überhaupt durch die Notwendigkeit der Staatserhaltung praktisch beschränkt. Die Praxis (in England) und das formale Recht (in Deutschland) fassen das Steuerbewilligungsrecht auch nur in diesem Sinn auf. Darum bleiben Steuergesetze, welche nicht für einen bestimmten Zeitraum erlassen werden, so lange bestehen, als sie nicht auf verfassungsmäßigem Weg (Übereinstimmung der gesetzgebenden Gewalten) aufgehoben werden, während für Einführung neuer S. die Bewilligung der Volksvertretung erforderlich ist (vgl. Budget).

Steuerpolitik.

Eine gute Steuerpolitik stellt folgende Anforderungen: I. Im Interesse einer geordneten, echt staatswirtschaftlichen Bedarfsdeckung soll 1) die Steuer sich als ausreichend erweisen. 2) Ihr Ertrag soll genügend genau voraus bestimmbar sein und auch pünktlich und sicher eingehen. 3) Die S. müssen fähig sein, sich dem wechselnden Bedarf des Staats anzupassen, ohne daß ihre Erhöhung oder Erniedrigung anderweite Nachteile (z. B. Störungen der Verkehrs- und Erwerbsordnung) im Gefolge hat.

II. Im Interesse der Steuerzahler liegt es, daß 1) die Gesamtlast der Steuer richtig verteilt ist. Es soll demgemäß sein a) die Steuerpflicht eine allgemeine und zwar als subjektive, indem sie alle steuerpflichtigen Personen, als objektive, indem sie alle pflichtigen Gegenstände erfaßt. Steuerfreiheiten (Exemtionen, Steuerprivilegien) widersprechen dem herrschenden Gerechtigkeitsgefühl. Früher vielfach von privilegierten Ständen nicht allein für ihren Grundbesitz, sondern auch für indirekte Abgaben in Anspruch genommen, sind die Steuerfreiheiten in der neuern Zeit meist (bei Grundsteuern in der Regel gegen Gewährung von Entschädigung) aufgehoben worden. Dauernde Freiheiten von direkten S. (allen, bez. einzelnen) genießen heute meist das Staatsoberhaupt (in Preußen auch die 1866 depossedierten Fürstenhäuser), ehemals reichsunmittelbare Standesherren (in Preußen nur für ihre Domanialgrundstücke), Gesandte fremder Mächte, Offiziere für den Fall der Mobilmachung, Beamte für einen Teil der Gemeindesteuer. Dann wird freigelassen nicht allein der Arme, sondern auch von der Einkommensteuer das sogen. Existenzminimum in England bis zu 150 Pfd. Sterl., in Preußen bis zu 900 Mk. Vorübergehende Befreiungen, insbesondere von Ertragssteuern, treten oft ein, wo sie durch die persönliche Lage (thatsächlich mangelnde Steuerfähigkeit), Elementarereignisse, Meliorationen mit zeitweiliger Ertragslosigkeit auch wirklich geboten ist. Aber auch Doppelbesteuerungen sind zu meiden. Aus diesen Grundsätzen ergibt sich bei Beachtung eines gegebenen Steuersystems, wer als pflichtiges Steuersubjekt (Inländer gegenüber Ausländern, die Frage des abgeleiteten Einkommens, der Besteuerung von Gesellschaften, Stiftungen, Gemeinden etc.) durch die Steuer zu erfassen ist. b) Die Steuer soll gleichmäßig verteilt und gerecht sein. Die ältere Vergeltungstheorie betrachtete die Besteuerung als eine gerechte, wenn sie dem Vorteil entspreche, den der Steuerzahler von der Staatsverbindung habe (Leistung gleich der Gegenleistung). Dabei nahm man meist an, daß der Staat dem Reichen nach Maßgabe seines Reichtums mehr Vorteile biete als dem Armen. So gelangen wir praktisch zu dem meist vertretenen Steuerprinzip, welches die Steuerfähigkeit als richtigen Maßstab für die Steuerverteilung betrachtet. Meist wird jetzt verlangt, daß der Unkräftige freibleibe (Freilassung des Existenzminimums, die nicht bei allen S. möglich, bei Aufwandssteuern durch Wahl der Objekte angestrebt werden kann). Dann sollen die Steuerkräftigen verhältnismäßig stärker belastet werden, indem, wenigstens bei kleinem und mittlerm Einkommen, individuelle Verhältnisse (Krankheit, Stärke der Familie etc.) berücksichtigt werden, das fundierte Einkommen höher belastet wird. Streitig ist die Frage des Steuerfußes, d. h. hier des Verhältnisses von Gesamtsteuer des Pflichtigen zu dessen Gesamteinkommen. Von der einen Seite wird diejenige Steuer als gerecht bezeichnet, welche vom Einkommen einen gleichbleibenden Prozentsatz wegnehme