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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Türkischrot; Türkisgrün; Turkistan

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Türkischrot - Turkistan.

genüber zu ihrem Vorteil veränderte. Während sie den Anmaßungen Englands mit Ruhe und Festigkeit entgegentrat, gewann sie an Deutschland und Österreich seit Auflösung des Dreikaiserbündnisses eine immer wirksamere Stütze, wodurch es ihr möglich wurde, ihren Besitzstand in Europa zu behaupten und ihren Einfluß in Afrika und Asien zu vermehren. Im Innern scheiterte allerdings ein Reformversuch, den der zum Großwesir ernannte, ehemals tunesische Minister Khereddin Pascha 1879 machte, an dem Widerstand der alttürkischen Partei und einiger allmächtiger Günstlinge des Sultans, wie Osman und Mahmud Damat. Indes befreite sich der Sultan Abd ul Hamid, je mehr er in Staatsgeschäften ein selbständiges Urteil erlangte und handelnd eingriff, allmählich von diesem verderblichen Einfluß. Um die Finanzreform durchzuführen, berief er deutsche Beamte, welche auch 1881 eine durch Irade vom 20. Dez. bestätigte Einigung mit den Gläubigern zu stande brachten, durch die der Betrag der Staatsschuld von 250 auf 106 Mill. Pfd. Sterl. herabgesetzt und für diese ein zunächst auf mindestens 1 Proz. reduzierter Zinsfuß, zugleich aber auch eine Amortisation von 1/3 Proz. und deren Zahlung durch Garantie mehrerer Einkünfte gesichert wurde. Zur Vermehrung der Einnahmen wurde die Tabaksregie eingeführt. Deutsche Offiziere begannen auf Grund eines 1880 vom Sultan genehmigten Plans eine Reorganisation des Heerwesens und arbeiteten ein Militärgesetz für das ganze Reich aus, das 1887 in Kraft trat. Nach außen hin beobachtete die Türkei eine große Zurückhaltung, da sie vor neuen kriegerischen Verwickelungen zurückscheute. Dies zeigte sich besonders 1885, als im September der Generalgouverneur von Ostrumelien, Chrestowitsch, in Philippopel gestürzt wurde und Fürst Alexander von Bulgarien diese türkische Provinz mit seinem Fürstentum vereinigte. Obwohl die Türkei eine ansehnliche Truppenmacht an der Grenze aufstellte, konnte sie sich doch nicht zu bewaffnetem Einschreiten, um ihre Rechte zu wahren, entschließen und gab im Frühjahr 1886 auf der Konferenz zu Konstantinopel ihre Zustimmung dazu, daß der Fürst von Bulgarien zum Generalgouverneur von Ostrumelien ernannt wurde. Ebenso verhielt sie sich unthätig, als im August 1886 Fürst Alexander durch russische Ränke gestürzt wurde, und ließ alle weitern Ereignisse in Bulgarien geschehen, ohne sich anders als diplomatisch einzumischen, obwohl Rußland die Pforte zum thätlichen Einschreiten drängte, um die ihm verhaßte Regentschaft, dann den Fürsten Ferdinand zu beseitigen. Sie gab damit thatsächlich die Herrschaft über Ostrumelien auf. Die Ereignisse in Bulgarien, welche wie Serbien so auch Griechenland zu einer kriegs- und eroberungslustigen Haltung veranlaßten, nötigten aber die Türkei zur Aufstellung einer großen Heeresmacht, welche so große Kosten verursachte, daß sie wieder Anleihen bei der Ottomanischen Bank machen und dafür mehrere einträgliche Zölle verpfänden mußte. 1889 kam durch Schiedsspruch endlich eine Einigung mit dem Baron Hirsch, der die türkischen Eisenbahnen gebaut hatte u. ausbeutete, zu stande, welche der Türkei die Verfügung über die Bahnen teilweise zurückgab.

Vgl. Hammer-Purgstall, Geschichte des osmanischen Reichs (2. Aufl., Pest 1834-36, 4 Bde.); Zinkeisen, Geschichte des osmanischen Reichs in Europa (Hamb. u. Gotha 1840-63, 7 Bde.); Rosen, Geschichte der Türkei, 1826-56 (Leipz. 1866-67, 2 Bde.); Schmeidler, Geschichte des osmanischen Reichs im letzten Jahrzehnt (das. 1875); Blochwitz, Die Türken, kurzer Abriß ihrer Geschichte (Berl. 1877); de la Jonquière, Histoire de l'empire ottoman (Par. 1881); Hertzberg, Geschichte der Byzantiner und des osmanischen Reichs (Berl. 1884); v. Schlechta-Wssehrd, Die Revolution 1807-1808 (Wien 1882); Engelhardt, La Turquie et le Tanzimat ou l'histoire des réformes dans l'empire ottoman depuis 1826 (Par. 1882-83, 2 Bde.).

Türkischrot, s. Färberei, S. 42.

Türkisgrün, s. Kobaltgrün.

Turkistan (Turkestan, "Land der Türken"), Name der Länder in der großen Längssenkung des Tarimbeckens in der östlichen, der Flußsysteme des Amu Darja und Sir Darja in der westlichen Hälfte Innerasiens, zwischen welchen die Gebirgsketten, welche die Pamirhochthäler einfassen, die Wasserscheide bilden (s. Karte "Zentralasien"). Geographisch gehört die Osthälfte zu dem großen Gebiet der seit langen geologischen Zeitperioden abflußlosen Wasserbecken Zentralasiens (s. d.); die Westhälfte dagegen endigt in der erst seit jüngerer Zeit vom Meer verlassenen aralokaspischen Niederung. Politisch bildet die westliche Hälfte das russische Generalgouvernement T., die östliche Hälfte einen Teil des chinesischen Kaiserreichs. Im folgenden sind beide Teile selbständig behandelt.

I. Das russische Generalgouvernement Turkistan

grenzt im N. an die Kirgisensteppe (Akmollinsk, Turgai etc.), im O. an das chinesische Ostturkistan, im S. an Bochara, im W. an Chiwa und hat einen Flächeninhalt von 1,604,892 qkm (29,148 QM.) mit (1885) 3,426,324 Einw. Administrativ zerfällt es in die folgenden Verwaltungsbezirke:

QKilom. QMeilen Einwohner

Transkaspische Provinz 550629 10000 301476

Semiretschinsk 381609 6930 666339

Ferghana 95227 1729 716133

Serafschan 54633 992 394446

Sir Darja 449822 8169 1214300

Amu Darja 102972 1870 133630

An der Spitze der Militär- und Zivilverwaltung steht ein Generalgouverneur, der seinen Sitz in Taschkent hat, und welchem Gouverneure und Kreis-, resp. Distriktschefs untergeordnet sind. Die untersten Vollzugsorgane sind Eingeborne. Allgemeine Wehrpflicht besteht hier nicht; von russischen Truppen stehen hier 1 Schützenbrigade, 19 Linienbataillone, 1 Artilleriebrigade (7 Batterien), 1 Gebirgsbatterie, 1 Sappeurhalbbataillon, 3 Orenburger und 2 Ural-Kosakenregimenter, 3 Festungsartilleriekompanien, 11 Lokalkommandos. Das Territorium wird in seinem gebirgigen Ostteil von den westlichen Ketten des Thianschan (s. d.), welcher selbst als Narat, Mustag, Sary-dshaß, Kok-schaal, Alai und Hissarrücken die südöstliche Grenze bildet, ausgefüllt. Im Pik Chan-Tengri erreicht er eine Höhe von 6558 m. Hier entspringen der Naryn, einer der Quellflüsse des Sir Darja (s. d.), und der Tekeß, Quellfluß des Ili. Das rechte Ufer des letztern bilden der Borochorskische und Dsungarische Alatau. Rechts des Flußgebiets des Naryn und Sir Darja zieht sich der Alatau hin, welcher sich beim Chan-Tengri vom Thianschan abzweigt. Anfangs heißt er Terskei-tau, weiter nach W. Sussamir-tau und endlich Urtak-tau. Durch die Flüsse Tschirtschik, Aryß, Talaß, Tschu, den See Issi-kul, die Flüsse Tschirik und Tscharyn und die rechten Zuflüsse des Naryn wird der Alatau in verschiedene Gebirgszüge geteilt, welche bald russische, bald kirgisische Namen haben. Dieser gebirgige Teil des Territoriums ist teilweise bewaldet und von vielen Flüssen