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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Urteilskraft; Urteilsvollstreckung; Urthonschiefer; Urtīca; Urticarĭa; Urticeen

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Urteilskraft - Urticeen.

für die Zumessung der Strafe bestimmend gewesen sind. Am Schluß der Verhandlung wird das U. in öffentlicher Sitzung verkündet und zwar durch Verlesung der Urteilsformel und Eröffnung der Urteilsgründe (s. Öffentlichkeit). Die Eröffnung der Urteilsgründe geschieht entweder auch durch Verlesung oder durch mündliche Mitteilung ihres wesentlichen Inhalts. Es ist nicht erforderlich, daß die Urteilsgründe vor der Verkündigung bereits niedergeschrieben sind. Nur wenn die Verkündigung des Urteils ausgesetzt war, müssen die Urteilsgründe vor derselben schriftlich festgestellt werden. Das U. mit den Gründen ist binnen drei Tagen nach der Verkündigung zu den Akten zu bringen, wenn es nicht bereits vollständig in das Protokoll aufgenommen ist. Es muß von den Richtern, welche bei der Entscheidung mitgewirkt haben, unterschrieben werden. Im schwurgerichtlichen Verfahren ergeht das U. auf Grund des Wahrspruchs der Geschwornen (s. Schwurgericht). Vgl. Deutsche Strafprozeßordnung, § 259 ff.

Urteilskraft, nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch das Vermögen, Urteile zu bilden; dann auch die Fähigkeit, angemessen, treffend und richtig zu urteilen, und in diesem Sinne nahe verwandt mit Verstand (s. d.). Kant (»Kritik der U.«) unterschied die subsumierende U., d. h. die, welche das Besondere und Einzelne einem schon bekannten Allgemeinen unterordnet, und die reflektierende, welche zu der gegebenen Mannigfaltigkeit einzelner Data die Einheit einer allgemeinen Regel sucht.

Urteilsvollstreckung, die Ausführung eines rechtskräftigen richterlichen Straferkenntnisses (s. Urteil und Rechtskraft) oder des in einem bürgerlichen Rechtsstreit ergangenen Endbescheids (s. Zwangsvollstreckung).

Urthonschiefer, s. Phyllit.

Urtīca L. (Nessel), Gattung aus der Familie der Urtikaceen, ein- oder mehrjährige Kräuter, selten Sträucher mit gegenständigen, gesägten bis gezahnten, selten eingeschnitten gelappten, meist mit Brennhaaren besetzten Blättern, ein- oder zweihäusigen, grünlichen Blüten in blattwinkelständigen, gepaarten, trugdoldigen, rispig wickelartigen oder knopfigen Infloreszenzen und trockner, eiförmiger oder oblonger, zusammengedrückter Schließfrucht. Etwa 30 Arten in den gemäßigten Klimaten. Die Brennhaare besitzen eine knopfähnliche, glasartige Spitze, welche bei Berührung mit der Haut leicht abbricht und die letztere ritzt, wobei ein heftig brennender Saft aus der Haarzelle in die Wunde fließt. U. dioica L. (große Brennessel), 60-200 cm hoch, mit länglich herzförmigen, grob gesägten Blättern, hängenden Blütenrispen, zweihäusig, ist weit verbreitet und bedeckt oft große Strecken. U. urens L. (kleine Brennnessel), 15-30 cm hoch, mit elliptisch eirunden, eingeschnitten gesägten Blättern, aufrechten Blütenrispen, einhäusig, ist ebenfalls weit verbreitet. Beide nesseln nicht in der Jugend und nicht im Alter; bei schnellem, starkem Angreifen der Pflanze werden die Brennhaare zurückgebogen und verwunden weniger leicht. Beide Nesseln sind Unkräuter; man benutzt sie als Viehfutter, jung als Gemüse (Rußland, Walachei), medizinisch zum Peitschen gelähmter Glieder (Urtikation). Die Bastfaser der großen Nessel ist technisch gut verwertbar und diente vor Einführung der Baumwolle zur Darstellung von Nesselgarn und Nesseltuch. Nesselzwirnfabriken bestanden noch im Beginn des 18. Jahrh. in Frankreich, Spanien, Schweden, Italien, Deutschland und der Schweiz, die letzte derartige Manufaktur in Leipzig 1720. In jüngster Zeit hat man von neuem Versuche zur Verwertung der Nesselfasern gemacht. Auch andre Arten, wie U. cannabina L. in Sibirien, U. japonica Thunb. in Japan etc., liefern Bastfasern. Manche exotische Arten sind berüchtigt wegen des starken Nesselns, so die javanische U. stimulans L. und die ostindische U. crenulata Roxb., welche einen lange anhaltenden wütenden Schmerz verursachen, besonders aber U. urentissima Blume (Teufelsblatt), auf Timor, deren Nesseln jahrelang, ja lebenslänglich anhält und bei feuchtem Wetter sich steigert. Überhaupt werden alle durch Nesseln verursachten Entzündungen durch hinzutretende Nässe verlängert. Früher wurden unsre Nesseln, wie noch jetzt manche exotische, als Arzneimittel benutzt, auch als Aphrodisiaka, wie U. membranacea Pair. in Ägypten. Die Knollen von U. tuberosa Roxb. werden in Indien gegessen. Vgl. Bouché und Grothe, Die Nessel als Textilpflanze (Berl. 1877); Rößler-Ladé, Die Nessel, eine Gespinstpflanze (Leipz. 1878); Müller, Deutsche Brennnesseln, ihre Kultur und Verwertung (Stuttg. 1879).

Urticarĭa (lat.), s. Nesselsucht.

Urticeen (Urtikaceen, Nesselpflanzen), dikotyle Familie aus der Ordnung der Urticinen, Kräuter und Holzpflanzen mit gegen- oder wechselständigen, einfachen, gestielten, ganzen, gezahnten oder gesägten, selten handförmig gelappten, mit meist stehen bleibenden Nebenblättern versehenen Blättern, welche bei manchen Arten mit Brennhaaren bekleidet sind, und meist durch Fehlschlagen eingeschlechtigen, ein- oder zweihäusigen, bisweilen polygamen Blüten, welche in Ähren, Köpfchen oder Rispen, bisweilen auf einem fleischigen, von einem mehrblätterigen Involukrum umgebenen Rezeptakulum stehen. Die männlichen Blüten haben ein kelchartiges Perigon, welches aus vier oder fünf freien oder verwachsenen, gleichen, in der Knospe dachziegelig liegenden Blättern besteht. Die Staubgefäße sind im Grunde des Perigons vor den Blättern desselben in der nämlichen Anzahl inseriert. Die weiblichen Blüten haben ein zwei-, vier- oder fünfblätteriges Perigon, dessen Blätter oft in eine Röhre mit gezahntem oder gelapptem Saum verwachsen sind. Der oberständige Fruchtknoten ist einfächerig, enthält eine einzige aufrechte oder hängende Samenknospe und hat einen einfachen, oft sehr kurzen Griffel mit kopfiger oder pinselförmiger oder zerschlitzter, vielteiliger Narbe. Die Frucht ist ein Nüßchen, nackt oder von dem häutig trocknen oder beerenartig erweichenden Perigon umgeben. Der einzige Same hat eine sehr dünnhäutige Schale, ein fleischiges Endosperm und in der Achse desselben einen geraden Keimling mit flachen Kotyledonen und nach oben gekehrten Würzelchen. Vgl. Weddell, Monographie der U., in De Candolles »Prodromus«. Bd. 16. Die Familie, mit etwa 1500 Arten, welche hauptsächlich in den tropischen und subtropischen Zonen, besonders im wärmern Asien, nur in geringer Zahl in der gemäßigten und kältern Zone der nördlichen Halbkugel vorkommen, zerfällt in die Untergruppen: U. mit freien Nebenblättern, aufrechter Samenknospe, nicht milchsaftführend; Moreen mit freien Nebenblättern, hängender Samenknospe, bisweilen mit Milchsaft; Artokarpeen mit tütenartig verwachsenen Nebenblättern, in der Knospe geraden Staubfäden, stets mit Milchsaft, und Kannabineen mit freien Nebenblättern, hängender Samenknospe, in der Knospe geraden Staubfäden, nicht milchsaftführend. Zahlreiche Arten aus den Gruppen der Moreen und Artokarpeen, besonders die Gattungen Ficus Tourn., Morus Tourn., Artocarpus L. u. a., kommen fossil in Ter-^[folgende Seite]