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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Venedig

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Venedig (Geschichte: Mittelalter).

An Wohlthätigkeitsanstalten besitzt V.: ein Zivilspital mit 1600 Betten, ein Findelhaus, eine Säuglings- und 6 Kinderbewahranstalten, 2 Waisenhäuser, mehrere Versorgungsanstalten, eine Casa d'industria, eine Casa delle penitenti für gefallene Mädchen u. a.

[Bildungsanstalten.] Von Anstalten für Kunst und Wissenschaft hat V. vor allen eine Akademie der schönen Künste (1807 gegründet und in dem 1552 von Palladio erbauten Kloster und mehreren Anbauten untergebracht) mit reichhaltiger Sammlung von Gemälden, hauptsächlich venezianischer Meister (darunter die Himmelfahrt Mariä von Tizian, eine Madonna von Bellini, Jesus beim Gastmahl des Zöllners von P. Veronese u. a., zusammen ca. 700 Bilder), und Lehrkursen für einzelne Kunstzweige; ferner 2 Lycealgymnasien mit naturhistorischen Sammlungen und einem botanischen Garten, ein Patriarchalgymnasium, eine höhere Handelsschule, Marineschule, Hebammenschule, ein Gewerbeinstitut, 2 technische Schulen, ein Priesterseminar mit Bibliothek von 40,000 Bänden, mehrere Kollegien und Institute zur Erziehung von Knaben und Mädchen; die große Bibliothek San Marco (1536 gegründet) mit ca. 260,000 Bänden und 8000 Manuskripten; die Antiken- und Münzsammlung im Dogenpalast; ein königliches Institut der Wissenschaften und Künste (1838 gegründet), ein Athenäum zur Hebung der Wissenschaften und der Litteratur mit Bibliothek und Lesekabinett, ein reichhaltiges Staatsarchiv (Urkunden bis 833 zurück) im ehemaligen Klostergebäude der Frari, ein Musikkonservatorium etc. Hinsichtlich seiner Kunstschätze nimmt V. einen würdigen Platz neben Rom und Florenz ein, obwohl dieselben größtenteils nicht in Sammlungen vereinigt, sondern an vielen Orten zerstreut sind. Hervorzuheben sind außer der Gemäldegalerie in der Akademie: das städtische Museum (Museo Correr) mit Skulpturen, Gemäldesammlung (für die altvenezianische Schule wichtig), Handzeichnungen, alten Waffen, Münzen, Silber- und Goldarbeiten, Glassachen, Holzschnitzereien etc.; der Kirchenschatz in der St. Markuskirche und die vornehmlich in alten Waffen bestehenden Sammlungen im Arsenal.

[Behörden etc.] V. ist der Sitz eines katholischen Patriarchen u. eines armenischen Erzbischofs, eines Präfekten, eines obersten Gerichtshofs, eines Appellhofs, eines Provinzialtribunals, eines Handels- und Seetribunals, einer Finanzintendanz, eines General- und Marinekommandos, einer Handels- und Gewerbekammer, mehrerer Konsuln fremder Staaten etc. (darunter auch eines deutschen). V. bildet auch eine starke Festung, welche gegen die Landseite durch das am Rande des Festlandes gelegene Fort Malghera und 14 über die Lagunen zerstreute kleinere Werke, nach der Seeseite hin durch starke Forts an den Porti, San Niccolò am Porto di Lido, Alberoni und San Pietro am Porto di Malamocco, und 12 kleinere Werke auf den Lidi geschützt ist. Auch die Werke von Chioggia und das Fort von Brondolo gehören noch in das Verteidigungssystem. Zu Spaziergängen dienen die Giardini pubblici an der Südostspitze des Stadtgebiets, der schon erwähnte Giardino Reale, der Giardino Papadopoli und der botanische Garten, beide in der Nähe des Bahnhofs, der Garten auf der Insel San Giorgio Maggiore, der Lido mit stark besuchten Seebädern, Anlagen, Restaurants etc. Vgl. Gsell Fels, Venedig (Zürich 1887); die Reiseführer von Gsell Fels (»Oberitalien«, 4. Aufl., Leipz. 1888), Ohswaldt (4. Aufl., Triest 1878); Yriarte, Venise. Histoire, art, industrie, etc. (Par. 1877); Molinier, Venise, ses arts décoratifs, ses musées, etc. (das. 1889).

Geschichte.

An der Nordwestseite des Venezianischen Meerbusens wohnten im Altertum die Veneter (s. d.), wahrscheinlich illyrischen Stammes, nach denen das Land Venetia genannt wurde (s. Karte bei »Italia«). Während der Völkerwanderung flüchteten viele Einwohner von dem Festland auf die Inseln in den Lagunen. Die kleinen demokratischen Gemeinwesen wurden von Tribunen regiert, die unter dem Exarchen von Ravenna als dem Vertreter des byzantinischen Reichs standen. Um sich besser gegen die Langobarden und die dalmatischen Piraten zu schützen, wählten die Bewohner der Inseln 697 auf den Rat des Erzbischofs von Grado Paulucius Anafestus zu ihrem ersten Dux (Dogen) auf Lebenszeit. Die Oberhoheit des griechischen Kaisers wurde auch ferner anerkannt und erst im 11. Jahrh. mit der des römisch-deutschen Kaiserreichs vertauscht. Im Innern bewirkte die Einsetzung des Dogen die allmähliche Verwandlung der Republik in eine aristokratische Wahlmonarchie. Unter dem Dogen Orso entrissen die Venezianer den Langobarden Ravenna. Orso ward bald darauf ermordet (737), und seitdem werden mehrere Jahre hintereinander Magistri militum an der Spitze Venetiens genannt, bis Orsos Sohn Deodato 742 wieder zur Würde eines Dogen gelangte. Während der Kämpfe mit den fränkischen Königen, namentlich mit Karls d. Gr. Sohn Pippin, drängten sich die Einwohner mehr und mehr auf den festesten und bedeutendsten Inseln, namentlich auf Rialto (rivus altus), Malamocco und Torcello, zusammen, und auf der erstern erhob sich nach und nach eine volkreiche Stadt, in welche 810 der Sitz der Regierung verlegt ward. Unter dem Dogen Giustiniani (827-830) brachten venezianische Kaufleute den Körper des Apostels Markus aus Alexandria nach V., dessen Schutzherr Markus fortan wurde. Durch seinen Handel selbst mit sarazenischen Städten in Verbindung und zwischen das oströmische und das weströmische (fränkische) Reich in die Mitte gestellt, wuchs V. nun rasch an Reichtum und Selbständigkeit.

Die steigende Seemacht erweckte in den Dogen das Streben, ihre Würde in eine erbliche Gewalt umzuwandeln. Schon war sie im wechselnden Besitz weniger Familien, welche durch Verbindungen mit auswärtigen Fürstenhäusern ihre Macht erhöhten und durch Ernennung der Söhne zu Mitregenten ein Erbrecht schaffen wollten. Daher ward 1032 ein Gesetz gegeben, daß kein Doge mehr sich seinen Sohn oder Bruder als Mitregenten (condux) zur Seite stellen, dagegen seine Gewalt durch zwei ihm beigesetzte Räte beschränkt sein sollte. An die Stelle der Tribunen traten allmählich eigentliche Richter (judices), deren Urteile der Doge jedoch zu bestätigen hatte. Dem Dogen Vitale Falieri (Faledrus, 1084-96), trat der griechische Kaiser, um an den Venezianern eine Stütze gegen die Normannen zu haben, die Städte Dalmatiens und des griechischen Istrien ab. Besonders aber vermehrten die Kreuzzüge, an welchen die venezianischen Schiffe im Wetteifer mit denen Genuas und Pisas einen hervorragenden Anteil nahmen, Venedigs Handel und Seemacht. Nicht nur bereicherten sich die Kaufleute bei der Versorgung der Kreuzheere mit Lebensmitteln und Kriegsmaterial und bei dem freien Handel mit der Levante, sondern auch der Staat gewann in den christlichen Gebieten des Orients feste Stützen für die spätere Ausbreitung seiner Macht. Aber während die Macht der Republik nach außen wuchs, kämpfte im Innern die Aristokratie mit dem Volk und suchte der Doge seine Macht