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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Venedig

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Venedig (Geschichte: neuere Zeit).

ein neuer Krieg mit der Pforte um Kreta, der erst 1669 trotz einiger glänzender Siege des venezianischen Feldherrn Francesco Morosini mit dem Verlust dieser Insel für V. endete. Erst die Niederlage der Türken vor Wien 1683 gab der Republik wieder den Mut, ein Bündnis mit Österreich, Polen und Rußland gegen den Sultan zu schließen. Francesco Morosini machte viele Eroberungen; doch behielt V. von denselben im Karlowitzer Frieden von 1699 nur Morea, die Inseln Ägina und Santa Maura, dann Castelnuovo am Kanal von Cattaro und einige Plätze in Dalmatien. An dem spanischen Erbfolgekrieg nahm V. keinen Teil, dennoch durchzogen die Österreicher und Franzosen verwüstend sein Gebiet. Nach einem neuen Krieg mit der Türkei verlor es im Passarowitzer Frieden (Juli 1718) Morea, wogegen es Korfu und Dalmatien behauptete.

Seitdem nahm die Republik an den Welthändeln keinen weitern Anteil mehr. Die Zahl der Einwohner, die das Gebiet der Republik bewohnten, belief sich 1722 auf 2½ Mill. Seelen; die Einkünfte betrugen 6 Mill. Dukaten, die Staatsschulden 28 Mill. Dukaten. Während des Kriegs, den Kaiser Karl VI. von 1736 bis 1739 mit den Türken führte, war V. bloß bemüht, seinen Handel gegen die Seeräubereien der Barbaresken zu schützen, sah sich aber dennoch in fortdauernde Händel mit den Türken verwickelt; von den Barbareskenstaaten mußte es überdies die Sicherheit seiner Flagge durch Tributzahlung erkaufen. In der europäischen Politik schwang sich V. nie wieder zu einer selbständigen Politik empor; seine schwankende Haltung während der Stürme, welche Italien nach der französischen Revolution durchtobten, führte auch seinen Untergang herbei. Die Neutralität Venedigs war eine schwächliche und zweideutige. Ein ihm 1796 von der französischen Republik angebotenes Bündnis lehnte der Senat ab, weil in diesem Augenblick neue österreichische Streitkräfte gegen Italien vorrückten, begünstigte dagegen den bewaffneten Aufstand des Volkes auf der Terra ferma, als Bonaparte in Steiermark eindrang. Als nun dieser im Mai 1797 an die Republik den Krieg erklärte, suchte man den Sieger dadurch zu beschwichtigen, daß der Große Rat den erblichen Rechten der Aristokratie entsagte, die Souveränität niederlegte und dieselbe dem Verein der Bürger übergab, somit die aristokratische Verfassung nach 500jährigem Bestehen in eine demokratische verwandelte. Der letzte Doge, Ludovico Manin, dankte 12. Mai 1797 ab; am 16. rückten 3000 Franzosen in V. ein, das noch nie feindliche Truppen betreten hatten, eine provisorische Regierung von 60 Mitgliedern trat an die Stelle des Großen Rats, und 4. Juni ward am Fuß des errichteten Freiheitsbaums das Goldene Buch verbrannt. Im Frieden vom Campo Formio wurde das ganze Gebiet diesseit der Etsch mit Dalmatien und Cattaro an Österreich, das jenseit der Etsch aber an die Cisalpinische Republik, das nachmalige Königreich Italien, gegeben, welchem durch den Frieden von Preßburg (26. Dez. 1805) auch das österreichische V. mit Dalmatien zufiel. Nach dem Wiener Frieden (1809) wurden die beiden Departements Passerino (Hauptstadt Udine) und Istrien (Hauptstadt Capo d'Istria) zu den illyrischen Provinzen Frankreichs geschlagen. Durch den ersten Frieden von Paris (1814) ward V. mit seinem Gebiet wieder Österreich übergeben, das nun alle italienischen Provinzen zu dem Lombardisch-Venezianischen Königreich (s. Lombardei) verband. 1830 erhielt V. einen Freihafen.

Die Reformbewegungen in Italien 1847 fanden auch in V. begeisterten Anklang. Der Advokat Daniel Manin und Tommaseo überreichten der Regierung Petitionen, in welchen auf die vielfachen Gebrechen in der Administration aufmerksam gemacht und Verbesserungen vorgeschlagen wurden. Man antwortete mit der Verhaftung der kühnen Antragsteller (18. Jan. 1848) und der Verkündigung des Standrechts. Dennoch kam es zu wiederholten Volksdemonstrationen und zu blutigen Konflikten zwischen Militär und Volk; 22. März erstürmte das Volk das Arsenal und nötigte den Stadtkommandanten Grafen Zichy zum Abschluß einer Konvention, wonach ohne Schwertstreich die Stadt mit allem Kriegsmaterial den Aufständischen überliefert ward. Gleichzeitig bildete sich eine provisorische Regierung, und 23. März erfolgte die feierliche Proklamation der Republik San Marco, an deren Spitze Manin als Ministerpräsident trat. Die von der Regierung berufene Assemblea beschloß den Anschluß an Sardinien. Nach der Niederlage der Sardinier erhob sich aber 11. Aug. ein neuer Aufstand, infolge dessen die Regierung abdankte, die piemontesischen Truppen entfernt und Manin die Diktatur übertragen wurde. Im März 1849 wurde er zum Präsidenten der Republik ernannt. Nach der abermaligen Niederlage der Piemontesen bei Novara (23. März) wurde V. vom österreichischen General Haynau belagert. Nach einem furchtbaren Bombardement mußten die Belagerten 26. Mai das Fort Malghera den Österreichern überlassen. Mangel und die wachsende Cholera zwangen Manin zur Einleitung von Unterhandlungen, und 23. Aug. ergab sich die Stadt auf sehr milde Bedingungen hin. Am 30. Aug. 1849 hielt Radetzky seinen Einzug. V. verlor sein Freihafenprivilegium und erhielt es erst 20. Juli 1851 wieder. Der Belagerungszustand ward erst 1. Mai 1854 aufgehoben. Im italienischen Krieg von 1859 lag die Absicht vor, auch V. den Österreichern zu entreißen; doch beließ der Friede von Villafranca Venetien unter Österreichs Zepter, welches sich trotz seiner finanziellen Bedrängnis weigerte, das Anerbieten Italiens, V. um eine hohe Summe zu kaufen, anzunehmen, und es dann im Krieg von 1866 durch den Sieg bei Custozza auch behauptete. Erst nach der Schlacht bei Königgrätz verzichtete Österreich (4. Juli) auf den Besitz Venetiens, indem es dasselbe an den Kaiser Napoleon III. abtrat; dieser überließ es dem Königreich Italien, dem es, nachdem 8. Okt. die Österreicher V. geräumt und 22. Okt. das Volk in einer allgemeinen Abstimmung sich mit allen gegen 69 Stimmen für den Anschluß an Italien erklärt hatte, einverleibt wurde. Am 7. Nov. 1866 hielt König Viktor Emanuel seinen feierlichen Einzug in V.

Vgl. außer den ältern Geschichtswerken von Laugier, Tentori, Barzoni u. a. Daru, Histoire de la république de Venise (4. Aufl., Par. 1853, 9 Bde.; deutsch, Leipz. 1859, 4 Bde.); Philippi, Geschichte des Freistaats V. (Dresd. 1828); Romanini, Storia di Venezia (Vened. 1854-61, 10 Bde.; Flor. 1875, 2 Bde.); Molmenti, Die Venezianer (deutsch von Bernardi, Hamb. 1886); Lamansky, Secrets d'État de Venise (Petersb. 1884); Hain, Der Doge von V. 1032-1172 (Königsb. 1883); Zwiedineck-Südenhorst, Die Politik Venedigs während des Dreißigjährigen Kriegs (Stuttg. 1882-85, 2 Bde.); Simonsfeld, Der Fondaco dei Tedeschi in V. (das. 1887, 2 Bde.); Dandolo, la caduta della repubblica di Venezia (Vened. 1855); Bonnal, Chute d'une république. Venise (Par. 1885); Cicogna,