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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Vereinigte Staaten von N.-A.

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Vereinigte Staaten von N.-A. (Staatsverwaltung, Rechtspflege).

gierungsform und schützt jeden derselben gegen feindlichen Einfall und einheimische Gewaltthätigkeit auf Ansuchen der Legislatur oder der vollziehenden Gewalt. Die vollziehende Gewalt hat der Präsident, der sein Amt vier Jahre bekleidet, aber nach jedesmaligem Ablauf seiner Amtsdauer wieder gewählt werden kann. Das Wahlverfahren ist folgendes: In jedem einzelnen Staat werden in einer von der resp. Gesetzgebung zu bestimmenden Art von dem Volk Wahlmänner ernannt, deren Zahl sich so hoch beläuft wie die Anzahl der Senatoren und Repräsentanten zusammengenommen, welche der Staat in den Kongreß nach Washington sendet. Diese Wahlmänner, welche überall von sämtlichen stimmfähigen Bürgern ernannt werden, wählen den Präsidenten und Vizepräsidenten und stimmen durch Wahlzettel (ballots) ab. Das Resultat der Wahl wird von den Einzelstaaten dem Präsidenten des Senats nach Washington gesandt, der in öffentlicher Sitzung beider Häuser die Wahlurkunden entsiegelt und die Stimmen zählt. Hat keiner unter den Kandidaten die erforderliche Mehrheit, so wählt das Repräsentantenhaus durch Stimmzettel den Präsidenten aus den drei Kandidaten, welche die höchste Stimmenzahl haben. Bei dieser Wahl hat die Repräsentation jedes Staats nur Eine Stimme. Vizepräsident wird der, welcher die Majorität der Wähler hat; in Ermangelung einer solchen wählt der Senat ihn unter den beiden Kandidaten, welche die meisten Stimmen erhielten. Um zum Präsidenten oder Vizepräsidenten gewählt werden zu können, muß man 35 Jahre alt und geborner Bürger der Vereinigten Staaten sein. Der Präsident hat als Amtswohnung das »weiße Haus« zu Washington und bezieht 50,000 Doll. jährliche Besoldung; der Vizepräsident hat 8000 Doll. Gehalt. Der Präsident kann nicht Krieg erklären oder Frieden schließen, denn dieses Recht ist dem Kongreß vorbehalten; er darf Verträge mit andern Staaten nur dann genehmigen, wenn zwei Drittel des Senats ihre Zustimmung geben; auch hat der Senat die vom Präsidenten ernannten Beamten zu bestätigen und kann Ernennungen verwerfen; zugleich ist, wie bemerkt, das Veto des Präsidenten ein beschränktes. Aber er ist höchster Befehlshaber der Land- und Seemacht, vertritt den Bundesstaat nach außen hin und übt außerdem eine Menge wichtiger Befugnisse.

Was die Staatsverwaltung betrifft, so stehen dem Präsidenten sieben von ihm ernannte Staatsbeamte zur Seite, welche eine Art Ministerium bilden, das indes vollständig von ihm abhängig ist. Ein Secretary of State besorgt die auswärtigen Angelegenheiten und veröffentlicht die vom Kongreß erlassenen Gesetze. Ein Secretary of the treasury befaßt sich mit den Finanzen des Bundes. Sekretäre für Armee und Flotte stehen der Wehrkraft vor. Ein Sekretär des Innern beaufsichtigt das Patentwesen, den Landverkauf, die Indianerangelegenheiten, das Pensionswesen, die Bergwerke, den Ackerbau und die Volkszählungen. Ein Postmaster general steht dem Postwesen, ein Attorney general dem Gerichtswesen vor. Jeder dieser Minister bezieht einen Gehalt von 8000 Doll.

[Rechtspflege.] Die Gerichtsverfassung zerfällt in diejenige für die ganze Union und die der einzelnen Staaten. Für die Gerichtsverfassung der Union ist der leitende Chef der Generalstaatsanwalt, der zugleich als rechtskundiger Beistand des Präsidenten und der Departementschefs Rechtsansprüche etc. prüft und die Rechtsstreitigkeiten führt, bei denen die Regierung beteiligt ist. Ihm stehen 3 Assistentstaatsanwalte zur Seite. Das Gericht zur Aburteilung von Staatsverbrechen Unionsbeamter ist der Senat (s. oben). Das oberste Bundesgericht (Supreme Court of the United States) besteht aus einem Oberrichter (chief justice, Gehalt 10,500 Doll.) und 8 beigeordneten Richtern (associate justices, Gehalt 10,000 Doll.) und hält jährlich eine Sitzung in Washington, gleichzeitig mit der regelmäßigen Session des Kongresses. Die Richter werden vom Präsidenten und Senat auf Lebenszeit ernannt und können nur vom Kongreß angeklagt und ihrer Stellen entsetzt werden. Dies gilt auch für alle Richter der Unionsgerichte. Als Gerichte mittlerer Instanz gelten die Kreisgerichte (circuit courts) für 9 Gerichtskreise, in welche sich jährlich zweimal ein Richter des obersten Gerichtshofs begibt, um mit dem stets im Kreis wohnenden Kreisrichter Gericht zu halten. Bezirksgerichte (district courts), bestehend aus einem Einzelrichter, dem ein Staatsanwalt und Vereinigte Staaten-Marschall zur Seite stehen, bestehen in jedem Staat eins, in den größern Staaten aber zwei oder drei. Jedes Territorium hat eine eigne Unionsgerichtsbehörde (einen Oberrichter, 2 associate justices, einen Staatsanwalt, einen Vereinigte Staaten-Marschall). Endlich besteht noch ein Beschwerdenhof (court of claims), der über Ansprüche und Beschwerden gegen die Regierung entscheidet und aus 5 Richtern, sämtlich in Washington, gebildet ist. Die richterliche Gewalt der Unionsgerichte erstreckt sich nach der Konstitution auf alle Prozesse des Rechts und der Billigkeit, welche unter dieser Konstitution stehen; auf die Gesetze der Vereinigten Staaten und auf Verträge, welche unter ihrer Autorität abgeschlossen sind; auf alle die Gesandten, andre öffentliche Minister und Konsuln betreffenden Rechtsfälle; auf alle die Admiralität und Seegerichtsbarkeit betreffenden Rechtsfälle zwischen zwei und mehr Staaten, in denen die Vereinigten Staaten eine Partei sind; auf Rechtsfälle zwischen einem Staat und einem Bürger eines andern Staate; auf solche zwischen Bürgern verschiedener Staaten; auf solche zwischen Bürgern eines und desselben Staats, welche auf Landbewilligungen andrer Staaten Anspruch machen; auf solche zwischen einem Staat oder Bürgern desselben Staats und fremden Staaten, Bürgern oder Unterthanen. Für Gesandte, öffentliche Minister und Konsuln ist der Supreme Court erste Instanz, in allen andern vorher erwähnten Fällen Appellhof, ausgenommen in Fällen von Klagen gegen Beamte, wo alsdann die Untersuchung von Verbrechen vor Geschwornen und zwar in dem Staat stattfinden soll, wo die Verbrechen begangen sind. Sind sie nicht innerhalb eines Staats begangen, so bestimmt der Kongreß den Ort der Untersuchung durch Gesetz. Die Gerichtsverfassung der Staaten unterscheidet sich von der der Union namentlich dadurch, daß die Richter nicht von der Regierung auf Lebenszeit und pflichtmäßiges Verhalten hin angestellt, sondern von den vom Volk erwählten Gouverneuren oder vom Volk direkt auf 4-12 Jahre ernannt oder gewählt werden. Die Beamtung als Richter wird dadurch zur politischen Parteifrage. Fähigkeit entscheidet weniger als der Partei geleistete Dienste, und vom Gewählten erwartet man, daß er sich erkenntlich zeigt. Ganz ähnlich ist das Verfahren bei Ernennung der Staats- und Gemeindebeamten. Fast der ganze Beamtenstand wird entlassen, wenn eine andre Partei ans Ruder kommt. Daß unter diesem System der Staatssäckel leiden muß, liegt auf der Hand, und weder die Volksver-^[folgende Seite]