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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Vesper; Vespertilio; Vespetro; Vespucci; Vesta; Vestalinnen

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Vesper - Vestalinnen.

am Ziel ankam, hatte Antonius Primus an der Spitze der pannonischen und mösischen Legionen die Vitellianer bei Cremona geschlagen und Rom erobert, wobei Vitellius selbst umkam, so daß V. der Einzug in Rom offen stand. Er bewahrte sich auch als Kaiser dieselbe Einfachheit und Verachtung des äußern Scheins, die ihn als Privatmann vor seinen Standesgenossen ausgezeichnet hatte, und war fortwährend angelegentlich bemüht, durch Herstellung der Zucht im Heer, durch Erhaltung des Friedens und durch Regulierung der Verwaltung, insbesondere der Finanzen, die Wunden zu heilen, welche die Bürgerkriege dem Reiche geschlagen hatten. Seine Regierung war daher durch keine Kriege ausgezeichnet, den im fernen Britannien ausgenommen, den ihm seine Vorgänger hinterlassen hatten; er schloß vielmehr 71 den Janustempel und hielt ihn während seiner ganzen Regierung geschlossen; dagegen verlieh er ungeachtet seiner Sparsamkeit, die ihm sogar den Vorwurf des Geizes zuzog, durch großartige Bauten, insbesondere durch den Tempel des Friedens, der 75 vollendet wurde, und durch das Amphitheatrum Flavium, das später so genannte und noch jetzt in seinen Trümmern bewunderte Kolosseum, seinem Namen einen besondern Glanz. Er starb 23. Juni 79.

Vesper (lat.), die Zeit gegen Abend, so daß meist der größere Teil des Nachmittags darunter verstanden wird; daher Vesperzeit, s. v. w. Nachmittagszeit, Vesperbrot, eine kleine Mahlzeit zwischen dem Mittags- und dem Abendessen (in Österreich »Jause«). In den Klöstern heißt die Gebetszeit von etwa 4 Uhr nachmittags an V. (vgl. Horae canonicae), weshalb man in der alten Kirche auch den Gottesdienst am Spätnachmittag mit diesem Namen bezeichnete und die zu demselben rufende Glocke Vesperglocke nannte.

Vespertilio (Vesperugo), Fledermaus.

Vespetro, ital. Branntwein aus Angelikasamen, Koriander, Fenchel, Anis, Zitronenschale und -Saft.

Vespucci, s. Amerigo Vespucci.

Vesta, die der griech. Hestia (s. d.) in ihrem Namen wie in ihrem Wesen entsprechende italische, insbesondere latinische, Göttin des Herdes und Herdfeuers, die wie jene neben der Verehrung auf dem Herd jedes Hauses noch einen besondern Staatskultus hatte. In Rom war derselbe von Numa aus Lavinium eingeführt worden, wohin Äneas das heilige Herdfeuer und die Penaten von Troja gebracht haben sollte, daher auch die römischen Konsuln und Diktatoren bei Antritt und Niederlegung ihres Amtes in dem dortigen Vestatempel opferten. Überhaupt pflegten wie in Griechenland, so in Italien die Pflanzstädte das Feuer ihrer V. an dem Herd ihrer Mutterstadt zu entzünden. In dem von Numa auf dem Abhang des palatinischen Hügels erbauten alten Rundtempel der V., der als Mittelpunkt der Stadt galt, und in dessen Nähe sich das sogen. Atrium der V., die Wohnstätte der jungfräulichen Priesterinnen der Göttin, der Vestalinnen, befand, wurde die Göttin nicht im Bild, sondern unter dem Symbol des ewigen Feuers verehrt, dessen Erhaltung die Hauptobliegenheit der Vestalinnen (s. d.) bildete. An jedem 1. März wurde es erneuert; erlosch es von selbst, so galt dies für ein großes Staatsunglück, und die schuldige Vestalin wurde vom Pontifex gegeißelt; neu entzündet durfte es nur werden durch Brennspiegel oder durch Bohren eines Holzstücks von einem fruchttragenden Baum. Wie am Hausherd die Laren und Penaten, so befanden sich in dem Vestatempel die Penaten des Staats, und wie dort, so wurde auf dem Tempelherd täglich ein Speisopfer dargebracht, die einfachsten Nahrungsmittel in einfachem Thongeschirr. Die täglichen Reinigungen durften nur mit fließendem Wasser vollführt werden, welches die Vestalinnen aus dem Quell der Egeria in Krügen auf dem Kopf herbeitrugen. Der Tempel war bis auf einen nur den Vestalinnen zugänglichen Raum, in dem sich das Palladium (s. d.) mit andern geheimen Heiligtümern befand, bei Tage jedem zugänglich; nur nachts war der Zutritt Männern untersagt. Als Göttin des heiligen Herdfeuers der einzelnen Häuser und der ganzen Stadt war V. auch die Göttin jedes Opferfeuers, daher wurde sie wie Janus bei jedem Gottesdienst mit verehrt, und wie jener zuerst, so wurde sie zuletzt genannt. Ein eignes Fest, die Vestalia, wurde ihr am 9. Juli gefeiert; die Matronen der Stadt wallfahrteten dann barfüßig zu ihrem Tempel, um den Segen der Göttin für den Haushalt zu erflehen, und brachten ihr in einfachen Schüsseln Speisopfer dar, und zur Erinnerung an die Zeit, wo der Herd allgemein auch zum Backen des Brots diente, hielten Müller und Bäcker Feiertag, wurden die Mühlen bekränzt und den Müllereseln Kränze und Brote umgehängt. Der Dienst der V. erhielt sich bis in die letzten Zeiten des Heidentums; erst 382 n. Chr. hob ihn Gratian auf. Gab es auch in den Tempeln kein Bild der Göttin, so fehlte es doch im spätern Rom daran nicht; wie die griechische Hestia wurde sie bald stehend, bald sitzend dargestellt, ganz bekleidet und verschleiert, mit den Attributen der Opferschale, der Fackel, des Zepters und des Palladiums.

Vestalinnen (vestalische Jungfrauen), die Priesterinnen der Vesta (s. d.), deren es anfangs vier, später sechs gab. Schon Rhea Sylvia soll eine Vestalin gewesen sein. Ursprünglich wurden die V. von den Königen gewählt, nach deren Vertreibung von dem Pontifex maximus und zwar mittels des Loses unter 20 dazu ausersehenen Mädchen. Nach der Wahl erfolgte im Atrium Vestae die Inauguration. Ein Haupterfordernis war in den frühern Zeiten patrizische Geburt; ferner durfte die zu Wählende nicht älter als zehn und nicht jünger als sechs Jahre und mußte von makelloser Körperbeschaffenheit sein. Beide Eltern mußten noch leben und in Italien wohnen. Von der Verpflichtung zum Dienste der Vesta befreiten nur bestimmte Familienverhältnisse. Jede Vestalin mußte von ihrer Aufnahme an 30 Jahre in ihrer Stellung verharren, die ersten 10 Jahre lernend, die zweiten 10 ausübend, die letzten 10 lehrend. Nach Verlauf dieser Zeit durfte die Vestalin sich exaugurieren lassen und heiraten. Ihre Pflichten bestanden in Erhaltung des ewigen Feuers im Tempel der Vesta, in Bewachung des Palladiums und andrer Heiligtümer und in Verrichtung der regelmäßigen Opfer. Verletzung der Keuschheit wurde seit Tarquinius Priscus mit Lebendigbegraben bestraft; der Verführer wurde zu Tod gegeißelt. Verlöschung des heiligen Feuers ward mit Geißelhieben geahndet. Die V. genossen großes Ansehen, galten als unverletzlich, schützten durch ihre Gegenwart vor Gewaltthat und konnten selbst Verbrecher, denen sie auf ihrem Todesgang begegneten, begnadigen. Ihrer Unverletzlichkeit halber deponierte man bei ihnen Testamente oder andre Verträge. Sie hatten das Recht, im Wagen durch die Stadt zu fahren, und einen besondern Platz im Theater, nahe bei der Bühne; wenn sie ausgingen, schritt ein Liktor vor ihnen her. Ihre Kleidung bestand in einem langen, weißen Gewand, in einer Stirnbinde (infula) mit herabfallenden Flechten. Das Institut bestand bis auf Theodosius. Vgl. Jordan, Der Tempel der Vesta und das Haus der V. (Berl. 1886).