Schnellsuche:

Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Wallis

367

Wallis (Kanton).

Großverkehr diente und der Simplon (2010 m) die erste aller schweizerischen Alpenstraßen erhielt. In neuester Zeit wurde das Oberwallis auch mit der Zentralschweiz in fahrbare Verbindung gebracht durch die nach dem Urner Thal Ursern führende Furkastraße (2436 m). Unter den Bergpfaden, welche als Übergänge der Walliser Alpen dienen, sind hervorzuheben: Nufenen (2441 m) und Gries (2448 m), im obersten Teil des W.; Monte Moro (2862 m) und Matterjoch (3322 m), aus den Quellthälern der Visp; Col de Colon (3130 m), aus dem Val d'Hérens; Col de Fenêtre (2786 m), in der Nähe des Großen St. Bernhard; Col de Balme (2204 m), der viel begangene Übergang aus dem untern Rhônethal nach Chamonix; ferner als Pässe der Berner Alpen: Pas de Cheville (2036 m), Rawyl (2421 m), Gemmi (2302 m) und Grimsel (2165 m). Die höchste Erhebung der Walliser Alpen findet sich in der 4638 m hohen Dufourspitze des Monte Rosa (s. d.); die Berner Alpen, auf der rechten Thalseite, kulminieren im Finsteraarhorn (4275 m). Den tiefsten Punkt der Oberfläche bildet der Spiegel des Genfer Sees (375 m). Entsprechend der orographischen Mannigfaltigkeit, bietet das W. auch die größten klimatischen Unterschiede. Ein Weg von wenigen Stunden führt aus heißen Thalkesseln in nordische Kälte. Während der Hauptort Sion eine Jahrestemperatur von 10° C., ein Sommermittel von 19° hat, sinken diese Zahlen im Kloster des Großen St. Bernhard (2478 m ü. M.) auf -1,3, resp. +6° C.

Der Kanton W. zählte 1888 eine Bevölkerung von 101,837 Seelen. Das Volk, durchaus katholisch, ist in Oberwallis deutscher, im Unterwallis, etwa von Siders an, französischer Abstammung. Die Oberwalliser sprechen einen sehr eigentümlichen Dialekt; sie gelten für ernst, ruhig, entschlossen, strenggläubig, wenig intelligent. Der Unterwalliser hat keltisch-romanisches Blut, spricht ein französisches Patois, ist rühriger und lebenslustiger. Im allgemeinen aber ist das Volk nicht besonders kräftig, arm, vernachlässigt, sein Kulturzustand niedrig. In den Seitenthälern finden sich noch manche merkwürdige Gebräuche und viel patriarchalische Sitteneinfalt. Es gibt noch 10 Klöster mit 180 Ordensgliedern und einem Vermögen von 1 Mill. Frank. Das Land bildet die Diözese Sion, welche auf Valeria ein Priesterseminar besitzt. Die tiefern Thäler sind treffliche Wein- und Obstgebiete, auch mit stattlichen Walnuß- und Kastanienbäumen, bis Sion hinauf sogar mit Südfrüchten geziert, dagegen der größte Teil des Areals zum Hirtenland bestimmt. Das Rindvieh (70,032 Stück) gehört im Oberwallis der Braun-, unterhalb Sion der Fleckrasse an. Die Schafe sind zwar zahlreich (59,312), liefern aber grobe Wolle. Stark ist auch der Bestand an Ziegen (28,951) und Schweinen (15,657), geringer an Maultieren (2161) und Eseln. Bienenzucht wird stark betrieben. Das W. ist einer der beiden metallreichsten Kantone, der einzige, wo jetzt Bergbau auf Blei betrieben wird (im Lötschenthal). Bei Riddes wurden eine Zeitlang die silberhaltigen Bleierze von Nendaz, Isérable etc. verschmolzen; aber der Betrieb mußte wegen zu geringen Ertrags aufgegeben werden. Ebensowenig erhielt sich die Ausbeutung der Kupfer- und Nickelerzminen im Val d'Anniviers, deren Verhüttung in Siders geschah. An einigen Stellen findet sich goldhaltiger Schwefelkies. Beträchtlich sollen die Eisenerzlager von Martigny und Val d'Illiez sein. In der Gegend von Sion, bei Grone und Chandoline, sind Anthracitlager im Abbau. Die Kristalle und andre Mineralien aus den Thälern von Saas, Zermatt, Binnen, Viesch veranlassen einen ziemlich lebhaften Handel. Berühmt sind die Heilwässer von Leuk und Saxon (s. d.). Der Handel mit Walliser Weinen und Trauben hat neuerdings einen großen Aufschwung genommen. Zu den 40 alten roten und weißen Rebsorten haben sich neue gesellt, so der berühmte Johannisberger, der um Sion ausgezeichnet gedeiht. Der hier erzeugte Malvasier steht den feurigsten Ungarweinen nicht nach. Der lässigen Forstwirtschaft wird neuerdings durch eine vernünftige Gesetzgebung entgegengearbeitet. Das W. hat einige große Märkte, wie Sion und Martigny, aber keinen Großhandelsplatz. Der Haupttransit geht über den Simplon. Die Eisenbahn (Ligne d'Italie) führt vom Seehafen Bouveret über St.-Maurice, wo die Waadtländer Bahn einmündet, und Martigny-Sion vorläufig bis Brieg. Eine Haupteinnahmequelle bildet im Sommer der Touristenverkehr. Das W. besitzt nur in den Gymnasien zu Sion und Brieg höhere Schulen; die Lehrer- und Lehrerinnenseminare zu Sion und Brieg sind von primitiver Einrichtung. Die öffentlichen Bibliotheken des ganzen Kantons enthalten bloß 35,000 Bände. Das Staatswesen ist durch die Verfassung vom 13. Febr. 1876 neu geordnet. Es ist eine Repräsentativdemokratie geblieben, ohne das Referendum für Gesetze, Beschlüsse, Staatsverträge und Konkordate sowie ohne direkte Wahl der Exekutive und ohne Abberufung gegenüber der Legislative oder Exekutive; indessen sollen alle einmaligen Ausgaben über 50,000 Fr. und alle wiederkehrenden Ausgaben, welche in drei Jahren je 20,000 Fr. übersteigen, dem Volksentscheid unterliegen. Die kantonale Verwaltung wird je auf vierjährige Amtsdauer neu bestellt, die Legislative (Grand Conseil) direkt gewählt, je ein Mitglied auf 1000 Seelen, der Conseil d'État (fünf Mitglieder) indirekt gewählt, wie die Cour d'appellation. Der Kanton zerfällt in 13 Bezirke, deren jeder seinen Préfet oder Regierungsstatthalter hat, dem ein Bezirksrat beigegeben ist. Jede Gemeinde hat ihre Municipalité (Gemeinderat) und ihren Juge (Richter). Hauptstadt ist Sion. Die Staatsrechnung für 1887 ergibt an Einnahmen 1,193,155 Fr., an Ausgaben 1,147,693 Fr., also Überschuß der Einnahmen 45,462 Fr. Die Hauptposten der Einnahmen sind die Steuern, mit ca. 647,000, die »Hoheitsrechte« mit 324,000 Fr.; unter den Ausgaben fallen die stärksten Beträge auf die Staatsschuld, ca. 338,000, das Bauwesen 171,000 Fr. etc., während der Unterricht kaum 88,000 Fr. aufweist. Zu Ende 1887 betrugen die Aktiva 3,819,151, die Passiva 6,778,777 Fr., also Überschuß der letztern 2,959,626 Fr.

[Geschichte.] Das abgeschlossene Becken des obern Rhône, von den Römern schlechthin Vallis, d. h. Thal, genannt, war im Altertum von den keltischen Stämmen der Nantuaten, Seduner und Veragrer sowie den ligurischen Viberern bewohnt. Von Cäsar 57 v. Chr. unterworfen, wurde es von Augustus Rätien einverleibt, später jedoch wegen seiner Pässe über den Großen St. Bernhard und Simplon als besondere Statthalterschaft, mit Octodurum (Martinach) als Hauptstadt, organisiert. Um 480 geriet das Thal unter die Botmäßigkeit der Burgunder, deren König Siegmund auf dem Grab des Märtyrers Mauritius das berühmte Kloster St.-Maurice stiftete (516). Mit dem Burgunderreich kam es 534 an die Franken und wurde 888 ein Bestandteil des neuburgundischen Reichs. Rudolf III. (993-1032) verlieh die Grafschaft über W. dem Bischof von Sitten; um 1250 aber riß das Haus Savoyen das romanische Unter-^[folgende Seite]