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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Wärme

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Wärme (Schmelzen, Verdampfen, Sieden etc.; mechanische Theorie der Gase).

Menge der zugeführten W. oder Arbeit verbraucht, indem sie innere Arbeit leistet. Besteht auch noch ein äußeres, der Ausdehnung widerstrebendes Hindernis, wie z. B. der Druck eines den Körper umgebenden Gases, so muß auch dieses überwunden werden; der hierzu nötige Aufwand von Energie (W. oder Arbeit) leistet demnach äußere Arbeit. Wird der Körper wieder auf seinen anfänglichen Zustand zurückgebracht, so gibt er die gesamte ihm zugeführte Wärmemenge wieder heraus, auch diejenige, welche zu innerer und äußerer Arbeit verbraucht und dabei als W. verschwunden war.

Durch fortgesetzte Erwärmung eines festen Körpers wird der Zusammenhang seiner Moleküle immer mehr gelockert; die Moleküle entfernen sich voneinander und erreichen endlich die Grenzen des engen Bezirks, innerhalb welcher die Molekularkräfte wirksam sind. Die Kohäsion ist jetzt nicht mehr mächtig genug, die Moleküle in ihre Gleichgewichtslage zurückzuführen; dieselben verlassen daher ihre bisherigen festen Plätze und nehmen eine fortschreitende Bewegung an, indem sie nebeneinander fortgleiten und sich verschieben, ohne sich jedoch, da ein geringer Grad von gegenseitiger Anziehung noch vorhanden ist, völlig voneinander zu trennen: der Körper geht in den flüssigen Zustand über, er schmilzt. Ist der Schmelzpunkt erreicht, so wird die noch weiter zugeführte W. nicht mehr zu höherer Erwärmung, sondern zu innerer Arbeit verwendet, indem sie die Kräfte zu überwinden hat, welche die Moleküle in ihrem bisherigen Gleichgewichtszustand zurückhielten. Diese zu innerer Arbeit verbrauchte und daher verschwundene W. nennt man Schmelzwärme oder auch, mit einem der Wärmestofftheorie entlehnten Ausdruck, latente oder gebundene W. Diese ganze innere Arbeit muß, wenn der geschmolzene Körper erstarrt, wieder in der Form von W. zum Vorschein kommen, oder, wie man sich im Sinn der ältern Anschauung ausdrückte, die beim Schmelzen gebundene W. wird beim Erstarren wieder frei.

An der freien Oberfläche der Flüssigkeit werden diejenigen Moleküle, welche die Grenze des Wirkungskreises ihrer Nachbarmoleküle überschreiten, von diesen nicht mehr zurückgezogen, sondern sie fliegen mit der Geschwindigkeit, welche sie im Augenblick des Überschreitens besaßen, in den über der Flüssigkeit befindlichen Raum geradlinig hinaus. Diese frei dahinschießenden, von den Fesseln der Kohäsion völlig befreiten Moleküle befinden sich nun im gas- oder luftförmigen Zustand, sie bilden den aus der Flüssigkeit sich entwickelnden Dampf. Dieses Verdampfen, nämlich das Loslösen und Fortfliegen einzelner Moleküle von der Oberfläche der Flüssigkeit, findet bei jeder Temperatur statt, jedoch selbstverständlich um so reichlicher, je höher die Temperatur der Flüssigkeit, d. h. je lebhafter die Bewegung ihrer Moleküle ist. Da bei der Verdampfung stets diejenigen Moleküle davonfliegen, welche zufällig die größte Geschwindigkeit besitzen, so muß die durchschnittliche Bewegungsenergie der zurückbleibenden geringer werden, d. h. die verdampfende Flüssigkeit kühlt sich ab (Verdunstungskälte), wenn der Energieverlust nicht durch Wärmezufuhr von außen gedeckt wird. Im Innern der Flüssigkeit kann erst dann Dampf entstehen, wenn die Bewegung der Moleküle so lebhaft geworden ist, daß ihr Bestreben fortzufliegen den Druck der Flüssigkeit und den auf ihr lastenden Luftdruck zu überwinden vermag. Ist die hierzu erforderliche Temperatur, der Siedepunkt, erreicht, so verwandelt sich die Flüssigkeit rasch und stürmisch in Dampf, sie siedet, indem alle zugeführte W. zu innerer Arbeit, nämlich zum Zerreißen der letzten Bande der Kohäsion, als Verdampfungswärme verbraucht oder, wie man früher sagte, »gebunden« wird. Daß der Siedepunkt einer Flüssigkeit um so tiefer liegt, einem je geringern Druck sie ausgesetzt ist, ergibt sich hieraus von selbst.

Wir sind hiermit zu derjenigen Vorstellung über die molekulare Beschaffenheit der luftförmigen Körper gelangt, welche man die mechanische oder kinetische Theorie der Gase nennt. Nach dieser Anschauung sind die Moleküle eines Gases in rascher gradlinig fortschreitender Bewegung begriffen, sie fliegen nach den verschiedensten Richtungen durch den Raum und durchlaufen, indem sie unzähligemal aneinander und an entgegenstehenden Hindernissen wie elastische Bälle zurückprallen, einen vielfach verschlungenen, zickzackförmigen Weg. Alle bekannten Eigenschaften der Gase lassen sich aus dieser über die Bewegung ihrer Moleküle gemachten Annahme erklären. Der Druck, welchen ein in rings geschlossenem Gefäß enthaltenes Gas auf dessen Wände ausübt, wird hervorgebracht durch die unaufhörlichen Stöße der anprallenden Gasmoleküle; eben weil diese Stöße in kurzer Zeit nach allen Richtungen erfolgen, muß aus ihrer vereinten Wirkung ein zur Wand senkrechter Druck hervorgehen, dessen Größe der Wucht der stoßenden Moleküle proportional ist und demnach in demselben Verhältnis wie diese Wucht, d. h. proportional der Temperaturzunahme, wächst (Gay-Lussacs Gesetz). Preßt man, ohne die Temperatur zu ändern, die abgesperrte Gasmenge auf die Hälfte, ein Drittel etc. ihres anfänglichen Raums zusammen, so werden in derselben Zeit auf die gleiche Fläche der Wand zwei-, dreimal etc. so viele Moleküle stoßen mit der nämlichen Wucht wie vorher, der Druck wird also der doppelte, dreifache etc. des anfänglichen geworden sein. Wir kommen so zu dem Mariotteschen Gesetz: der Druck eines Gases steht im umgegekehrten Verhältnis seines Rauminhalts.

Betrachten wir jetzt gleiche Raumteile verschiedener Gase bei gleicher Temperatur und gleichem Druck. Daß ihre Temperaturen gleich sind, heißt nichts andres, als daß ihren Molekülen die nämliche Wucht innewohnt, oder daß jedes Molekül des einen Gases mit derselben Heftigkeit gegen die Gefäßwand prallt wie jedes Molekül des andern. Soll dabei der Druck der Gase der nämliche sein, so müssen bei jedem Gas während der Zeiteinheit gleich viele Moleküle gegen die Flächeneinheit stoßen; wir sind hiermit zu dem Avogadroschen Gesetz gelangt, daß in gleichen Raumteilen verschiedener Gase immer die gleiche Anzahl von Molekülen enthalten ist. Die Molekulargewichte gasförmiger Körper verhalten sich demnach wie die Gewichte gleicher Raumteile oder, was dasselbe heißt, wie ihre spezifischen Gewichte.

Erwärmen wir ein Gas, ohne ihm eine Raumänderung zu gestatten, d. h. während es in einem Gefäß von unveränderlichem Inhalt eingeschlossen bleibt, so hat die zugeführte W. weder äußere noch innere Arbeit zu vollbringen, weil ja weder die Überwindung eines äußern Drucks noch diejenige widerstrebender Molekularkräfte stattfindet. In diesem Fall wird also alle zugeführte W. einzig und allein zur Erwärmung, d. h. zur Vermehrung der molekularen Wucht, verwendet. Man nennt die Wärmemenge, welche nötig ist, um 1 kg eines Gases ohne gleichzeitige Raumvergrößerung um 1° C. zu erwärmen, seine spezifische W. (oder Wärmekapazität) bei unverändertem Rauminhalt (bei konstantem Volu-^[folgende Seite]