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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Weben

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Weben (Spulen, Scheren, Schlichten etc.).

sieht man die Webstühle mit einer sogen. Wechsellade, welche die mit Garn von verschiedener Farbe versehenen Schützen aufnimmt und in der vorgeschriebenen Reihenfolge zum Eintrag bringt. Was die Produktionsfähigkeit der mechanischen Stühle anbetrifft, so wird z. B. zu Baumwollzeugen von 0,9 m Breite die Schütze 120-150mal in einer Minute bewegt, wobei wenigstens ein Drittel der Zeit durch das Anknüpfen der gerissenen Fäden, Erneuerung der Spule in der Schütze etc. verloren geht, so daß nur durchschnittlich 90 Fäden wirklich eingeschossen werden; enthält nun 1 m 2800 Fäden, so wird der Stuhl in 12 wirklichen Arbeitsstunden 23 m fertigen, während ein tüchtiger Handweber nur 7-8 m desselben Zeugs in 12 Stunden verfertigen kann. Bei 0,87 m breiten Kattunen aus Garn Nr. 16-30 hat man es auf 200 Einschüsse in der Minute gebracht; beim W. von Leinwand aber muß der Stuhl langsamer gehen, weil das leinene Garn leichter reißt als baumwollenes. Man kann für diesen Fall 90-95 Einschüsse rechnen, wenn die Kette 0,8-0,87 m, und nur 75, wenn sie 1,16 m breit ist.

Dem W. selbst gehen die Arbeiten zur Vorbereitung der Kette und des Einschlags voraus. Erstere bestehen in dem Spulen oder Winden, dem Scheren, dem Aufbäumen, dem Schlichten für leinene und baumwollene, dem Leimen für wollene Stoffe, letztere in dem Aufspulen des Schußfadens und eventuell Anfeuchten desselben. Das Spulen der Kette, durch welches das in Strähnen bezogene Kettengarn auf Spulen von 80-150 mm Länge gewunden wird, erfolgt auf dem Spulrad oder der Kettenspulmaschine. Ersteres ist dem Handspinnrad ähnlich; die Spule wird mittels Schnurrades und Rolle gedreht und wickelt den von einer Garnwinde kommenden, durch die Hand gleichmäßig geleiteten Faden auf, während bei der Maschine gegen 100 Spulen die Fäden von ebenso vielen Haspeln abwinden, wobei sämtliche Fäden durch gläserne Ösen (Fadenleiter) gemeinsam auf- und abgeführt werden, um eine regelmäßige Bewickelung zu erzielen. Würde man nun so viel Spulen nebeneinander stellen, als die Kette Fäden hat, so könnte man direkt von denselben den Kettenbaum bewickeln. Hierzu würden jedoch oft mehrere tausend Spulen erforderlich sein, und man fügt daher als Zwischenoperation das Scheren ein, durch welches die zur Kette erforderliche Anzahl Fäden in den gehörigen gleichen Längen abgemessen und zweckmäßig zusammengelegt werden. Hierbei werden die von 20-60 Spulen kommenden Fäden gemeinschaftlich in einer Schraubenlinie auf einen etwa 2 m hohen Haspel von 3,5 oder mehr Meter Umfang (Scherrahmen, Schermühle, Schweifstock) aufgewunden, der so viele Windungen erhält, daß ihre gesamte Länge der herzustellenden Länge der Kette gleich kommt, z. B. 50 m. Hierauf schlingt man die Fäden um zwei auf dem Umfang sitzende Holzstifte, dreht den Haspel rückwärts und läßt die Fäden auf derselben Schraubenlinie zurückgehen bis zum Anfang, wodurch deren Zahl verdoppelt wird; kehrt man nun abermals um, so wird dieselbe verdreifacht und überhaupt durch vielfaches Hin- und Herdrehen des Scherbaums beliebig vervielfacht. Gehören also zu einer Kette z. B. 1800 Fäden, und sind 60 Spulen im Spulengestell (Scherlatte, Scherbank, Schweifgestell), so würde der Haspel 15mal vor- und 15mal zurückgedreht werden, bis die Schraubenwindungen diese 1800 Fäden enthalten, welche alle dieselbe Länge, nämlich die der Kette, erhalten haben. Zur weitern und bequemen Handhabung werden bei dem Scheren 20 oder 30 Fäden zu einem sogen. Gang vereinigt und, wie in Fig. 22 angedeutet ist, um die Stifte 4 und 5 geschlungen, welche am untern Ende des Haspels sitzen, während am obern Ende die Fäden einzeln durch die drei Stäbe 1, 2, 3 gezogen werden. Zieht man nach vollendetem Aufscheren statt der Stifte 2, 3, 4 und 5 Schnüre S ein, so kann man die Kette abnehmen, ohne die gewonnene Anordnung zu vernichten, d. h. an einem Ende sind die Fäden einzeln nebeneinander geordnet (Fadenkreuz), am andern die einzelnen Gänge (Gangkreuz). Die so vorbereitete Kette kann man nun leicht aufbäumen, d. h. sie in der betreffenden Breite des Stoffes und in gehöriger Verteilung auf den Kettenbaum winden. Man steckt durch die Kette, da, wo sich das Gangkreuz befindet, ein rundes Leistchen (Fitzrute), legt dieses in eine Nute des Kettenbaums und schließt letztern durch einen eingelegten vierkantigen Stab. Damit sich während der nun folgenden Drehung des Kettenbaums die einzelnen Gänge richtig nebeneinander legen, läßt man dieselben durch ein kammartiges Werkzeug (Öffner) von der Länge des Kettenbaums laufen.

Die Ketten aus Baumwolle oder Leinengarn werden ferner geschlichtet, die Kette aus Wollgarn oft geleimt, damit sie imstande sind, ohne Verletzung die vielfachen im Webstuhl vorkommenden Reibungen auszuhalten. Für Leinengarn genügt hierzu eine aus Kartoffeln bereitete dünne Mehlschlichte, die mit Bürsten dünn aufgestrichen wird; für baumwollene Garne benutzt man verschiedene Mischungen. Wollene Garne leimt man mit Leim, seidene mit Gummi arabikum oder mit Zuckerwasser. Bei dem Betrieb der Weberei auf Kraftstühlen wird das Scheren, Schlichten und Aufbäumen der Ketten durch zwei aufeinander folgende Maschinen dergestalt verrichtet, daß die erste Maschine (Schermaschine) eine große Zahl Fäden von den Spulen in gleicher Länge und parallel liegend auf einer Walze sammelt, worauf dann mittels der zweiten Maschine (Schlichtmaschine, Stärkemaschine) die Fäden von mehreren solchen Walzen zu einer vollständigen Kette vereinigt, mit Schlichte versehen und auf den Kettenbaum gebracht werden. Eine Schlichtmaschine besteht dem Wesen nach aus einem mit Dampfröhren T versehenen Trog (Fig. 23), welchem die Kette über eine Führungswalze r zugeführt wird, um zwischen den Walzen c a um b herum durch die Schlichte, dann durch das Walzenpaar d a zum Auspressen gebracht zu werden. Die Bürste s verreibt sodann die Schlichte zwischen den Fäden, welche über e und f zum Trocknen auf große Dampftrommeln laufen. Die Bürste n bürstet aus s die aufgenommene Schlichte wieder aus. So vorbereitet, wird der Kettenbaum in den Webstuhl eingelegt. Der zum Einschuß bestimmte Faden muß, um in der Schütze bequem angebracht zu werden, auf einer Spule oder Spindel aufgewickelt sein. Arbeitet man mit Kraftstühlen, so schiebt man die auf den Spinnmaschinen produzierten und von den Spindeln abgezogenen Garnwickel (Spindeln, Kötzer) sogleich auf eine in der Weberschütze befindliche Spindel; wo dies aber nicht angeht, muß der Einschußfaden mittels des Spulrades oder der Schußspulmaschine gespult werden. Letztere ist im allgemeinen nach denselben Prinzipien gebaut wie die Kettenspulmaschine. Die letzte Vorbereitungsarbeit besteht in dem Durchziehen der Kettenfäden durch die Schäfte (Einziehen, Passieren) mittels eines hakenartigen Werkzeugs (Einziehnadel) und durch das Rietblatt (Kammstechen) mittels des Blattmessers, eines mit einem schrägen Einschnitt versehenen messerartigen Werkzeugs.