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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Wellenbewegung

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Wellenbewegung.

Teilchen, deren Abstand voneinander eine halbe Wellenlänge oder ein ungerades Vielfaches einer halben Wellenlänge beträgt, zu einander in vollkommenem Gegensatz stehen.

Wirft man zwei Steine in einiger Entfernung voneinander in ruhiges Wasser, so entstehen zwei Wellensysteme, welche bei ihrer weitern Ausbreitung sich durchkreuzen; wo dies geschieht, sehen wir die Oberfläche von einem zierlichen Netzwerk kleiner Erhöhungen und Vertiefungen bedeckt, welche durch das Zusammenwirken oder durch die Interferenz der beiden Wellensysteme entstehen. An allen Stellen nämlich, wo zwei Wellenberge zusammentreffen, erhebt sich das Wasser zu doppelter Höhe, und wo zwei Wellenthäler sich durchkreuzen, senkt es sich zu doppelter Tiefe. An jenen Stellen dagegen, wo ein Wellenberg mit einem Wellenthal zusammentrifft, wird das Wasser auf seine ursprüngliche Höhe, die es im Ruhezustand einnimmt, zurückgeführt, d. h. hier heben sich die beiden Wellenbewegungen gegenseitig auf. Überhaupt erleidet in einem Mittel, welches von zweien oder beliebig vielen, gleichen oder ungleichen Wellensystemen bewegt wird, jedes Teilchen eine Verschiebung, welche die Summe ist aus allen ihm durch die einzelnen Wellensysteme in dem nämlichen Augenblick mitgeteilten Verschiebungen. Um diese Summe zu bilden, muß man alle Hebungen zusammenzählen, alle Senkungen abziehen; die wirklich stattfindende Bewegung des Teilchens ist sozusagen die Bilanz aus allen auf dasselbe einwirkenden Teilbewegungen. Man nennt diesen Satz das Prinzip der Übereinanderlagerung (Superposition) der Schwingungen, weil er in der That nichts andres aussagt, als daß jedes Wellensystem sich genau so über eine bereits von Wellen bewegte Oberfläche legt, wie es sich, wenn es allein vorhanden wäre, über die ruhende Oberfläche gelegt haben würde. Jedes Wellensystem bildet sich aus und behauptet sein besonderes Dasein im Durcheinanderwogen mit den andern und schreitet, nachdem es diese durchkreuzt und mit ihnen zusammengewirkt (interferiert) hat, auf der noch ruhigen Wasserfläche weiter, als ob es nie eine Störung erlitten hätte. Wir sehen z. B. die von den fallenden Regentropfen erregten zarten Wellenringe auf den großen, durch ein Dampfboot aufgewühlten Wogen ebensogut zu stande kommen wie im ruhigen See; wir sehen, wie diese Wogen, wenn sie eine vom Wind gekräuselte Stelle durchsetzen, die kleinen Kräuselwellen auf ihren Rücken nehmen, jenseits aber, die gekräuselte Fläche gleichsam unberührt zurücklassend, in ihrer ursprünglichen Gestalt weiterschreiten.

Während eine W. sich durch irgend ein Mittel fortpflanzt, ahmt jedes Teilchen die schwingende Bewegung des ursprünglich erregten Teilchens nach. Da nun jedes Teilchen zu den ihm benachbarten in derselben Beziehung steht wie das erste Teilchen zu seinen Nachbarteilchen, so muß es auf seine Umgebung genau die nämliche Wirkung hervorbringen wie das zuerst erregte, also ebensogut wie dieses der Ausgangspunkt eines Wellensystems sein. Die unzählig vielen gleichzeitig vorhandenen Teilwellensysteme, welche von sämtlichen in Bewegung befindlichen Teilchen ausgehen, bringen aber durch ihr Zusammenwirken (ihre Übereinanderlagerung) genau das Hauptwellensystem hervor, welches, rings um den Erregungsmittelpunkt sich ausbreitend, thatsächlich vorhanden ist. Dieser wichtige Satz, welchen man das Huygenssche Prinzip nennt, enthüllt den wahren Vorgang bei der Fortpflanzung der Wellen in einem allseitig ausgebreiteten Mittel, indem er den gegenseitigen Wirkungen der Teilchen, welche rings um jedes Teilchen in gleicher Weise stattfinden, gebührende Rechnung trägt. In einem solchen Mittel kann eine Fortpflanzung der schwingenden Bewegung längs einer einzigen geraden Linie offenbar nicht stattfinden; immer wird es sich um die Fortpflanzung einer Welle oder eines Wellenstücks handeln. Zu jedem Wellenstück aber, wie klein man sich dasselbe auch vorstellen mag, gehören unzählig viele Strahlen, welche zusammen ein Strahlenbündel ausmachen. In der Natur kommen niemals vereinzelte Strahlen, sondern nur Strahlenbündel vor. Da in einem nach allen Richtungen gleich beschaffenen Mittel die Wellen, z. B. die Schallwellen in der Luft, sich um den Erregungsmittelpunkt als Kugelschalen ausbreiten, so steht jeder Strahl als Kugelhalbmesser auf dem zugehörigen Wellenstückchen senkrecht. Denkt man sich dieses Wellenstückchen sehr klein oder sehr weit vom Erregungspunkt entfernt, so können die auf ihm senkrechten Strahlen als unter sich parallel und das Wellenstückchen selbst als eine ebene Fläche betrachtet werden. Überhaupt gehört zu einem Bündel paralleler Strahlen stets eine ebene Welle, welche zur Richtung der Strahlen senkrecht steht.

Sehen wir nun zu, was geschieht, wenn ein Bündel paralleler Strahlen a m a'' k auf eine ebene Wand m k, z. B. auf die ebene Trennungsfläche zweier verschiedenartiger Mittel, trifft (Fig. 2). Indem die zu dem Strahlenbündel gehörige ebene Welle m n gegen die Wand fortschreitet, setzt sie nach und nach die an der Wand liegenden Teilchen m, m', k in schwingende Bewegung, und jedes derselben entsendet (dem Huygensschen Prinzip gemäß) sein eignes Wellensystem in das erste Mittel zurück. In dem Augenblick, in welchem der Punkt k der Fläche von der einfallenden Welle erreicht wird, hat der zuerst getroffene Punkt m eine kreis- oder kugelförmige Teilwelle hervorgerufen, welche sich rings um m ebenso weit ausgebreitet hat, als die Hauptwelle mittlerweile fortgeschritten ist, deren Halbmesser m o sonach gleich der Strecke n k ist. Die zwischen m und k gelegenen Punkte haben inzwischen ebenfalls Teilwellen (Elementarwellen) erzeugt, deren Halbmesser um so kleiner sind, je näher sie dem augenblicklich noch in Ruhe befindlichen Punkt k liegen, der Punkt m' z. B. eine Welle, deren Halbmesser m' o' gleich k n' ist. Die gemeinschaftliche Berührungslinie k o sämtlicher Teilwellen, an welcher alle Bewegungen mit gleichen Schwingungszuständen eintreffen, stellt nun wieder eine Hauptwelle dar, welche von der Trennungsfläche in das erste Mittel zurückgeht oder, wie man sagt, an dieser Fläche zurückgeworfen wurde. Wie man sieht, ist die zurückgeworfene Welle k o gegen die zurückwerfende Fläche m k unter dem nämlichen Winkel geneigt wie die einfallende. Das zugehörige zurückgeworfene Strahlenbündel m l k r, dessen Strahlen m l, m' s, k r zu der Welle k o senkrecht stehen, bildet mithin ebenfalls mit der Fläche m k und folglich auch mit einer auf ihr errichteten Senkrechten, dem Einfallslot, den nämlichen Winkel wie das einfallende Strahlenbündel.

Von den durch die ankommende Welle erschütterten Punkten der Trennungsfläche aus müssen aber

^[Abb.: Fig. 2. Erklärung der Zurückwerfung.]