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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Westfalen

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Westfalen (Herzogtum, westfälischer Kreis, Königreich).

torien aus, wie die Grafschaft Mark, andre wurden von Köln als Reichslehen erworben, wie die Grafschaft Arnsberg 1368. Das Herzogtum W. gehörte zum niederrheinischen Kreis und umfaßte einen Flächenraum von ca. 3965 qkm (72 QM.) mit 195,000 Bewohnern in 25 Städten und 9 Freiheiten. Seiner polnischen Einteilung nach zerfiel das Herzogtum in vier Quartiere: das Rüdensche, Werlsche, Bilsteinsche und Brilonsche Quartier. Unter kölnischer Herrschaft hatte W. eine eigne Verfassung, Grundgesetze und Landtage; diese wurden zu Arnsberg gehalten, wo auch die Regierung war. Das höchste Regierungskollegium war die westfälische Kanzlei, der ein Landdrost vorstand, welcher zugleich kurfürstlicher Statthalter war. Die Landeseinkünfte betrugen 400,000 Gulden. Infolge des Reichsdeputationshauptschlusses von 1803 wurde das Herzogtum mit Ausnahme der an Hessen-Kassel gefallenen Stadt Volkmarsen zur Entschädigung an Hessen-Darmstadt gegeben. Letzteres trat auf dem Wiener Kongreß das Herzogtum an Preußen ab, das daraus die zum Regierungsbezirk Arnsberg gehörenden Kreise Arnsberg, Brilon, Olpe, Meschede und Lippstadt bildete.

Der westfälische Kreis (niederländische Kreis) begriff das Land zwischen Weser und Niederrhein bis zur Lahn im S. mit Ausschluß des kölnischen Herzogtums W., auch ansehnliche Landesbezirke jenseit des Rheins, war vom burgundischen, oberrheinischen, niederrheinischen, niedersächsischen Kreis und der Nordsee begrenzt und umfaßte einen Flächenraum von 68,825 qkm (1250 QM.). Seine Bestandteile waren: die Stifter Münster, Paderborn, Osnabrück, Lüttich und ursprünglich auch Utrecht; die Abteien Korvei, Stablo, Werden, Essen, Herford etc.; die Herzogtümer Jülich, Kleve, Berg und Oldenburg; die Fürstentümer Minden, Werden, Ostfriesland, Mörs und die nassauischen Lande; die Grafschaften Mark, Ravensberg, Hoya, Diepholz, Blankenheim, Gerolstein, Manderscheid, Schaumburg-Lippe, Sayn, Bentheim, Tecklenburg, Lingen, Steinfurt, Rietberg, Virneburg, Wied, Pyrmont, Schleiden, Gimborn und viele kleinere geistliche und weltliche Herrschaften sowie die Reichsstädte Köln, Aachen, Soest und Dortmund. Kreisausschreibende Fürsten und Direktoren waren der Bischof von Münster und der Herzog von Jülich, dessen Stelle im 17. Jahrh. Brandenburg und Pfalz-Neuburg einnahmen. Die Kreistage wurden in Köln oder Bielefeld gehalten. Vgl. Seibertz, Landes- und Rechtsgeschichte des Herzogtums W. (Bd. 1: »Landesgeschichte bis 1508«, in 4 Teilen, Arnsb. 1845 bis 1875; Bd. 2-4: »Urkundenbuch«, das. 1839-54); Derselbe, Quellen der westfälischen Geschichte (das. 1857-60, 2 Bde.).

Westfalen, ehemaliges Königreich (s. »Geschichtskarte von Deutschland IV«), Vasallenstaat des franz. Kaiserreichs, vom Kaiser Napoleon I. zufolge der Bestimmungen des Tilsiter Friedens durch Dekret vom 18. Aug. 1807 aus dem Herzogtum Braunschweig, Kurhessen (ohne Hanau, Schmalkalden und Nieder-Katzenelnbogen), den preuß. Gebietsteilen Altmark, Magdeburg, Halberstadt, Hohnstein, Hildesheim, Goslar, Quedlinburg, Eichsfeld, Mühlhausen, Nordhausen, Paderborn, Minden, Ravensberg, Münster und Stolberg-Wernigerode, den hannöv. Gebieten Göttingen, Grubenhagen, den Harzdistrikten und Osnabrück, dem sächsischen Anteil an der Grafschaft Mansfeld und den sächsischen Ämtern Gommern, Querfurt, Barby und Treffurt, dem Gebiet von Korvei und der Grafschaft Kaunitz-Rietberg gebildet, im ganzen 37,883 qkm (688 QM.) mit fast 2 Mill. Einw. Napoleon I. gab das Königreich, dessen Einkünfte 9,250,000 Thlr. betrugen, und das zum Rheinbund ein Kontingent von 25,000 Mann zu stellen hatte, seinem jüngsten Bruder, Hieronymus (Jérôme), der am 10. Dez. in seiner neuen Residenz Kassel eintraf und dem Land eine vom 15. Nov. datierte, der französischen nachgebildete Verfassung verlieh. Die Reichsstände bestanden aus 100 Mitgliedern, nämlich 70 Vertretern des Grundeigentums, 15 der Kaufleute oder Fabrikanten und 15 des gelehrten Standes. Die Verfassung enthielt viele liberale Grundsätze und verhieß wichtige Reformen; daneben bestand aber eine durchaus büreaukratische, von drei Franzosen (Jollivet, Siméon und Beugnot) geleitete Verwaltungsmaschine, welche das Land in kurzer Frist nach französischem Muster organisierte, in acht Departements einteilte etc., und Kaiser Napoleon maßte sich jederzeit das Recht an, aus polizeilichen oder militärischen Gründen einzuschreiten. Die Hälfte aller Domänen hatte er sich zur Belohnung seiner Generale vorbehalten, und ferner mußte das Land eine 12,500 Mann starke französische Besatzung in Magdeburg unterhalten. Außerdem waren noch bedeutende Reste der den einzelnen Provinzen auferlegten Kriegssteuer (35 Mill.) an Frankreich zu zahlen. Die Finanzen des Königreichs waren daher von Anfang an in verzweifelter Lage, da die Lasten die Einkünfte um das Dreifache überstiegen, und den beiden verdienstvollen deutschen Finanzministern v. Bülow und Malchus gelang es nicht, Ordnung zu schaffen. Die Reichsstände traten nur zusammen, um die Komödie eines Scheinkonstitutionalismus aufzuführen. Handel und Industrie lagen danieder, der Ackerbau ward durch Steuern und Einquartierung bedrückt, die Jugend durch die Konskription zum Kriegsdienst für die Sache des fremden Tyrannen gepreßt. Vor allem erregte den Unmut des sonst geduldigen Volkes das liederliche, wüste Treiben des üppigen Hofs, an dem sich um den gutmütigen, aber schwachen und leichtsinnigen König unwürdige französische Abenteurer drängten, die das Volk aussogen und seiner Leiden spotteten. Kattes und Dörnbergs Unternehmen 1809 sowie Schills Streifzug, der Aufstand des hessischen Obersten Emmerich 24. Juli im Marburgischen und der Zug des Herzogs von Braunschweig bewiesen, obwohl sie erfolglos blieben, die im Volk herrschende Mißstimmung. Die Vereinigung des größten Teils von Hannover außer Lauenburg (14. Jan. 1810), wodurch dem Königreich W. 25,769 qkm (468 QM.) mit 647,000 Menschen zufielen, brachte diesem keinen Gewinn, denn Hannover war seit 1806 methodisch von den Franzosen ausgesogen, und fast alle Domänen waren an französische Generale verteilt worden; auch ward 1812 alles Land zwischen der Nordsee und einer von dem Einfluß der Lippe in den Rhein zur Ems oberhalb Telgte, sodann zum Einfluß der Westfälischen Werra in die Weser und endlich zur Elbe oberhalb des Einflusses der Stecknitz in dieselbe gezogenen Linie mit Frankreich vereinigt, so daß W. von nun an nur 45,427 qkm (825 QM.) mit 2,065,970 Seelen enthielt. Dazu kam, daß W. die Verpflegung von noch 6000 Franzosen übernehmen und sein Rheinbundskontingent erhöhen mußte. 1813 mußten sich die Bewohner Westfalens noch zu den härtesten Opfern verstehen, um das in Rußland vernichtete Heer und Armeematerial wieder neu herzustellen. Die Androhung der Todesstrafe für jede Desertion und dreijähriger öffentlicher Zwangsarbeit für jeden widerspenstigen Konskribierten zeigte deutlich, daß unter der jungen Mannschaft keine Kampflust für französische Interessen vorhanden war; bereits im August