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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Wieland

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Wieland.

eignen Worten die »Wiederherstellung seiner Seele in ihre natürliche Lage« ankündigen oder geschehen zeigen. In Bern trat der Dichter in sehr nahe Beziehungen zu der Freundin Rousseaus, Julie Bondeli. 1760 nach Biberach zurückgekehrt, erhielt er eine amtliche Stellung in seiner Vaterstadt, deren kleinbürgerliche Verhältnisse ihm minder drückend wurden, nachdem er auf dem Schloß des Grafen Stadion, der sich nach dem Biberach benachbarten Warthausen zurückgezogen, eine Stätte feinster weltmännischer Bildung, mannigfachste persönliche Anregung und eine vortreffliche Bibliothek gefunden hatte. In Warthausen traf W. auch seine ehemalige Geliebte, die mit ihrem Gatten bei Stadion lebte, wieder. Der Verkehr mit den genannten und andern Personen, die sich in jenem hochgebildeten Kreis bewegten, vollendete Wielands Bekehrung ins »Weltliche«. Jetzt erst trat seine schriftstellerische Thätigkeit in die Epoche, die seinen Ruhm und seine Bedeutung für die nationale Litteratur umfaßt. Um 1761 wurde der Roman »Agathon« (Frankf. 1766) begonnen, 1764 »Don Silvio von Rosalva, oder der Sieg der Natur über die Schwärmerei« (Ulm 1764) vollendet; daneben hatte seit 1762 die Ausführung einer der verdienstlichsten Arbeiten Wielands, seine Übertragung des Shakespeare (Zürich 1762-66, 8 Bde.), begonnen. Mit den beiden oben genannten Romanen und den Dichtungen: »Musarion, oder die Philosophie der Grazien« (Leipz. 1768) und »Idris« (das. 1768), in den nächsten Jahren den Erzählungen: »Nadine« (das. 1769), »Combabus« (das. 1770), »Die Grazien« (das. 1770) und »Der neue Amadis« (das. 1771) betrat W. seinen neuen Weg und verkündete eine Philosophie der heitern Sinnlichkeit, der Weltfreude, der leichten Anmut, welche im vollen Gegensatz zu den Anschauungen seiner Jugend stand. Inzwischen hatte W., der seit 1765 mit einer Augsburgerin verheiratet war, einem durch Riedel in Erfurt vermittelten Ruf an die dortige Universität im Sommer 1769 Folge gegeben. Seine Lehrthätigkeit, die er mit Eifer betrieb, that seiner dichterischen Produktivität wenig Abbruch. In Erfurt verfaßte er, außer einigen der oben genannten Schriften, noch das Singspiel »Aurora«, die »Dialoge des Diogenes« und den lehrhaften Roman »Der goldene Spiegel, oder die Könige von Scheschian« (Leipz. 1772), welcher ihm den Weg nach Weimar bahnte. 1772 berief ihn die Herzogin Anna Amalie von Sachsen-Weimar zur litterarischen Erziehung ihrer beiden Söhne nach Weimar. Hier trat W. in den geistig bedeutendsten Lebenskreis des damaligen Deutschland, der schon bei seiner Ankunft Männer wie Musäus, v. Knebel, Einsiedel, Bertuch u. a. in sich schloß, aber bald darauf durch Goethe und Herder erst seine höchste Weihe und Belebung erhielt. W. bezog unter dem Titel eines herzoglichen Hofrats einen Gehalt von 1000 Thlr., welcher ihm auch nach Karl Augusts Regierungsantritt als Pension verblieb. In behaglichen, ihn beglückenden Lebensverhältnissen entfaltete er eine frische und sich immer liebenswürdiger gestaltende poetische und allgemein litterarische Thätigkeit. Mit dem Singspiel »Die Wahl des Herkules« und dem lyrischen Drama »Alceste« (1773) errang er reiche Anerkennung. In der Zeitschrift »Der teutsche Merkur«, deren Redaktion er von 1773 bis 1789 führte, ließ er fortan die eignen dichterischen Arbeiten zunächst erscheinen, neben denen er auch eine ausgebreitete kritische Thätigkeit übte, die lange Zeit hindurch sich auf fast alles, was für die litterarische Welt, vorzüglich die deutsche, von Bedeutung war, erstreckte (vgl. Burkhardt, Repertorium zu Wielands deutschem Merkur, Jena 1873). Wielands im »Merkur« abgedruckte »Briefe über Alceste« (September 1773) gaben Goethe und Herder Ärgernis und riefen des erstern Farce »Götter, Helden und W.« hervor, auf welchen Angriff W. mit der ihm in der zweiten Hälfte seines Lebens fast unverbrüchlich eignen heitern Milde antwortete. Als Goethe bald darauf nach Weimar übersiedelte, bildete sich zwischen ihm und W. ein dauerndes Freundschaftsverhältnis, dem der überlebende Altmeister nach Wielands Tod in seiner schönen Denkrede auf W. ein unvergängliches Denkmal gesetzt hat. Goethe gewann auch den stärksten Einfluß auf Wielands Bestrebungen in der dritten Periode, in deren Werken sich die besten und rühmlichsten Eigenschaften unsers Dichters gleichsam konzentrieren, während seine Neigung zur ermüdenden Breite und zur sinnlichen Lüsternheit bis auf einen gewissen Punkt überwunden wurde. Die »Geschichte der Abderiten« (Leipz. 1781; besprochen von Seuffert, Berl. 1878), das romantische, farbenreiche Gedicht »Oberon« (Weim. 1781), die prächtigen poetischen Erzählungen: »Das Wintermärchen«, »Geron der Adelige«, »Schach Lolo«, »Pervonte« u. a., gesammelt in den »Auserlesenen Gedichten« (Jena 1784-87), entstanden in den ersten Jahrzehnten zu Weimar. Dazu gesellten sich die treffliche Bearbeitung von »Lukians sämtlichen Werken« (Leipz. 1788 bis 1789) und zahlreiche kleinere Schriften. Eine Gesamtausgabe seiner bis 1802 erschienenen Werke (1794-1802 in 36 Bänden und 6 Supplementbänden), welche Göschen in Leipzig verlegte, hatte W. in den Stand gesetzt, das Gut Osmannstedt bei Weimar anzukaufen. Dort lebte der Dichter seit 1798 im Kreise seiner großen Familie (seine Gattin hatte ihm in 20 Jahren 14 Kinder geboren) glückliche Tage, bis ihn der Tod seiner Gattin 1803 veranlaßte, seinen Landsitz zu veräußern und wieder in Weimar zu wohnen, wo er dem Kreis der Herzogin Anna Amalia bis an deren Tod angehörte. Die Zeitschrift »Attisches Museum«, welche W. allein 1796-1801, und das »Neue attische Museum«, das er mit Hottinger und Fr. Jacobs 1802-10 herausgab, dienten dem Zweck, die deutsche Nation mit den Meisterwerken der griechischen Poesie, Philosophie und Redekunst vertraut zu machen. W. hatte das gewöhnliche Schicksal hochbejahrter Menschen, den Verlust der meisten Freunde und Lieben durch den Tod, in seinem Alter in hohem Grad zu erfahren, blieb indessen bis zu seinem 20. Jan. 1813 erfolgten Tod in seltener Weise lebensfrisch. Seine Überreste ruhen seinem Wunsch gemäß zu Osmannstedt in Einem Grab mit denen seiner Gattin und einer Enkelin seiner Jugendfreundin Laroche, Sophie Brentano.

Indem W. bei Beginn seiner zweiten Periode zur Vorbildlichkeit der französischen Litteratur zurückkehrte und den Ehrgeiz hegte, die der deutschen Litteratur völlig gleichgültig gegenüberstehenden höhern Stände durch eine der französischen ähnliche graziöse Leichtigkeit und lebendige Anmut für die deutsche Litteratur zu gewinnen, leistete er ebendieser Litteratur einen großen und entscheidenden, aber auch einen höchst bedenklichen Dienst. Er nahm einen guten Teil der Leichtfertigkeit, der Üppigkeit und Oberflächlichkeit jener Musterlitteratur in die Produktionen seiner mittlern Zeit herüber. Freilich verband sich diese herausfordernde Frivolität und spöttische Weltklugheit mit dem kräftigen Behagen und dem unverwüstlichen Kern in seiner Natur, der selbst Schiller in einem Brief an Körner Wielands »Deutschheit« trotz alledem und alledem betonen ließ. Und die außer-^[folgende Seite]