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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Wiener Rot - Wier.

pentafel im Burghof, physikalisch-kriegswissenschaftlichem Museum, Bibliothek, großem Park mit Exerzierplätzen und den Standbildern der Kaiserin Maria Theresia und des Grafen Kinsky (Direktors der Akademie), Reit- und Schwimmschule. Die Stadt hat mehrere Kirchen (darunter die alte Pfarrkirche von 1230, welche gegenwärtig restauriert wird), eine Cistercienserabtei (Neukloster, 1444 gestiftet) mit spätgotischer Kirche und wertvollen Sammlungen, ein Rathaus mit Archiv und Antiquitätensammlung, mehrere Kasernen und ein Theater. An Unterrichtsanstalten bestehen hier außer der genannten Militär-Akademie: ein Obergymnasium, eine Landesoberrealschule, ein Landeslehrerseminar, eine Handelsschule, eine gewerbliche Fortbildungsschule und eine Landesschule für Maschinenwesen; an Wohlthätigkeitsanstalten: ein allgemeines Krankenhaus, ein Armen- und ein Bürgerversorgungshaus; ferner eine Sparkasse (10,4 Mill. Gulden Einlagen). Die Stadt hat ziemlich lebhafte Industrie, namentlich eine große Lokomotivfabrik, Fabriken für Maschinen, Drahtstifte, Glocken, Thon- und Zündwaren, Wagenfett, Leuchtgas, Stärke, Mehl, Bier, Waldsamen, Leder, Seiden- und Samtbänder und Watte, lebhaften Handel, insbesondere mit Vieh und landwirtschaftlichen Produkten, und zählt mit Militär (1880) 23,775 Einw. An der Wiener Straße steht eine 1382 errichtete gotische Denksäule (wie die bei Wien befindliche »Spinnerin am Kreuz« genannt). - Die Stadt wurde 1192 von Herzog Leopold VI. (VII.), dem Glorreichen, gegründet und führt den Titel: »Die allezeit getreue«. Am 21. Aug. 1467 gebot daselbst Kaiser Friedrich III. einen fünfjährigen Landfrieden. Am 13. Juni 1486 wurde W. vom König Matthias Corvinus von Ungarn erobert, aber 1490 an Maximilian wieder übergeben, 1529 und 1683 von den Türken belagert. Am 5. Juli 1609 erlangten hier die evangelischen Stände Österreichs von Kaiser Rudolf II. den Majestätsbrief. Vgl. Böheim, Chronik von W. (neue Ausg., Wien 1863, 2 Bde.); Brunner, W. in Bezug auf Geschichte, Topographie etc. (das. 1842).

Wiener Rot, s. Rotholzlacke.

Wiener Sandstein, s. Kreideformation und Tertiärformation, S. 602.

Wiener Schiefer, s. Silurische Formation.

Wiener Schlußakte, s. Wiener Kongreß.

Wiener Tränkchen, s. Sennesblätter.

Wiener Währung, eine ältere österreich. Papiervaluta, von 1811 bis 1858 vertreten durch ein Staatspapiergeld (sogen. Scheingeld), das zwar Zwangsumlauf hatte, aber bald so im Preis verlor, daß 5 Gulden W. W. auf 2 Guld. Konventionsgeld festgesetzt wurden. Seit 1858 müssen bei Umrechnung von auf W. W. lautenden Verbindlichkeiten 100 Guld. W. W. = 42 Guld. jetziger österreich. Währung gerechnet werden.

Wienerwald, Ausläufer der Alpen in Niederösterreich, erstreckt sich vom Traisen- und Triestingthal in nordöstlicher Richtung bis zur Donau und wird auch in seinem nordöstlichen Teil das Kahlengebirge (s. d.) genannt. Es ist ein Sandsteingebirge (Wiener Sandstein) mit parallelen Zügen von zu hydraulischem Kalk vielfach sich eignenden Kalkmergeln und Mergelkalken; den Fuß umgibt mitteltertiäres Gebirge. Nur im steiler abfallenden Südosten treten unter dem Sandsteingebirge auch ältere Sedimente, Trias, Kies und Jura, hervor. Der W. bildet ein freundliches, auf seinen langgestreckten, niedrigen und fast felsenlosen Bergwellen vielfach mit Laubwald bedecktes Bergland, das jedoch nirgends 1000 m Höhe erreicht. Der Schöpfelberg bei St. Corona ist 893 m, der Hermannskogel 542 m und der Eckpfeiler, der steil zur Donau abfallende Leopoldsberg, 449 m hoch. Größere Höhen im S. erreichen der Aninger (674 m), der Hohe Lindkogel (das Eiserne Thor, 831 m). Mehrere Hauptverkehrswege überschreiten das Gebirge: die Tullner Straße am Schutzengelberg (500 m), die Westbahn den Sattel bei Reckawinkel (368 m), die Linzer Reichsstraße am Rieder Berg (315 m). Der W. enthält zahlreiche Sommerfrischen und beliebte Ausflugsorte der Wiener. Vgl. »Der W.« (hrsg. vom Österreichischen Touristenklub, Wien 1887).

Wieniawski, 1) Henri, Violinspieler und Komponist, geb. 10. Juli 1835 zu Lublin in Polen, erhielt seine Ausbildung am Pariser Konservatorium durch Massart und errang bereits 1846 den ersten Violinpreis. Nachdem er später an derselben Anstalt unter Colets Leitung noch die Komposition studiert, unternahm er längere erfolgreiche Kunstreisen, bis er 1860 als Soloviolinist des Kaisers von Rußland angestellt wurde. Als solcher wirkte er zwölf Jahre in Petersburg, dann ging er wiederum auf Kunstreisen (unter anderm mit Anton Rubinstein nach Amerika), folgte jedoch 1875 einem Ruf als Lehrer am Konservatorium zu Brüssel an Stelle des plötzlich erkrankten Vieuxtemps. Als dieser zwei Jahre später seine Lehrthätigkeit wieder beginnen konnte, begab sich W. abermals auf Konzertreisen, auf deren einer ihn in Moskau 31. März 1880 der Tod überraschte. Als Komponist hat er sich durch eine Anzahl gediegener Arbeiten für sein Instrument vorteilhaft ausgezeichnet.

2) Joseph, Klavierspieler und Komponist, Bruder des vorigen, geb. 23. Mai 1837 zu Lublin, erhielt ebenfalls seine Ausbildung am Pariser Konservatorium, wo er von Zimmermann und V. Alkan im Klavierspiel und von Bazin in der Komposition unterrichtet wurde, unternahm dann, meist in Gesellschaft seines Bruders, längere erfolgreiche Konzertreisen, machte noch 1856 in Berlin unter Leitung von A. B. Marx gründliche Kontrapunktstudien und ließ sich um 1860 in Paris nieder. 1866 folgte er einem Ruf nach Moskau als Lehrer am dortigen Konservatorium, vertauschte jedoch diese Stellung zu Anfang der 70er Jahre mit der eines Dirigenten der Musikgesellschaft in Warschau, die er bis 1877 bekleidete, wo ihn Gesundheitsrücksichten veranlaßten, von derselben zurückzutreten. Seitdem wieder ausschließlich seinem Instrument lebend, hat er sowohl als ausübender wie auch als schaffender Künstler in den weitesten Kreisen (unter anderm 1879-80 in Berlin) Anerkennung gefunden; von seinen zum Teil vielverbreiteten und mit Recht geschätzten Klavierkompositionen sind bereits über 36 im Druck erschienen.

Wier, s. v. w. Seegras, s. Zostera.

Wier (richtiger Weyer), Johann, der erste, dem es gelang, den Hexenverfolgungen für eine Zeitlang Einhalt zu thun, geb. 1516 zu Grave in Nordbrabant, bereiste frühzeitig Deutschland und Frankreich, studierte darauf in Paris und Orléans Medizin, ließ sich 1545 als praktischer Arzt in Arnheim nieder und trat 1550 als Leibarzt in die Dienste Wilhelms IV., Herzogs von Jülich, Kleve und Berg, welcher in Düsseldorf Hof hielt. Diesem widmete er 1550 seine Schrift »De praestigiis daemonum et incantationibus ac veneficiis« (Basel 1563 u. öfter), mit welcher er sich zugleich an den Kaiser wie an alle Fürsten wandte, um sie von der Thorheit und Verderblichkeit der Verfolgungen der sogen. Hexen zu überzeugen.