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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Wolle

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Wolle (Eigenschaften, Beurteilung).

Wuchs den Charakter des Zackelhaars in einem Übergangsstadium zum Flaum zeigt. Diese verschiedenen Formen der Haarbedeckung des Schafs bilden sich unter dem Einfluß klimatischer Verhältnisse und der Behandlung der Schafe im domestizierten Zustand. Die Beschaffenheit der W. wechselt daher auch außerordentlich je nach der Rasse und den Verhältnissen, unter welchen das Schaf (s. d.) lebt. Die W. des gemeinen deutschen Landschafs (Landwolle) ist meist grob, nicht stark gekräuselt, sondern nur mit wenigen unregelmäßigen Biegungen versehen, trocken und spröde. Die W. der Merinoschafe (Merinowolle) dagegen ist weit feiner, mit vielen kleinen, regelmäßigen und gleichen Bogen gekräuselt, sanft und fett anzufühlen, elastisch und fest, mithin zu feinern Stoffen geeignet und deshalb wertvoller. Von den Merinos unterscheidet man aber die Elektoralschafe mit sehr feiner, sanfter, geschmeidiger, aber weniger dicht stehender W. und die Negretti- oder Infantadoschafe, deren W. meist weniger fein, sanft und geschmeidig ist, aber auf dem Vlies dichter steht. Durch Kreuzungen deutscher Landschafe mit Widdern spanischer Zucht hat man die veredelten Schafe erhalten, deren W. der Originalmerinowolle gleichkommt. Alle diese Schafe faßt man wohl als Höhen- oder Landschafe zusammen, deren W. bisweilen nur 36 mm, meist unter 150 mm und höchstens 250 mm lang wird. Ihnen stehen die Niederungsschafe gegenüber, deren W. 170-450 und selbst 550 mm Länge erreicht, meist grob und nie gekräuselt, sondern nur schwach wellenartig gelockt, fast wie eigentliches Haar schlicht und gerade ist. Die stark gekräuselten feinen Wollsorten stehen auf dem Körper des Tiers in Büscheln (Bündeln) von je 100 und mehr, welche sich aneinander lehnen und mit ihren Kräuselungen (Bogen) ineinander greifen. Bleiben dabei die einzelnen Bündel deutlich getrennt, so heißt die W. gesträngt und, wenn die Haare der einzelnen Stränge durch Wollschweiß ziemlich fest verklebt sind, zwirnig. Eine Anzahl Bündel erscheint meist durch losen Zusammenhang zu einem größern Büschel oder Stapel vereinigt; doch braucht man letztern Ausdruck auch zur Bezeichnung des Wollwuchses überhaupt und spricht von hohem oder niedrigem, dichtem, klarem oder verworrenem Stapel. Bei feiner, gleichartiger W. pflegen die Stapel klein, niedrig, rund, geschlossen (aus eng zusammenliegenden Haaren gebildet) und stumpf (nicht pfriemenartig zugespitzt) zu sein. Von dem ganzen Vlies verlangt man, daß es ausgeglichen sei, d. h. daß die einzelnen Hauptteile W. von nicht zu ungleicher Beschaffenheit tragen, und daß es nicht mit kurzen, weißen, glänzenden, ungekräuselten Stichelhaaren oder ähnlichen langen, groben, falschen (Hunds-, Ziegenhaaren, Bindern) vermischt sei. Bei der Haltung des Schafs ist die Verunreinigung der W. durch Kletten, Heu- und Strohteilchen zu vermeiden, da diese nur schwer aus der (futterigen) W. zu entfernen sind. Bei dem Landschaf stehen auf 1 qcm Hautfläche etwa 720, bei Merinos mit dichtem Wollstand bis 8500 Wollhaare. W. ist sehr hygroskopisch und nimmt in einem feuchten Raum 28-33 Proz. Wasser auf, ohne fühlbar feucht zu erscheinen. Man stellt deshalb den Wassergehalt der W. in besondern Anstalten (Konditionieranstalten) fest, um dem Wollhandel eine größere Sicherheit zu geben. Gewöhnlich enthält W. 13-17 Proz. Feuchtigkeit, welche beim Trocknen an der Luft (im Schatten) auf 7-11 Proz. herabgeht.

W. ist in der Regel weiß (wenn auch auf dem Vlies stark verunreinigt), seltener grau, braun, schwarz, gelblich oder rötlich; sie besitzt einen gewissen Glanz, welcher in der Regel bei mittelfeiner und selbst grober W. am stärksten zu sein pflegt, und Sanftheit (Seidenartigkeit), die besonders an der Elektoralwolle ausgebildet ist, aber oft bei gröberer W. deutlicher hervortritt als bei mancher feinen W. Dieser Sanftheit verdanken die wollenen Gewebe einen eigentümlichen angenehmen Griff. Besonders charakteristisch ist für die W. die Kräuselung, welche darin besteht, daß das Haar in mehr oder weniger kleinen Bogen, die nicht in einer Ebene, sondern in einer gekrümmten Fläche liegen, wellenartig hin- und hergebogen ist. Die Zahl der Bogen auf einer gewissen Länge wächst mit der Feinheit der W. und beträgt 10 oder 12-30 oder 32, selbst 36 auf 26 mm, und je nach dem Grade der Kräuselung verlängert sich das gekräuselte Haar beim Ausstrecken um das 1,20-1,97fache. Am meisten geschätzt ist W. mit schmalen, flachen Bogen, welche auf der ganzen Länge des Haars, etwa mit Ausnahme der Spitze, gleichmäßig sein müssen. Man zählt die Kräuselungen auf schwarzem Papier oder mit Hilfe eines Kräuselungsmessers. Das Blocksche Instrument, dem das Sorgesche ähnlich ist, besteht aus einer sechsseitigen Messingblechscheibe, welche auf jeder Seite von 2,6 cm Länge so viel Zähne eingesägt enthält, als ein Sortiment (von denen Block sechs annahm) auf 2,6 cm enthält, so daß an einem bestimmten Wollsträhnchen, das nach seiner Feinheit bestimmt werden soll, die verschiedenen Seiten der Platte angepaßt werden. Diejenige Seite der Scheibe, deren Zähne mit den Wellungen des Strähnchens vollkommen übereinstimmen, gibt dann das Sortiment der W. an. Tauber konstruierte ein Instrument mit einer Lupe, vor welcher sich ein Viereck befindet, welches durch ausgespannte Drähte in mehrere gleiche Teile geteilt ist, so daß man leicht die zwischen diese Abteilungen fallenden Kräuselungen des Wollhaars zählen kann. Die Feinheit, welche, alles übrige gleichgesetzt, den Wert der W. bestimmt, wird genau mittels des Wollmessers (s. d.) ermittelt und beträgt in Tausendsteln eines Millimeters bei Elektoralwolle 13-31, Negrettiwolle 15-26, böhmischer Mestizenwolle 17-36, ungarischer Zackelwolle 20-28, Leicesterwolle vom Bock und zwar vom Blatt 32-42, vom Hals 24-34, vom Scheitel 19-31, vom Nacken 26-35, vom Rücken 25-36, vom Bauch 25-39, von den Füßen 25-36, von der Schwanzwurzel 31-47. Für die im Wollhandel übliche Klassifikation können die folgenden Zahlen als Durchschnittswerte der Feinheit angesehen werden:

Haardicke in Tausendstel-Millimetern Feinheitsnummer in Kilometern auf 1 Kilogramm

Superelekta 15-17 4300-3300

Elekta 17-20 3300-2500

Prima 20-23 2500-1800

Sekunda 23-27 1800-1300

Tertia 27-33 1300-900

Quarta 33-40 900-600

Außer den genannten Eigenschaften kommen bei der W. noch in Betracht: die Gleichmäßigkeit (Ausgeglichenheit, Treue) des einzelnen Haars in seiner ganzen Länge in Bezug auf Stärke und Kräuselung; die Geschmeidigkeit, die mit der Sanftheit im Anfühlen in engem Zusammenhang steht, aber nicht eine notwendige Begleiterin der höhern Feinheit ist; die Dehnbarkeit, welche nach völligem Ausstrecken bei feiner W. noch 30-40 Proz., bei guter grober W. bisweilen 40-50 Proz. beträgt. W.,