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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Zeus

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Zeus (Vater der Götter und Weltbeherrscher).

den wolkigen Atmosphären in den reinen Äther emporragen, wo er im Licht und in ewiger Heiterkeit thront. An die Stelle solcher Bergspitzen trat in den Zeiten fortgeschrittener politischer Bildung die Burg als der höchst gelegene Teil des städtischen Gebiets, wie Kekrops dem Z. auf der attischen Burg einen Altar errichtete und Rom seinen Jupiter auf dem Kapitol verehrte. Ganz besonders war der lykäische Berg, die Kuppe des arkadischen Gebirgsknotens, von wo aus man den ganzen Peloponnes überblickt, dem Zeuskult geweiht. Der ätherische Z. der Berggipfel wird auch zum Wolkensammler, der auf seinen Höhen die atmosphärische Feuchtigkeit ansammelt und in die im Sommer schmachtenden Thäler hinabsendet, oder zum gleichfalls uralten, in Griechenland und Italien gefeierten Witterungsgott, welcher als Regengott (bei den Römern als solcher Jupiter Pluvius, dagegen aber auch Serenator und Lucetius, der den Himmel »Aufheiternde« und »Lichtbringende«) zugleich Ernährer der Bäume und der Herden, des Haussegens (Z. Herkeios) und des durch Vieh und Feld gewonnenen Reichtums war. Nimmt man zu diesen Zügen noch zwei andre ursprüngliche Symbole des Zeusdienstes, den Blitz und die Eiche, so hat man die altpelasgischen Elemente der Zeusreligion. Donner und Blitz sind der ätherische Gegensatz zu der segnenden Wolke, die Instrumente des zürnenden Gottes und die Werkzeuge seiner weltbeherrschenden Kraft, welche in den Homerischen Beiwörtern des »Hochdonnerers«, des »Donnerfrohen«, des »Blitzschleuderers«, besonders aber in dem italischen Götterkult mit seinen superstitiösen Zeichen (Jupiter Elicius, Fulgurator, Tonans, Fulminator) hervortritt. Gleich ursprünglich ist das Symbol der Eiche, des königlichen Baums, der allenthalben in Griechenland dem Z. heilig war. In der Theogonie Hesiods erscheint Z. als der Gipfelpunkt der ältern Weltentwickelung, die mit abstrakten physischen Anfängen beginnt (Okeanos, Chthon, Chaos) und zu immer konkretern Entwickelungen fortschreitet, bis zuletzt der Kronide Z. das Weltenzepter ergreift und mit siegreicher Hand die ihm feindlichen Mächte niederwirft. Erst unter ihm und durch ihn erhält die ganze Götterwelt wie auch die sichtbare Erscheinungswelt ihre feste Norm. Auch im Homerischen Epos ist Z. der auf dem Olympos, in welchem man später den thessalischen Berg dieses Namens erkannte, thronende (daher der olympische Z.) Vater der Götter und Menschen, der oberste, stärkste und durch seine Stärke mächtigste Gott, der persönliche Mittelpunkt sämtlicher Weltbewegungen. Wie er aber im Himmel König ist, König eines patriarchalisch-monarchischen Götterstaats, so ist er auch der Gründer aller königlichen Gewalt auf Erden, der Stammvater der meisten königlichen Geschlechter (Äakiden, Herakliden etc.). Alle diese Ideen entwickelten sich gleichzeitig mit jenen epischen Gesängen und den entsprechenden Nationalzuständen; als Repräsentanten des griechischen Glaubens in seiner reifsten Entwickelung müssen aber Äschylos und Pindar angesehen werden. Bei ihnen erscheint Z. als Herr der Herren, der Seligen Seligster, der des Flehenden sich gnädig erbarmt und, heiligen Zorns voll, der Frevler Übermut bricht und vom Himmelsthron herabschaut auf die Sterblichen, jeden nach Gebühr in seinen Schutz nehmend. Die Philosophie erkennt in Z. ebenfalls den obersten Gott, den Weltbildner und Weltlenker und macht den in der Dichtung gegebenen monotheistischen Zug zur Hauptsache. In dieser Hinsicht ist besonders die Theologie des Pherekydes von Syros merkwürdig, welche Z. in der reinsten Weise monotheistisch faßt: Z. Anfang, Mitte und Ziel der Weltentwickelung, ihr die Gegensätze bindender Eros und zuletzt persönlicher Demiurg. In Beziehung gesetzt mit dem bürgerlichen Leben, erscheint Z. aber als höchstes Prinzip der Ordnung, des Rechts, der gesetzlich gesicherten Menschlichkeit, und man kann ihn als solches durch alle jene kleinen und größern Gliederungen und bindenden Formen verfolgen, von dem einfachen Hauswesen bis zur allgemeinen Völkerverbindung sowie auch nach den verschiedenen Seiten des Rechtswesens, des geselligen Verkehrs, des bürgerlichen Rechts (daher z. B. Z. Horios, der schützende Gott der Grenzen auf dem Felde), des Fremdenrechts etc. Als Vorstand der Stadt im ganzen ist er Z. Polieus in Athen, Agrigent und sonst. Als den Vorstand des Rechtswesens charakterisiert ihn insbesondere seine Verbindung mit Themis und Dike; vor allem ist der Schwerpunkt des Rechts, der Eid, dem Gott heilig (Z. Horkios, vgl. Dius Fidius). Die Sicherheit des Fremdenverkehrs bewahrt er als Xenios (der Gastfreundliche) und Hikesios (der Schutzgott der Flehenden). Im Krieg aber ist er der Anführer wider die Feinde, der im Kampf hilft als Stator, der Sieg und Triumph schenkt als Tropäos. Er ist auch der Befreier, als welcher er sich oft seinen Hellenen bewies, namentlich in der glorreichen Zeit der Perserkriege. Überall behütet und bewacht er das Menschenleben, gibt Gutes und Böses, wie es ihm gefällt, auch Leiden und Drangsal, wiewohl eigentlich sein Wesen Güte und Liebe ist; er führt daher alles aufs beste hinaus, ist der allgemeine Hort und Helfer, der Soter, dem zu Ehren man den dritten Becher zu trinken und am letzten Jahrestag die Soteria zu feiern pflegte. In weiterer, politischer Beziehung ist Z. auch Vorsteher von landschaftlichen Versammlungen und Vereinigungen, wie besonders beim römischen Jupiter (s. d.) hervortritt; ferner Stifter und Beschützer der Agonistik (er ist der männlich Stärkste von allen Göttern, wie er im Kampf mit den Titanen und Giganten bewiesen), der Mantik (daher ihm die Orakel zu Dodona, das Ammonium unmittelbar angehörten), endlich der Reinigungen und Sühnungen, wie schon im Natur-, so insbesondere auch im Menschenleben. Von ihm kommt die Sinnesverwirrung, die zur Sünde führt, aber auch die Sühnung und sühnende Wiederherstellung der durch Verbrechen der Leidenschaft gestörten Ordnung; er ist Bluträcher, aber auch die Zuflucht des bußfertigen Verbrechers.

Die Mythologie des Z. ist aus vielen Überlieferungen und Lokalkulten zusammengesetzt. Nach Hesiod wird er auf der Insel Kreta geboren. Rhea wird aus Furcht vor den Nachstellungen des Kronos in der Nacht von ihrer Mutter Gäa nach Kreta geführt, und das neugeborne Kind in einer verborgenen Höhle versteckt. Spätere Dichter und Schriftsteller nennen vorzugsweise das Gebirge Ida (auf Kreta) und eine dortige Höhle, die idäische Höhle, als Geburtsstätte des Z., und allgemein galt die letztere wenigstens als die Stätte, wo seine Jugend gepflegt worden sei. Die Nymphen Ida und Adrasteia nährten ihn mit der Milch der Ziege Amaltheia, und Bienen trugen ihm Honig, Tauben Ambrosia zu. Die allgemeine Bedeutung der Weltkämpfe des Z. ist die Aufeinanderfolge der Welt- und Kulturperioden, die von der Theogonie unter dem Bild von Siegen dargestellt werden, welche die spätern Mächte über die frühern erringen. Der Kampf mit den Titanen (s. d.) ist der erste; Z. erringt sich durch ihn die Weltherrschaft. Der mit den Giganten (s. d.), dem Typhon oder Typhoeus