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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Zürich

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Zürich (Kanton und Stadt).

sie sich trotz mancherlei Wechselfälle behauptet, ja fortwährend erweitert. In neuerer Zeit treten jedoch bedenkliche Krisen ein, indem die Ausdehnung der nordamerikanischen Weberei und die mehrfach eingeführten Schutzzölle den Absatz reduzieren. Sehr ansehnlich ist die Züricher Maschinenfabrikation; das alte Etablissement der Neumühle in Zürich, das zeitweise bis 1500 Arbeiter beschäftigte, hat in Winterthur, dem zweiten Orte des Kantons, mehrere neue Mitbewerber bekommen: Gießereien, eine Lokomotivfabrik u. dgl. Auch arbeiten mehrere Glockengießereien, Schriftgießereien, Papierfabriken, Seifen- und Kerzen-, Fayencefabriken etc. Die Stadt Z. ist der erste Handelsplatz der Ostschweiz und insbesondere ein namhafter Geldplatz. Sie ist der Knotenpunkt eines vielstrahligen Bahnnetzes geworden (s. unten). Die Ledermesse Zurzachs ist nach Zürich übergesiedelt. Das Züricher Schulwesen steht in der Vorderreihe der regenerierten Kantone. Als höhere Volksschulen, mit fakultativem Besuch, sind Sekundarschulen gegründet. Gegenwärtig zählt man ca. 100 Sekundarlehrer und 2600 Sekundarschüler gegen 600 Primarlehrer und über 44,000 Primarschüler. Dem höhern Schulwesen dienen ein Gymnasium und eine Industrieschule in Zürich (äußerlich zur Kantonsschule vereinigt) sowie die »höhern Schulen« zu Winterthur als Vorstufe zum akademischen Unterricht, eine Tierarzneischule (seit 1819), ein Lehrerseminar (zu Küßnacht), eine Universität und das eidgenössische Polytechnikum (seit 1855), beide in der Stadt Z., das kantonale Technikum in Winterthur. Ferner bestehen: eine kantonale Ackerbauschule, eine Musikschule (seit 1875), ein privates Lehrerseminar und ein städtisches Lehrerinnenseminar, eine Blindenanstalt (seit 1809, die älteste der Schweiz, 1826 mit einer neugegründeten Taubstummenanstalt verbunden), 4 Rettungsanstalten, 3 Zwangsarbeitsanstalten etc., dazu 5 Krankenanstalten: das Kantonsspital, das Kinderspital, die Gebäranstalt, die Irrenheilanstalt (im Burghölzli) und das Asyl für unheilbare Gemütskranke (Kloster Rheinau). Die öffentlichen Bibliotheken zählen 320,000 Bände (die Züricher Stadtbibliothek mit 110,000 Bänden, die Bibliotheken des eidgenössischen Polytechnikums mit 15,000 Bänden, die der Kantonallehranstalten mit 50,000, der Naturforschenden Gesellschaft mit 18,000 Bänden).

Die Verfassung vom 18. April 1869 unterstellt alle Gesetze und Konkordate sowie die Beschlüsse der Legislative (die letztern, sofern die Mehrheit es beschließt) dem Volksentscheid (Referendum); demselben unterliegen auch beträchtlichere Ausgabeposten. Einer Zahl von 5000 Votanten ist das Recht der Initiative bei der Gesetzgebung eingeräumt; dasselbe Recht steht sogar jedem Einzelnen zu, sofern er von einem Drittel der Mitglieder der Legislative unterstützt wird. Das Volk wählt nicht bloß die Legislative direkt, sondern auch die Exekutive. Jene, nun richtiger bloß als das legislatorische Organ des Volkes bezeichnet, ist einem Kantonsrat übertragen, der auf je drei Jahre in den Wahlkreisen gewählt wird, und zwar (nach der Verfassungsrevision vom 10. Febr. 1878) je ein Mitglied auf 1500 Seelen. Die Exekutive ist auf je drei Jahre einem Regierungsrat von sieben Mitgliedern übertragen. An der Spitze der Rechtspflege steht ein vom Kantonsrat auf sechs Jahre erwähltes Obergericht von neun Mitgliedern. Verbrechen und politische Vergehen, ebenso Preßprozesse, in welchen ein Beklagter es verlangt, werden durch Geschwornengerichte beurteilt. Der Kanton ist in elf Bezirke eingeteilt. In jedem Bezirk besteht ein Statthalter als Repräsentant der Exekutive, mit einem Bezirksrat zur Seite; ferner ein Bezirksgericht, eine Bezirksschul- und eine Bezirkskirchenpflege. Jede Gemeinde hat ihren Gemeinderat und ihren Friedensrichter. Einer der Direktionen der Regierung ist ein Erziehungsrat beigegeben. Die evangelische Landeskirche und die übrigen kirchlichen Genossenschaften ordnen ihre Kultusverhältnisse selbständig unter Oberaufsicht des Staats; die erstere steht unter Aufsicht eines Kirchenrats. Die Staatsrechnung von 1887 weist 8,290,530 Frank Einnahmen und 8,291,161 Fr. Ausgaben, also eine Mehrausgabe im Betrag von 631 Fr., auf. Der stärkste der Ausgabeposten ist das Erziehungswesen mit 2,132,668 Fr. Für das Jahr 1887 berechnet sich das Staatsvermögen auf nahezu 59 Mill. Fr. Aktiven und 29 Mill. Fr. Passiven, also netto ca. 30 Mill. Fr. Dazu kommen 9 Separatfonds mit 16,757,000 Fr. Nettovermögen und 19 Fonds, welche vom Staat nur verwaltet werden, im Betrag von 2,223,357 Fr.

Die Stadt Zürich.

Die Stadt Z. liegt 459 m ü. M. im Thalgrund zwischen dem Ütliberg und Zürichberg, auf beiden Seiten der Limmat, wo diese den Zürichsee verläßt, und oberhalb der Mündung der links herantretenden Sihl. Sie ist Knotenpunkt der Bahnlinien über Turgi nach Aarau, Basel und Waldshut, nach Winterthur, der auf beiden Seeufern nach der Ostschweiz führenden Linien und der Linie Z.-Zug-Luzern. Die Große Stadt auf dem rechten Ufer, an den Vorstufen des Zürichbergs aufsteigend, ist uneben, meist eng und steil; die Kleine Stadt auf dem linken Ufer ist flacher und hat breitere Straßen und neuangelegte Quartiere. Beide sind durch fünf Brücken verbunden, unter denen die neue Kaibrücke die oberste ist und eine prachtvolle Aussicht auf den belebten See und die im Hintergrund aufsteigenden Schneeberge gewährt. Merkwürdige Bauwerke der Stadt sind: das Großmünster, eine einfache gewölbte Pfeilerbasilika aus dem Ende des 12. und dem 13. Jahrh., mit zwei unvollendeten, 1779 mit achteckigen Hauben geschlossenen Türmen, geschichtlich merkwürdig als Ausgangsstätte von Zwinglis Reformation (vgl. Frick, Das Großmünster in Z., Wien 1886); das Fraumünster, ein gotischer Bau aus dem 13. Jahrh., mit hohem Spitzturm; die (altkatholische) Augustinerkirche, mit schönen Altarblättern; die St. Peterskirche, an welcher Lavater Pfarrer war, und die Predigerkirche; das 1851 aufgeführte Gebäude der Töchterschule, mit architektonisch merkwürdigem Kreuzgang; ferner in der Großen Stadt: das Rathaus (1699 erbaut), die restaurierte Wasserkirche mit der Stadtbibliothek und antiquarischem Museum, das Theater, das Kasino, die Irrenheilanstalt im vorstädtischen Burghölzli, das Kantonsspital, das Pfrundhaus, das neue, imposante Gebäude der Universität und des Polytechnikums (nach den Entwürfen von Semper und Wolf aufgeführt und 1864 vollendet) mit prachtvollem Vestibül, neuem chemischen Laboratorium und neuem Physikgebäude, Naturaliensammlung und Werkstätten, die Kantonsschule, die Blinden- und Taubstummenanstalt, in der Kleinen Stadt: das Stadthaus, das Postgebäude, die Strafanstalt und der großartige Bahnhof. Mit den Vorstädten zählt Z., das, als politische Gemeinde auf die City beschränkt, (1888) nur

^[Abb.: Wappen von Zürich.]