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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Banken (Entwickelung und Reformen der deutschen Reichsbank)

deutsche Bankgesetz schreibt vor, es habe die Reichsbank stets ein Drittel ihres gesamten Notenumlaufs metallisch oder durch Reichskassenscheine gedeckt zu halten. Die Bestimmung ist insofern praktisch völlig unerheblich, als das wirkliche Deckungsverhältnis stets eine weitaus günstigere Ziffer aufweist. Die Reichsbank hat diesen Erfolg vornehmlich durch die großen Giroguthaben erzielt, welche sie von ihrer Klientel fordert. Es wurde daher der Erwägung anheimgegeben, ob für die Notendeckung zukünftig nicht eine inhaltvolle Norm aufzustellen wäre. Eine Anlehnung an die in den Niederlanden bestehenden Vorschriften hat man empfohlen. Nach diesen wird nämlich Deckung verlangt nicht nur für die im Umlauf befindlichen Noten, sondern für die gesamten von der Bank eingegangenen Verbindlichkeiten. Eine ähnliche Bestimmung würde in Deutschland sehr folgenreich sein, weil die täglich fälligen Verbindlichkeiten der deutschen Reichsbank mehr als ein Drittel der umlaufenden Noten ausmachen. Mit der Aufhebung der Steuerkontingentierung sollte also eine Verschärfung der Drittelsdeckung eingeführt werden. Der Metallschatz der Bank hätte mindestens ein Drittel ihrer gesamten Passiven aufzuweisen, d. h. sowohl ihres Notenumlaufs als auch der von ihr eingegangenen täglich fälligen Verbindlichkeiten. Dadurch würde erreicht, daß der Stand der Bank nicht überschätzt wird.

3) Banknoten als gesetzliche Zahlungsmittel. Nach den Bestimmungen des Bankgesetzes ist niemand verpflichtet, eine Banknote an Zahlungs Statt entgegenzunehmen. Banknoten sind also nicht gesetzliche Zahlungsmittel. Man hat mit Nachdruck verlangt, daß diese Bestimmung geändert werde. England, daß in seiner Bankorganisation mit größter Vorsicht zu Werke gegangen ist, legte von jeher den Noten der englischen Bank die Eigenschaft gesetzlicher Zahlungsmittel bei. In Frankreich war es früher in das Belieben eines jeden gestellt, ob er die Noten der Banque de France annehmen oder zurückweisen wolle. Bei der Wiederaufnahme der Noteneinlösung im J. 1878 beließ man jedoch den Noten, welche acht Jahre lang Zwangskurs gehabt hatten, die Eigenschaft gesetzlicher Zahlungsmittel. Alle andern europäischen Staaten haben sich auf den gleichen Standpunkt, also in einen Gegensatz zur deutschen Gesetzgebung, gestellt.

4) Die Bankleitung. Es ist als eine auffallende Erscheinung bezeichnet worden, daß eine dem Dienste der Handelswelt bestimmte Anstalt, wie es die deutsche Reichsbank ist, streng büreaukratisch organisiert wurde. Denn der Einfluß der Aktionäre durch ihren Zentralausschuß ist ein völlig untergeordneter. Auch hierin weicht die deutsche Bankgesetzgebung von der des Auslandes ab. In England beispielsweise steht die Zentralbank ausschließlich unter der Leitung der Aktionäre. An der Spitze des Instituts finden wir dort die geachtetsten Kaufleute der Hauptstadt, und ihnen ist es zu danken, daß die Bank den Bedürfnissen der Handelswelt in hervorragender Weise gerecht wird. Keineswegs waren für eine derartige Organisation die freisinnigen Anschauungen Englands maßgebend, sondern ökonomisch-praktische Erwägungen. Das erhellt aus der Nachahmung der englischen Einrichtungen in Frankreich, welche zur Regierungszeit des ersten Napoleon für gut befunden wurde und sich bis zur Stunde behauptet hat. Gerade in der Napoleonischen Gesetzgebung findet sich der auch theoretisch allein zu billigende Standpunkt mit voller Klarheit ausgesprochen. Da die Bank den Bedürfnissen des Handels entsprechen soll, so sollten die ihn repräsentierenden Aktionäre auch einen Einfluß auf ihren Geschäftsbetrieb ausüben. Aber da anderseits der Staat schon wegen des Münzwesens ein hohes Interesse an der richtigen Leitung seiner Zentralbank hat, so muß ihm die den Ausschlag gebende Stimme zustehen, so daß alle streitigen Punkte, soweit ein Staatsinteresse in Frage kommt, ausschließlich nach seinem Willen entschieden werden. Auch die sonstigen europäischen Zentralbanken sind nach dem Vorbild Englands oder Frankreichs eingerichtet. In Österreich waren die den Geschäftsbetrieb leitenden Zensorenkollegien bis vor kurzem noch ausschließlich aus Kaufleuten zusammengesetzt. Neuerlich wurden auch die Bankdirektoren zur Teilnahme an den Beschlüssen jener Kollegien mit entscheidender Stimme für befugt erklärt. Auch in Deutschland würde eine stärkere Berücksichtigung kaufmännischer Elemente bei der Bankleitung von hohem ökonomischen Nutzen sein. Ja, es wurde behauptet, daß das Fehlen derselben sich praktisch sehr fühlbar mache, namentlich in Süddeutschland, wo die Reichsbank trotz ihrer ausgiebigen Mittel sich zumeist zu einer Konkurrenz mit den heimischen B. unfähig zeige.

5) Der Geschäftsbetrieb. Die Kredite, welche von einer Zettelbank gewährt werden, müssen leicht realisierbar sein. Die Bank muß darauf Bedacht nehmen, die zur Einlösung ihrer Noten erforderlichen Barbeträge alsbald zurückzugewinnen. Dieser Erfolg ist ihr gesichert, wenn sie nur solche Vorschüsse erteilt, bei denen eine baldige Rückzahlung zweifellos ist. Es herrscht daher auch bei allen europäischen Zettelbanken hinsichtlich der gesetzlich zugelassenen Geschäfte eine in die Augen springende Gleichförmigkeit. Ausnahmslos gestattet man Wechseldiskontierungen, wobei jedoch in der Regel eine längstens dreimonatliche Verfallzeit geduldet wird, sodann Lombardierungen, d. h. Darlehen gegen Unterpfand, zumeist gegen Verpfändung von Wertpapieren. Daneben hat die deutsche Reichsbank dem Giro- und Umschreibegeschäft eine große Ausdehnung gegeben, wobei sie ebensosehr ihre Pflichten als Zettelbank im Auge behalten, als den Bedürfnissen des Verkehrs gedient hat. Neuerdings wird vielfach verlangt, die Reichsbank möge auch den Landwirten nützlich sein, ihnen ebenfalls die Erlangung von Kredit und namentlich von billigen Vorschüssen erleichtern. Man beruft sich hierbei vielfach auf die in der That musterhaft organisierte Österreichisch-Ungarische Zettelbank, welche allerdings auch das Hypothekengeschäft in ihren Betrieb hineingezogen hat. Da ist es nun aber von hohem Interesse, zu hören, wie der Generalsekretär der genannten Bank selbst sich über diesen Punkt in seinem umfangreichen Bericht ausgesprochen hat. "Gegenüber den bisher behandelten Geschäftszweigen, welche dem Handel, dem Gewerbe und der Industrie sowie dem allgemeinen Verkehr zu dienen bestimmt sind, ist es ein ganz und gar andres Gebiet, auf welchem sich die Bank in ihrem Hypothekarkreditgeschäft bewegt, sind es ganz und gar verschiedene Formen und Grundsätze, welche bei der Kreditgewährung auf Grundbesitz und Häuser zur Anwendung kommen, und ebenso aus ganz andern Quellen entspringende Geldmittel, mit denen die Bank diesen Geschäftszweig betreibt. Wenn die Bank im Wechseleskompte dem Grundbesitz nur unter bestimmten Voraussetzungen und innerhalb eng gezogener Grenzen Dienste lei^[Hinweis]?en kann, so nimmt sie in ihrem Hypothekarkreditgeschäft geradezu die Stellung einer Hypothekenbank ein, die in ihren Geschäften den Notenkredit auch nicht mit dem kleinsten Betrag in Anspruch