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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Duft- und Riechstoffe (Bedeutung im Tierleben)

gen dienen in weiten Kreisen der Tierwelt als bequemste Verteidigungs- und Abschreckungsmittel. Sehr viele Tiere, namentlich Amphibien und Reptilien, strömen, wenn sie gefangen werden, den übeln Knoblauchsduft aus, welcher der Knoblauchkröte ihren Namen gegeben hat, und einen solchen, vermutlich von der ganzen Oberhaut abgesonderten Angstduft hat man auch häufig bei vor Gericht stehenden menschlichen Verbrechern beobachtet. Sehr zahlreiche Tiere haben aber einen besondern Apparat ausgebildet, um Stoffe, die einen lange anhaftenden und unerträglichen Geruch besitzen, in größerer Menge in Vorrat zu halten und im Augenblick der Gefahr in bald flüssiger, bald dunstförmiger Gestalt auszustoßen. Am meisten bekannt und verrufen in dieser Richtung sind die Stinkmarder- (Putorius-), Stinkdachs- (Mydaus-) und Stinktier- (Mephitis-) Arten, welche aus neben dem After liegenden Drüsen dem Angreifer manchmal mehrere Meter weit eine Flüssigkeit entgegenspritzen, die so übelduftend ist, daß ein von ihr besudelter Mensch am besten thut, die Kleider gleich wegzuwerfen. Nächstdem sind die Bombardierkäfer (Brachinus-Arten) am bekanntesten, kleine Raubkäfer, die im stande sind, durch explosionsartig aus dem After hervorgeschossene Wölkchen eines blauen, salpetrig riechenden und ätzenden Dunstes ihre Verfolger wiederholt zurückzuschrecken. Man hat beobachtet, daß ein solches kleines Tier (Brachinus crepitans) seinen 100mal größern Verfolger, den Puppenräuber (Calosoma inquisitor), 20mal nacheinander zum Stillstehen brachte, und dadurch entgeht er ohne Zweifel oft der Gefahr, ergriffen zu werden. Aber diese nämliche Fähigkeit ist den meisten Raubkäfern eigen und dient somit Tausenden von Käferarten zum Schutz, die nicht so hörbar bombardieren. Die größern Laufkäfer-(Carabus-)Arten senden den Schuß auch auf erhebliche Entfernungen, während verschiedene Wasserraubkäfer, z. B. die Schwimmkäfer (Dyticus-Arten), aus feinen Poren der Flügeldecken einen höchst unangenehm riechenden und erst durch mehrmaliges Waschen von den Fingern zu entfernenden Stoff absondern. Bei den kleinen Drehkäferchen unsrer Wasserflächen (Gyrinus natator) ist der Duft so stark, daß, wenn ein Sammler mehrere Stück in ein offenes Glas gethan hat, man den Geruch auf 500-600 Schritt spüren soll. Übrigens ist die Duftabsonderung wohl bei allen Raubkäfern für menschliche Nasen unangenehm, und der oben erwähnte Puppenräuber verbreitet, wenn man ihn fängt, einen fast betäubend zu nennenden Geruch nach Bittermandelöl oder Nitrobenzol. Unter den übrigen Käfern führt die ganze Abteilung der Dämmerungskäfer (Tenebrionidae) im Volksmund den Namen der Stinkkäfer; sie stoßen aber die übelriechende Flüssigkeit vielfach nicht aus dem Hinterteil, sondern aus dem Mund hervor. Bei mehreren Arten der kleinen Marienschäfchen (Coccinella) tritt, wenn man sie angreift, eine gelbe, unangenehm nach Opium duftende Flüssigkeit aus den Fußgelenken, und ähnlich verhalten sich die Maiwürmer (Meloë-Arten), die dieserhalb auch Ölmutter genannt werden. Von den übrigen Insektenklassen sind besonders die Wanzen verrufen, doch gibt es auch unter den Fliegen, Ameisen, Schmetterlingen und Geradflüglern, namentlich unter den Schaben, viele Arten, die ihrer Ausdünstung wegen von allen Insektenfressern gemieden werden und dann Anlaß zu Nachahmungen ihrer Tracht, geben (Mimikry-Erscheinungen). Unsre Widderchen-(Zygaena-)Arten besitzen solche Aussonderungen. Auch bei vielen Insektenlarven findet sich dieses Verteidigungsmittel bereits ausgebildet. Rührt man die Larve unsers gemeinen Pappelkäfers (Chrysomela populi) an, so treten aus 18 kegelförmigen Erhöhungen auf dem Rücken ihrer mittlern Ringe ebenso viele Tröpfchen einer höchst unangenehm riechenden milchweißen Flüssigkeit hervor, die nach vorübergegangener Gefahr wieder aufgesaugt werden. Der schon grün und schwarz geringelten Raupe unsers Schwalbenschwanzes wächst, wenn man sie beunruhigt, plötzlich ein schön orangerotes Gabelhorn aus dem Hinterkopf, welches einen starken Fenchelgeruch verbreitet und jedenfalls ein Verteidigungsmittel gegen kleine Feinde, wie Mücken und Schlupfwespen, vorstellt. Andre Raupen haben gleich den Schaben und den kurzflügeligen Raubkäfern (Staphyliniden) solche hervorstülpbare Dufthörner am hintern Leibesende. Diese Beispiele ließen sich ins Unendliche vermehren.

Viel weniger bekannt als die antipathischen Gerüche sind die sympathischen Duftstoffe, welche namentlich die Weibchen in bestimmten Zeiten aussondern und damit die Männchen aus weiten Entfernungen zu sich heranlocken; sie sind in vielen Fällen viel zu schwach, um von unsern Nasen wahrgenommen zu werden. Daß es indessen in vielen Fällen doch nur der von den Weibchen ausgestreute Geruch sein kann, welcher die Männchen herbeizieht, sieht man schon daraus, daß vielfach nur die Männchen stärker entwickelte Geruchswerkzeuge und zwar bei den Insekten stärker entwickelte Fühler haben als die Weibchen. Man kann dies besonders schön unter den Schmetterlingen bei den Spinnern und unter den Käfern bei den Lamellikorniern sehen, sofern die Fühlerblätter, die den Duft auffangen, z. B. bei unsern Maikäfermännchen und noch auffallender bei dem sogen. Walker (Polyphylla Fullo), viel größer entwickelt sind als bei den Weibchen. Bei Nachtschmetterlingen kann man die Sache auch praktisch erproben, indem man ein Weibchen in einem Käfig aufhängt, welches in der Regel dann bald von Männchen umschwärmt wird, so daß die Methode der seltenern Arten zum Fang benutzt werden kann. Bei manchen Insekten sind die Weibchen ungeflügelt, und in einzelnen Fällen kommen sie gar nicht aus der Erde oder ihren sonstigen Schlupfwinkeln heraus, sondern strecken nur einen kleinen Teil ihres Körpers hervor; dennoch wissen die Männchen sie zu finden. Selbst im Puppenzustand ist dieser Geruch bei manchen Schmetterlingen schon ausgeprägt, und man hat wiederholt beobachtet, daß weibliche Chrysaliden, z. B. Seidenraupenpuppen, schon vor dem Ausschlüpfen Männchen anlockten.

Umgekehrt sind bei den Tagschmetterlingen oft die Männchen mit einem deutlichen, selbst der menschlichen Nase erkennbaren Duft versehen, ja sie besitzen, wie Fritz Müller 1876 entdeckte, besondere Duftorgane, die aus pinselartigen Anhäufungen von Haar- und Schuppengebilden der Flügel bestehen, die für gewöhnlich nicht offen der Luft ausgesetzt sind, sondern in einem Umschlag des innern Flügelrandes oder mitten auf der Oberseite der Flügel in kleinen Furchen oder Taschen liegen, aber daraus hervortreten und sich sträuben können, wo sie dann als die denkbar besten Verbreiter solcher Duftstoffe in die Luft thätig sein können. Sind die Gebilde aus eigentlichen Schuppen zusammengesetzt, so pflegen diese doch verlängert und am obern Ende fransenartig zerteilt zu sein, um den wahrscheinlich in flüssiger Form aufsteigenden Duftstoff besser zu verdunsten. In vielen Fällen ist dieser Duft bisam- und moschusartig,