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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Duft- und Riechstoffe (psychologische Wirkungen)

wie bei mehreren unsrer Schwärmer, in einzelnen Fällen aber schön vanilleartig und bei den Männchen von Papilio Grayi so angenehm würzig, daß dieser Falter den von Jean Paul den Schmetterlingen im allgemeinen beigelegten Namen »Blumen der Duft« mit doppeltem Recht verdient und dazu einladet, wie ein duftender Blumenstrauß verwendet zu werden. Die Duftpinsel der europäischen Arten wurden namentlich von Dalla Torre untersucht. Auch aus den andern Insektenklassen sind einzelne sehr angenehm duftende Arten bekannt, z. B. eine prächtig nach Rosen duftende Hummel (Bombus fragrans) aus Südeuropa. Unter den Wirbeltieren besitzen viele Arten in der Nähe der Geschlechtsteile Drüsen, welche Duftstoffe absondern; bei einigen Säugetieren, wie den verschiedenen Arten der Zibetkatzen und bei den Männchen der Biber und Moschustiere, erfolgt die Absonderung so reichlich in besondere Taschen, daß sie seit alten Zeiten daraus entnommen und als Arzneimittel verwendet werden. Sie haben einen außerordentlich durchdringenden und andauernden Geruch, der aber beim Moschus und Zibet in starker Verdünnung selbst der menschlichen Nase annehmbar wird, weshalb sie in der Parfümerie eine gewisse Rolle spielen. In der Medizin gelten Moschus, Zibet und Bibergeil als drei sehr kräftige Nervenmittel; die erstern beiden wurden gebraucht, wenn es galt, die Kräfte eines an großer Schwäche daniederliegenden Kranken zu beleben oder die Lebensgeister eines Sterbenden noch für einige Stunden zurückzuhalten; das Bibergeil gilt als vorzügliches Krampfmittel.

Psychologische Wirkungen der Duftstoffe.

Feinsinnige Beobachter haben schon längst ähnliche Beziehungen wie bei den Tieren auch beim Menschen wahrgenommen, und Goethe hat bekanntlich sowohl im ersten als im zweiten Teil des »Faust« mehrfache Anspielungen auf die berauschende und berückende Wirkung des weiblichen Dunstkreises auf Männer wie des männlichen auf Personen weiblichen Geschlechts gemacht. Im J. 1821 veröffentlichte Cadet-Devaux eine »Dissertation de l'athomosphère de la femme et de sa puissance«, worin allerlei Beispiele von der Wirkung der weiblichen Atmosphäre auf Männer und ihrer Veränderung durch Krankheiten angeführt wurden, worauf A. Galopin 1885 ein Buch: »Le parfum de la femme et le sens olfactif dans l'amour« herausgab. G. Jäger in Stuttgart hatte sich mit diesen Verhältnissen näher beschäftigt und dabei gefunden, daß, ähnlich wie bei den Schmetterlingen, auch bei dem Menschen die Haargebilde als eigentliche Träger und Verbreiter des Individualgeruchs zu betrachten seien. Er glaubte dies sogar durch den Versuch beweisen zu können, indem er durch Meßinstrumente eine Erhöhung der Nerventhätigkeit bei Leuten nachwies, die an dem Haar oder Kopfputz geliebter Personen gerochen hatten.

Ähnliche Ansichten sind schon in alten Zeiten ausgesprochen worden. In der Bibel lesen wir, daß der alternde König David von der Gesellschaft eines jungen Mädchens Verjüngung hoffte, und als ein gewisser Gommarus ein römisches Denkmal fand, nach dessen Aufschrift ein gewisser Hermippus durch das Anhauchen junger Mädchen ein Alter von 115 Jahren erreicht haben sollte, entwickelte der Neuplatoniker Marsilius Ficinus (gest. 1499) eine Theorie, nach welcher in den Ausdünstungen von Pflanzen, Tieren und Menschen ein Lebendiges enthalten sei, »Geisterchen«, die von einem Lebewesen durch Nase und Mund auf das andre übergehen könnten und alle jene Erscheinungen des Gesellschaftslebens, wie Liebe und Haß, Sympathie und Antipathie, Gleichheit der Gefühle bei Freunden, Liebenden, Ehegatten, bei verschiedenem Alter Verjüngung der ältern Hälfte etc. erzeugen sollten. Diese Ansichten wurden von vielen Philosophen, z. B. von Bacon von Verulam, adoptiert und auch im Volk sehr populär, wie die bekannte Volksheilmethode des Einhüllens einzelner kranker Glieder oder des ganzen Körpers in das Fett frisch geschlachteter Tiere beweist. Bacon wies als Beweis auf das hohe Alter, welches Lehrer durch den beständigen Verkehr mit frischer Jugend zu erreichen pflegen, und sprach von einem Überströmen der Lebensgeister dabei. Auch der Mißbrauch, den man in frühern Jahrhunderten mit dem frischen Blut Enthaupteter trieb, und die ganze Paracelsische Theorie von der Zauberwirkung der »Mumie«, d. h, irgend welcher animalischen Körperstoffe, gehört in diesen Ideenkreis.

Bekanntlich hat Jäger in Stuttgart diese Ansichten neu belebt und ist dabei von der bekannten Thatsache ausgegangen, daß die Fleisch- und Albuminstoffe der verschiedenen Tiere einen verschiedenen Geschmack und Geruch besitzen, der besonders hervortritt, wenn dieselben mit starken Säuren oder Alkalien behandelt werden. Es entwickelt sich dann in der Regel der Geruch, welchen die Fäkalien des betreffenden Tiers besitzen, und es läßt sich in diesem Sinn von Klassen-, Gattungs-, Art- und Individualgerüchen sprechen, sofern z. B. das Fleisch der Fische bei aller Verschiedenheit im einzelnen durch solche Behandlung Gerüche von einer gewissen Gemeinsamkeit dem Vogel- oder Säugetierfleisch gegenüber liefert. Daher präge sich in diesen von dem Eiweißmolekül abspaltbaren Art- und Gattungsgerüchen die durch kein andres chemisches Verfahren nachweisbare Spezifizität des lebenden Körpers aus, und so unterschieden sich wieder die Rassen einer Art, z. B. des Menschen, durch einen besondern Duft (Völkergeruch), der den Angehörigen der fremden Rasse mehr und unangenehmer auffällt als denen der eignen, die ihn nicht mehr bemerken. Dadurch erklärten sich aber auch manche Erscheinungen des Rassenhasses, gerade so wie verschiedene Instinkte der Tiere durch den bloßen Geruch geweckt werden, z. B. die Wut einer Katze, wenn man sie mit der Hand berührt, die unmittelbar zuvor das Fell eines Hundes gestreichelt hat.

Das geht nun weiter, sofern die Ausdünstungsstoffe wieder bei einer und derselben Person durch Alter, Konstitution, Befinden und namentlich durch Affekte beeinflußt werden. Ein lebender Körper dufte besser, wenn derselbe sich in gehobener, fröhlicher Stimmung als unter dem Einfluß deprimierender Affekte, wie Furcht, Angst, Wut, Haß etc., befindet. Es spiegle sich demnach auch die ganze seelische Individualität mit allen ihren Stimmungen in den ausgesonderten Duftstoffen, und diese Ansicht äußerten schon die alten Juden, indem sie aus Jes. 11, 3-4 schlossen, der Messias werde die Gerechten und Ungerechten nach ihrem Geruch unterscheiden. Sie sollen sogar einen falschen Messias, Bar-Kochba, im 2. Jahrh. unsrer Zeitrechnung verleugnet haben, weil er diese Fähigkeit nicht besessen habe und nicht einmal schwere Verbrecher von rechtlichen Leuten nach dem Geruch unterscheiden konnte. Offenbar hat sich aus diesen und ähnlichen Anschauungen auch die bekannte, oftmals auf Märtyrergebeine übertragene Lehre von dem »Geruch der Heiligkeit« entwickelt, welchen Görres in seiner »Christlichen Mystik« von der völligen Harmonie des geistigen und körperlichen Lebens der Heiligen ableiten wollte.