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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Arbeiterschutzkonferenz

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Arbeiterschutzkonferenz (Berlin 1890: Kinderarbeit).

sonderm Nachdruck machte namentlich der belgische Vertreter geltend, daß in dieser Sache Mehrheitsbeschlüsse wenig Wert haben; die Minderheit brauche sich ja nicht zu fügen und werde sich nicht fügen. Schließlich einigte sich die Kommission, um ein einstimmiges Resultat zu erzielen, auf einen Vermittelungsvorschlag des Vorsitzenden (Fürstbischof Dr. Kopp), der noch durch die Vertreter von Belgien, Italien und Holland dadurch abgeschwächt wurde, daß im ersten Satze die Ursprünglich zugefügten Worte: »durch das Gesetz« gestrichen und dagegen im Anhang die Worte »vorbehaltlich der in jedem Land notwendigen Ausnahmen und Fristen« zugefügt wurden. Der Kommissionsbeschluß lautete: »Es ist wünschenswert, vorbehaltlich der in jedem Land notwendigen Ausnahmen und Fristen: a) daß den geschützten Personen ein Ruhetag wöchentlich gesichert werde; b) daß allen Industriearbeitern ein Ruhetag gesichert werde; c) daß dieser Ruhetag für die geschützten Personen auf den Sonntag festgesetzt werde; d) daß dieser Ruhetag für alle Industriearbeiter auf den Sonntag festgesetzt werde.«

2) Leichter war die Einigung über die zweite Frage, betreffend die zulässigen Ausnahmen von einem Verbote der Sonntagsarbeit. Einstimmig wurde in der Kommission (ebenso später im Plenum) der Antrag der deutschen und schweizerischen Delegierten angenommen, daß Ausnahmen zulässig seien hinsichtlich solcher Betriebe, welche a) aus technischen Gründen eine ununterbrochene Produktion erheischen oder das Publikum mit unentbehrlichen, täglich anzufertigenden Lebensbedarfsmitteln versorgen, b) ihrer Natur nach nur in bestimmten Jahreszeiten arbeiten können oder von der unregelmäßigen Thätigkeit elementarer Betriebskräfte abhängig sind, daß aber selbst in den Anlagen dieser Kategorie jeder Arbeiter auf zwei Sonntage einen frei haben sollte (s. den Wortlaut am Schluß des Artikels).

3) Ein harter Kampf entstand aber noch wieder bezüglich der dritten Frage, in welcher Weise über diese Ausnahmen zu entscheiden sei, ob durch internationale Vereinbarung oder durch Gesetze, resp. administrative Vorschriften des einzelnen Staats. Die in der allgemeinen Diskussion hervorgetretenen divergierenden Gesichtspunkte wurden von neuem vorgeführt. Die schweizerische Delegation zog infolge der Beschlußfassung zur ersten Frage ihre zuerst vorgeschlagene positive Fassung (»die Ausnahmen sollen nicht näher bezeichnet werden; die allgemeinen Bedingungen aber, unter welchen die Ausnahmen statthaft sind, sollen im Prinzip in der internationalen Vereinbarung enthalten sein, deren Ausführung durch Maßregeln der Gesetzgebung und Verwaltung stattfinden wird«) zurück und schloß sich, gemeinsam mit Deutschland, dem Antrag Luxemburgs an: »Es ist wünschenswert, a) daß die in jedem Land einzuführenden Ausnahmen gleichartig seien, b) daß die Bestimmung der Mittel zur Erreichung dieses Ziels einer Verständigung zwischen den verschiedenen Regierungen überlassen bleibe.« Der belgische Vertreter bestritt aufs lebhafteste die Übereinstimmung dieses Antrags mit dem Beschluß zur ersten Frage, der durch die Beseitigung der Worte »durch das Gesetz« die Bestimmung der Mittel, durch welche die Verwirklichung der auf die Sonntagsruhe bezüglichen Wünsche erreicht werden soll, dem Ermessen eines jeden Staats überlassen habe. Es sei natürlich, daß der Spielraum, welcher der Verwirklichung der Wünsche gelassen sei, auch für die Bestimmung der Ausnahmen von den Regeln, welche Gegenstand dieser Wünsche sind, gewährt werden müsse. Er schlug vor: »Es ist gegenwärtig nicht möglich, das Verfahren zu bestimmen, nach welchem über die Ausnahmefälle entschieden werden soll.« Dieser Vorschlag wurde mit 10 Stimmen abgelehnt und schließlich der Antrag Luxemburgs mit einer von Deutschland beantragten Modifikation, daß die in jedem Land einzuführenden Ausnahmen nach gleichartigen Gesichtspunkten festgesetzt werden, in folgender Fassung: »Zu dem Zweck, die Ausnahmen nach gleichartigen Gesichtspunkten festzusetzen, ist es wünschenswert, daß ihre Bestimmung auf Grund einer Verständigung zwischen den verschiedenen Regierungen erfolge«, mit 9 Stimmen (Deutschland, Österreich, Ungarn, Dänemark, Luxemburg, Holland, Portugal, Schweden, Schweiz) gegen 3 Stimmen (Frankreich, Belgien, Großbritannien) und Stimmenthaltung Italiens angenommen. Im Plenum enthielt sich Frankreich der Abstimmung, Belgien, Spanien, Großbritannien, Italien stimmten dagegen, die übrigen 10 Staaten dafür.

III. Die Regelung der Kinderarbeit.

Die Kommission, entschlossen, den wohlbegründeten Wünschen der arbeitenden Klassen innerhalb der Grenzen des Möglichen Genüge zu leisten, aber zugleich die Rechte aller, Staaten wie Personen, zu achten, sah ein, daß es nicht leicht sein würde, die Resolutionen, welche zu fassen sie berufen war, sofort und überall in Anwendung zu bringen. Sie beschränkte sich darauf, ein »System reglementärer Grundsätze über die Arbeit der Kinder und jugendlichen Arbeiter anzunehmen, von welchen es wünschenswert ware, daß sie in allmählichem Fortschritt in die verschiedenen Gewerbegesetzgebungen aufgenommen würden, soweit es die nationalen Gewohnheiten und die örtlichen Verhältnisse zulassen«.

1) Die erste Frage, ob Kinder bis zu einem bestimmten Alter von der industriellen Arbeit ausgeschlossen werden sollen, wurde ohne weitere Diskussion einstimmig (ebenso im Plenum) bejaht (s. den Wortlaut am Schluß des Artikels).

2) Die zulässige Altersgrenze bildete den Hauptpunkt der Diskussion, die Ansichten gingen auseinander. Der Antrag der Schweiz auf 14 Jahre (d. h. das Verbot der Kinderarbeit überhaupt, wie es bereits in der Schweiz seit 1877 und in Österreich seit 1885 besteht) wurde mit 13 Stimmen gegen 2 (Schweiz, Österreich) abgelehnt, ebenso ein eventueller Antrag der Schweiz auf 13 Jahre mit 12 Stimmen gegen 2 (Schweiz, Österreich) und Stimmenthaltung Dänemarks. Der deutsche Delegierte (Landmann) erklärte, daß er nicht für diesen Antrag gestimmt habe, da für Deutschland diese Frage gegenstandslos sei, weil nach den schulgesetzlichen Bestimmungen in Deutschland überall bis zum 13. Jahre der obligatorische Schulunterricht bestehe. Der Vorsitzende (Jules Simon) beantragte die Altersgrenze von 12 Jahren. Der Delegierte von Großbritannien (Scott), wo noch die Altersgrenze 10 Jahre beträgt, erklärte, daß, wie er glaube, die öffentliche Meinung seines Landes der Altersgrenze von 12 Jahren im allgemeinen nicht ungünstig sein würde, daß er aber nach dem gegenwärtigen Stande der englischen Gesetzgebung, welche unter bestimmten Vorbehalten die Arbeit der Kinder von 10-12 Jahren zulasse, dem Antrag nur ad referendum zustimmen könne. Die Vertreter von Italien und Spanien verwarfen diese Altersgrenze als für ihre Länder zu hoch; in Italien ist das gesetzliche Minimalalter (erst seit dem Gesetz vom 11. Febr. 1888) 9 Jahre, resp. 10 Jahre für unterirdische Arbeit, in Spanien (Gesetz vom 24. Juli