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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Brieftauben

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Brieftauben (Militärbrieftaubenwesen).

ten bedeutsamen Dienste veranlaßten das preußische Kriegsministerium bald nach dem Friedensschluß, den Lehrer Lenzen aus Köln zum Studium der Zucht und Dressur von B. nach Belgien zu entsenden. Als dann im Februar 1872 dem Fürsten Bismarck einige Paare B. als Geschenk mit dem Wunsche zugingen, sie als erste Gaben für die Einrichtung eines Militärbrieftaubenwesens anzusehen, kam die Sache in Fluß.

Von der Ansicht ausgehend, daß für belagerte Festungen, denen aller Verkehr mit der Außenwelt abgeschnitten, die Taubenpost insofern von höchster Bedeutung werden kann, als noch durch B. Nachrichten in die Festungen gelangen könnten, welche unter Umständen auf den Fortgang der Belagerung und die allgemeine Kriegslage von größtem Einfluß sein würden, wenn die Zuverlässigkeit dieses Verkehrsmittels in dauernder Friedensorganisation Gewähr finde, wurde Deutschland der erste Staat, welcher das Brieftaubenwesen in seine Heereseinrichtungen aufnahm. Da die Taube für den Flug in einer bestimmten Richtung dressiert wird, so muß man für eine solche so viel Tauben bereit halten, daß sie, kurz vor Beginn einer Belagerung vom Heimatsschlag nach dem andern Endort der Fluglinie geschafft, für die mutmaßliche Dauer der Belagerung den Nachrichtendienst versehen können. Man rechnet für eine Linie gewöhnlich 200-250 Tauben und muß dann für jede Linie, auf welcher man Verkehr unterhalten will, diese Zahl Tauben bereit halten, so daß für vier Linien ein Taubenschlag von 1000 Köpfen erforderlich ist. Sind alle Tauben in ihren Heimatsschlag zurückgekehrt, so bleibt nur übrig, dieselben für weitern Verkehr mittels Luftballons wieder hinauszuschaffen.

Vor einigen Jahren gelang es dem Leiter des Militärbrieftaubenwesens in Italien, Kapitän Malagoli, für die Linie Rom-Civitavecchia, 65 km Luftlinie, Tauben für den Hin- und Rückflug abzurichten. Er ließ die Tauben in Rom sich paaren, wo demnach ihr Heimatsschlag war, fütterte sie aber nur in Civitavecchia, von wo sie, nach der Fütterung frei gelassen, nach Rom zurückkehrten. Da sie hier nichts zu fressen bekamen, flogen sie bald von selbst nach Civitavecchia und gewöhnten sich bald an diesen regelmäßigen Hin- und Herflug. A. J. Bronkhorst jun. in Haarlem hat durch diese Fütterungsweise bereits 1878 zwischen Haarlem und Leiden, etwa 27 km, und später zwischen Haarlem und Utrecht, etwa 46 km, einen regelmäßigen Verkehr durch Hin- und Herfliegen unterhalten; 1889 haben acht Tauben diesen Weg in 2,5 Monaten 421mal hin und zurück gemacht, wozu im Durchschnitt 2,5 Stunden erforderlich waren; die Tauben flogen auch bei Sturm, Schnee, Nebel und Regen. Hoerter hat den Hin- und Rückflug zwischen Hildesheim und Hannover, 28 km, vom Juni 1888 bis 9. Jan. 1889 täglich bei jedem Wetter unterhalten. Auch die deutschen Militärbrieftaubenstationen haben diese Flugweise schon mit Erfolg gefördert, welche, wenn sie auch auf größere Entfernungen gelingt und sich dauernd bewährt, eine wesentliche Umgestaltung des Brieftaubenwesens herbeiführen wird.

Wie man allgemein annimmt, ist es die Heimatsliebe, welche die Tauben nach ihrem Heimatsschlag zurücktreibt, wie es aber kommt, daß die Tauben, diesem Drange folgend, den Heimatsschlag oft aus sehr großer Entfernung (bis 1600 km) wiederfinden, das ist noch nicht genügend aufgeklärt. Schneider glaubt durch Versuche, die er bei Pößneck angestellt, nachgewiesen zu haben, daß der Orientierungssinn, das Zurechtfinden mittels des Auges, die Tauben leitet, doch fehlen hierfür die Beweise bei Flügen von Rom oder Madrid nach Köln und Belgien, oder von Königsberg i. Pr. nach Elberfeld (980 km). Die Annahme, daß Tauben nicht fähig seien, hohe Berge und weite Meeresflächen zu überfliegen, und daß Kälte, Schnee, Regen etc. ihnen den Orientierungssinn rauben, ist durch Flugversuche als irrtümlich erwiesen. In Italien werden die Tauben für den Verkehr zwischen den Sperrforts in den Alpen schon seit Jahren dressiert, dabei ist beobachtet worden, daß sich dieselben mit großer Sicherheit über die zwischenliegenden hohen Berge hinwegfinden, z. B. vom Thal der Dora Riparia in das des Chisone oder der Stura und umgekehrt, wobei sie häufig den in diesen Thälern wehenden heftigen Stürmen mutig und mit Erfolg trotzen. Ebenso sind die Apenninen bei Versuchen wiederholt in allen Richtungen überflogen worden. Italien hält auch zwischen dem Kriegshafen auf der Insel Maddalena und Rom sowie zwischen Cagliari auf Sardinien und Neapel Brieftaubenlinien im Betrieb und hat damit den Beweis geliefert, daß Tauben weite Meeresflächen überfliegen, denn auf ersterer Linie ist das Meer 240, auf letzterer sogar 450 km breit; die Linie Rom-Maddalena wird in 5-6, die Linie Cagliari-Neapel in etwa 9 Stunden durchflogen. Auch zwischen dem 67 km in See vor Tönning liegenden Feuerschiff und Tönning besteht seit Jahren Taubenpostverbindung, im Oktober 1883 konnte das Feuerschiff, welches, von einem Orkan losgerissen, abtrieb, dadurch gerettet werden, daß vier losgelassene Tauben in 58 Minuten die Nachricht nach Tönning überbrachten. In Italien haben Flugversuche bei Temperaturen bis zu -14,6° keinen Unterschied in der Flugsicherheit gegen höhere Temperaturen erkennen lassen. In Frankreich hat man mit günstigem Erfolg Taubenschläge auf Kriegsschiffe gesetzt, in welchen sich die Tauben bald vollkommen heimisch machten und sich selbst an den Geschützdonner gewöhnten, so daß sie während des Schießens ihren Schlag auf Deck aufsuchten. Man erwartet deshalb Nutzen von der Taubenpost nicht nur im Verkehr der Handelsschiffe auf See, sondern auch in der Kriegsmarine selbst während des Gefechts, sowohl für den Verkehr von Schiffen nach dem Lande als von hier nach Schiffen in See und zwischen Schiffen eines Geschwaders, die wegen großer Entfernung durch Signale sich nicht mehr verständigen können. In Italien sind 1888 bei einer großen Belagerungsübung vor Verona von hier nach Rom (415 km), Ancona (285 km), Alessandria (200 km), Piacenza (115 km), Bologna (109 km) B. mit Erfolg verwendet worden. Es wurden Fluggeschwindigkeiten bis zu 95 km in der Stunde beobachtet, die Durchschnittsgeschwindigkeit betrug 55 km; sie hängt von vielen Umständen ab, kann aber zu 1 km in in der Minute im allgemeinen angenommen werden. Von 271 bei diesen Übungen aufgelassenen Tauben gingen nur 23 verloren, verhältnismäßig die wenigsten auf den größten Entfernungen, man schreibt das Verlorengehen deshalb weniger dem Verfliegen, als vorwiegend lokalen und zufälligen Ursachen, namentlich dem Abfangen durch Raubvögel zu. Ob das Bestreichen der Tauben mit stark riechenden Ölen oder das Anbinden einer leichten Bambuspfeife an die Steuerfedern die Raubvögel abschrecken wird, darüber fehlt es noch an hinreichenden Erfahrungen. Das Abschießen durch den Feind ist weniger zu befürchten, da die Tauben in der Regel nicht unter 150 m Höhe fliegen, noch weniger Erfolg verspricht das Abfangen durch gezüchtete Falken, das in Rußland umfangreich versucht wurde. Die Belastung der Tauben mit Depeschen kann bis zu 1 g hinaufgehen. Für die Her-^[folgende Seite]