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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Gehirnverletzung; Geikie; Geistererscheinungen; Geisteskrankheiten

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Gehirnverletzung - Geisteskrankheiten.

verschiedenen Rassen und Individuen Unterschiede in der Dichtigkeit der Hirnmasse vorhanden sind. Daß bei geistig hervorragenden Personen nicht immer ein bedeutendes Hirngewicht nachgewiesen werden konnte, erklärt sich in vielen Fällen dadurch, daß dieselben zur Zeit ihres Todes bereits in höherm Alter sich befanden, wo die Hirnmasse im Schwinden begriffen ist. Wenn aber auch die Gesamtmasse und das Gesamtgewicht des Gehirns nicht immer dem Grade der Intelligenz der betreffenden Individuen genau entspricht, so steht doch die Entwickelung des Vorderhirns (Vorderlappen des Großhirns), des Sitzes der höhern geistigen Funktionen, zur geistigen Befähigung in direkter Beziehung. Entsprechend dem verschiedenen Grade der geistigen Entwickelung beim Anthropoiden, Naturmenschen und Kulturmenschen ist auch die Entwickelung der grauen Hirnsubstanz (Hirnrinde), die in der größern oder geringern Ausbildung der großen Windungszüge (Konvolutionen) und der kleinen Hirnwindungen (gyri) zum Ausdruck kommt, eine verschiedengradige. Rudolf Wagner hat an den Gehirnen von Gauß und Dirichlet zuerst nachgewiesen, daß das G. von geistig hervorragenden Männern charakterisiert ist durch die verwickelte Anordnung und Asymmetrie der Gyri der beiden Hirnhälften. Die von Owen aufgestellte Behauptung, daß das menschliche G. in den hintern Großhirnlappen einige wesentliche Teile enthalte, die den höhern Affen stets und vollkommen mangelten, hat sich nicht bestätigt; auch ist das Vorkommen der Affenspalte (durch Nichtentwickelung der innern obern Scheitelwindung bedingte Vertiefung der Hinterhauptsspalte, die man für ein Charakteristikum des Affenhirns gehalten hat) sehr unbeständig. Die Oberfläche des Gehirns der Anthropoiden stellt vielmehr nach Huxley eine Art von Umrißzeichnung des menschlichen dar, nur durch untergeordnete Merkmale von demjenigen des Menschen sich unterscheidend. Der Menschencharakter des Gehirns beruht nach J. ^[Johannes] Ranke auf dem Übergewicht des nicht automatisch wirkenden Teiles der Großhirnhemisphären über die automatisch wirkenden Gehirnabschnitte. Übrigens gibt es auch gewisse Menschenrassen (Weddas und Tamilen auf Ceylon, Kurumbas der Nilgerries), die einen so kleinen Schädel und ein so geringes Hirnvolumen (Nanokephalie) aufweisen, daß die Maximalgrenze des Anthropoidenhirns und die Minimalgrenze der Hirnentwickelung bei diesen Völkern sich sehr nahekommen. Beim Menschen hat das G. des Mannes vor demjenigen des Weibes sowohl das größere durchschnittliche Gewicht (s. oben) als auch die bedeutendere Entwickelung der Hirnwindungen voraus. Schon gleich nach der Geburt lassen sich erhebliche Unterschiede in der Entwickelung der die Sylviussche Spalte umgebenden Windungszüge bei beiden Geschlechtern nachweisen. Die zwischen männlichem und weiblichem G. bestehenden Unterschiede sind aber beim G. der Naturvölker weniger stark ausgeprägt als beim G. der Kulturvölker. Während beim G. von Assen und unkultivierten Völkern (Neger- und Hottentotgehirne) die Interparietalfurche (die großen Scheitelwindungen voneinander trennende Vertiefung) mit der Sagittalebene (von vorn nach hinten durch den Körper gelegte Vertikalebene) einen nach vorn offen stehenden spitzen Winkel bildet, verfolgt nach Rüdinger die Interparietalfurche beim Europäer einen mehr der Richtung der Sagittalebene sich annähernden Verlauf. Bei geistig hervorragenden Männern (J. v. Liebig u. a.) soll das Wachstum und die gesteigerte Entwickelung mitunter sogar zur Folge haben, daß die Interparietalfurche mit der Sagittalebene einen nach hinten offen stehenden spitzen Winkel bildet. Vgl. v. Bischoff, Das Hirngewicht des Menschen (Bonn 1880); Topinard, Les poids du cerveau d'après les registres de P. Broca (»Revue d'Anthropologie«, 1882, S. 1 bis 30); Virchow, Indische Zwergrassen (»Korrespondenzblatt für Anthropologie«, 1881, S. 151); Rüdinger, Ein Beitrag zur Anatomie der Affenspalte und der Interparietalfurche beim Menschen (Bonn 1882); Möller, Das G. des Schimpanse (»Westermanns Monatshefte«, Dezember 1880); Waldeyer, Hirnwindungen der Assen, insbesondere der Anthropoiden (»Korrespondenzblatt für Anthropologie«, 1890). Vgl. auch die Art. Vorstellung und Medizinischer Kongreß.

Gehirnverletzung, s. Chirurgenkongreß.

Geikie, Archibald, Geolog, wurde 1881 zum Generaldirektor der Geological Survey des Vereinigten Königreichs und zum Direktor des Museums für praktische Geologie in London ernannt. - Sein jüngerer Bruder, James G., geb. 1839 in Edinburg, 1861-82 in der geologischen Landesuntersuchung von Schottland thätig, darauf Nachfolger seines Bruders in der Professur zu Edinburg, seit 1890 Präsident der Geological Society, schrieb: »The great ice age« (2. Aufl. 1876); »Prehistoric Europe, a geological sketch« (1880); »Outlines of geology« (2. Aufl. 1888) u. a. Auch als Übersetzer machte er sich bekannt mit »Songs and lyrics by H. Heine and other german poets« (1887).

Geistererscheinungen, s. Spiegeltäuschungen.

Geisteskrankheiten. Das Irrenrecht ist in einer ganzen Reihe von Ländern, auch außerhalb Europas, allseitig geregelt worden; besondere Verdienste hat sich in dieser Beziehung in Frankreich Gambetta erworben. In den Einzelstaaten Deutschlands und mehr noch innerhalb der Reichsgesetzgebung macht sich ein Bedürfnis immer dringender geltend, zumal in neuester Zeit einige typische Fälle, wie der des Fürsten Joseph Sulkowski, von neuem im Publikum die Furcht erregt haben, Gesunde könnten auf die Dauer als Irre in Anstalten gegen ihren Willen interniert werden. In der That bildet der Schutz gegen solche Vorkommnisse den wesentlichen Teil des Irrenrechts in England, den Niederlanden und einzelnen Staaten Nordamerikas; leider widerstreitet die Mehrzahl dieser Bestimmungen einer der Hauptaufgaben eines idealen Irrenrechts, nämlich der Verpflichtung des Staates, resp. der von ihm mit dieser Leistung beauftragten kommunalen Verbände, einerseits sofort bei Eintritt der Gemeingefährlichkeit eines Irren für den Schutz des Publikums vor ihm zu sorgen, anderseits jeden heilbaren Irren schnell, schonend und zweckmäßig in ausreichende ärztliche Behandlung zu bringen. Was sich in Preußen und andern Einzelstaaten in dem gemeinen Rechte, den Landrechten, den Strafgesetzbüchern und zahllosen Verfügungen und Reglements vorfindet, umfaßt, wenn auch in chaotischer Weise, fast alle Punkte eines künftigen Irrenrechts. Dieses hat zu behandeln: 1) die Pflicht des Staates, resp. kommunaler Verbände, zur Versorgung aller Geisteskranken; 2) die Fürsorge für eine zweckmäßige Organisation und eingehende staatliche Beaufsichtigung aller nicht ganz unmittelbar staatlicher Irrenanstalten; 3) die Verpflichtung der Lokalbehörde, resp. der Angehörigen eines Kranken zur Anzeige eines jeden Falles geistiger Erkrankung an die zuständige Aufsichtsbehörde; 4) die Garantien dafür, daß Geistesgesunde nicht in Anstalten untergebracht werden; 5) eine über die