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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Nordamerikanische Litteratur

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Nordamerikanische Litteratur (Litteraturgeschichte, Ethnologie etc.).

mit dem Jahre 1877. Da Motley als Gesandter an mehreren europäischen Höfen Gelegenheit hatte, mit den einflußreichsten Staatsmännern intim zu verkehren, und da ihn überdies seine historischen Studien mit den berühmtesten Gelehrten seiner Zeit in Verbindung brachten, so bilden jene Briefe, deren Redaktion George W. Curtis anvertraut wurde, einen höchst beachtenswerten Beitrag zur Geschichte und Litteratur der Gegenwart. Der Verfasserin von »Onkel Toms Hütte«, Harriet Beecher-Stowe, sind schon zu Lebzeiten zwei Biographien gewidmet worden, von Florine Thayer Mc Cray (1889) und von ihrem Sohn Charles E. Stowe (1889). »Louis Agassiz, his life and correspondence« (1885) betitelt sich ein Werk von Elizabeth Cary, der Witwe des Naturforschers, das freilich mehr Lobrede als wissenschaftliche Biographie ist. Von Interesse ist auch »The life and letters of Samuel Wells Williams« (1888), eines hervorragenden Sinologen.

Auch auf dem Gebiete der Shakespeare-Litteratur sind die Amerikaner thätig gewesen. Von Horace H. Furneß' monumentalen »Variorum edition« erschienen drei neue Bände (»Othello«, »The merchant of Venice« und »As you like it«). Während Hiram Corson (»Introduction to the study of Shakespeare«, 1889) sich vornehmlich mit dem ethischen Inhalte der Shakespeareschen Dramen beschäftigt und Robert Waters (»Shakespeare as portrayed by himself«, 1888) den Beweis zu führen sucht, daß Shakespeare in dem in vier verschiedenen Dramen auftretenden Heinrich V. seinen eignen Charakter gezeichnet habe, gibt Caroline Dall (»What we really know about Shakespeare«, 2. Aufl. 1886) eine Zusammenstellung aller nach ihrer Ansicht zuverlässigen Nachrichten über die Person Shakespeares. Appleton Morgan, bekanntlich einer der Hauptvertreter der Idee, daß Shakespeare nicht der Verfasser der seinen Namen tragenden Werke sei, suchte seinen Standpunkt in einem neuen Werke: »Shakespeare in fact and fancy« (1888), zu kräftigen; eine gründliche Abfertigung der sogen. Bacon-Theorie besorgte Richard Grant White in seinen »Studies in Shakespeare« (1885). Das Machwerk Donnellys: »The great cryptogram« (1888), ist nur der Vollständigkeit wegen hier mit anzuführen. Zur Hamlet-Litteratur lieferten Gilchrist (»The true story of Hamlet and Ophelia«, 1889) und Cook (»The human mystery in Hamlet«, 1888).

Professor Frederic Hedge hat einige seiner geistreichen Vorträge über deutsche Litteratur (»Hours with German classics«, 1886), in denen er Hutten, Luther, Nicolai, Lessing, Herder, Schiller, Goethe, Jean Paul und das Nibelungenlied liebevoll behandelt, B. Sanborn seine in Concord gehaltenen Vorträge über Goethe (»The life and genius of Goethe«, 1886) herausgegeben; Goethes »Faust« hat der verdienstvolle Litterarhistoriker Denton J. ^[Jaques] Snider 2 Bände (1886) gewidmet; auch William Walsh' »Faust, the legend and the poem« (1887) muß als gediegener Beitrag zur Faust-Litteratur bezeichnet werden. Die Popularität der Tondramen Richard Wagners hat auch in Amerika schon eine stattliche Litteratur hervorgerufen (so durch Gustav Kobbe, Dippold, Albert W. Parson, Henderson u. a.).

Das Studium Dantes wird seit geraumer Zeit von einem kleinen Kreise, hauptsächlich in den Neuenglandstaaten, eifrig betrieben; und wenn auch die neuern Leistungen einer Mary A. Ward, William T. Harris' u. a. nicht gerade bedeutend zu nennen sind, so haben sie doch dem größern Publikum das Verständnis der Göttlichen Komödie wesentlich erleichtert. Eine der wichtigsten Erscheinungen auf diesem Gebiete ist Allen E. Fays »Concordance to the Divina Commedia« (1888). Litterarhistorische Aufsätze über die neuern Dichter Italiens mit Übersetzungen bietet William D. Howells Werk »Modern Italian poets« (1887). »Lectures on Russian literature« (1889) veröffentlichte der Russe Iwan Panin. Gedankenreiche Aufsätze schönwissenschaftlichen Inhalts finden sich in C. Everetts »Poetry, comedy and duty« (1888), sonderbare anthropologische Folgerungen in dem Buch »Romantic love and beauty« (1887; deutsch von U. Brachvogel, Stuttg. 1889) von T. Finck, der auch eine Biographie Friedr. Chopins (1889) schrieb. Sehr anmaßend, von engherzigen, religiösen Vorurteilen befangen, tritt Rose E. Cleveland, die Schwester des frühern Präsidenten, in »George Eliot's poetry, and other essays« (1885) auf und legt in diesem sonst gut geschriebenen Werke ihre Ansichten über litterarische Fragen mit seltener Offenheit nieder. Henry M. Hudsons, des bekannten Shakespeare-Forschers, »Studies in Wordsworth« (1885) sind nichts als eine unkritische Lobrede; David Philipson bespricht in »The Jew in English fiction« (1889) die poetische Verwertung des Judentums durch Marlowe, Shakespeare, Scott, Dickens, Disraeli und Eliot. J. L. ^[Jeanette Leonard] und J. B. ^[Joseph Benson] Gilders Werk »Authors at home« (1888) enthält anziehende Skizzen aus dem täglichen Leben der populärsten Schriftsteller der Gegenwart, wie Aldrich, Whittier, Whitman, John Hay etc. Auch der verstorbene Essayist E. P. Whipple hat in »Recollections of eminent men« (1886) interessante Lebensbilder von Agassiz, Motley und Sumner geliefert. George Child (»Recollections«, 1890) schildert ebenfalls einige Berühmtheiten, besonders General Grant, auf Grund persönlichen Umganges. James Grant Wilson hat in seinem reizenden Buch »Bryant and his friends« (1885) Bryant, Dana, Cooper, J. H. ^[John Howard] Payne und andern berühmten Dichtern einer vergangenen Periode ein liebevolles Denkmal gesetzt. Erwähnenswerte Biographien lieferten noch Henry C. Beers (»Nathaniel P. Willis«, 1885), Ednah D. Cheney (»Louisa May Alcott«, 1889), F. E. Cook (»Theodor Parker«, 1889), Charles De Kay (»Ant. Louis Barye«, 1889) sowie in autobiographischer Form Lucy Larcom (»A New England girlhood«, 1889) und Daniel Bandmann (»An actor's tour«, 3. Aufl. 1886). Als die beste und ausführlichste Anthologie amerikanischer Schriftsteller muß nunmehr die 1890 in 11 Bänden vollendete, von Stedman und Hutchinson herausgegebene »Library of American literature« bezeichnet werden. Reichhaltiges und meist zuverlässiges biographisches Material enthält die im Appletonschen Verlage zu New York erschienene sechsbändige »Cyclopedia of American biography«.

Ethnologie, Philologie, Verschiedenes.

Auch auf dem Gebiete der Ethnologie und Mythologie haben sich die Amerikaner neuerdings durch einige gediegene Arbeiten ausgezeichnet. D. G. Brinton, unstreitig der gründlichste Kenner der amerikanischen Aboriginer, hat seiner »Library of American aboriginal literature« drei weitere Bände zugefügt: »The Lenape and their legends« (1885), »Ancient Nahuatle poetry« (1887) und »Rigveda Americanus« (1890), von denen der letztere die heiligen Gesänge der alten Mexikaner im Original nebst Übertragung enthält. Eine zuverlässige Übersicht der gegenwärtigen Verhältnisse der Indianer gibt E. S. Brooks in der »Story of the American Indian« (1887).