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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Quadratur des Zirkels

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Quadratur des Zirkels.

Q.

Quadratur des Zirkels. Die Aufgabe, den Inhalt einer Kreisfläche durch ein Quadrat darzustellen, d. h. genau zu berechnen, hat seit undenklichen Zeiten Mathematiker und Nichtmathematiker beschäftigt und ebenso vielen Leuten unendliche Verluste an Zeit, Geld und Gut verursacht wie die Herstellung des Perpetuum mobile, mit dem sie ein unzertrennliches Geschwisterpaar bildet. Aber während das letztere, die Herstellung einer unaufhörlichen Bewegung, schon von vornherein an Unwahrscheinlichkeit litt, sofern es die Entstehung einer Kraft aus nichts voraussetzte und endgültig durch die Entdeckung des Gesetzes der Erhaltung der Kraft für beseitigt gelten konnte, war ein vollwichtiger Einwand gegen das Kreisproblem nicht zu führen, und der mathematische, endgültige Beweis, daß die Lösung für unmöglich zu erklären ist, wurde erst 1882 durch Professor Lindemann in seiner Abhandlung »Über die Zahl π« geliefert. Es ist aber lehrreich, einen Blick auf die Geschichte des Problems zu werfen und zu sehen, wieviel berühmte und gelehrte Leute sich seit den ältesten Zeiten damit beschäftigt haben. Im »Papyrus Rhind« des Britischen Museums, dessen Abfassung in die Jahre 2000-1700 v. Chr. gesetzt wird, finden sich Hindeutungen auf noch ältere Versuche zur Berechnung der Kreisfläche, die hier gleich einem Quadrat gesetzt wird, welches über dem um den neunten Teil verkürzten Durchmesser derselben beschrieben würde. Ein solches Quadrat ist aber stets zu groß. Bei den Griechen soll sich zuerst Anaxagoras im Gefängnis mit dem Problem beschäftigt haben. Indessen wurde früh die Fruchtlosigkeit der Bemühungen erkannt, und Aristophanes verspottete bereits in den Vögeln (Vers 1004) den berühmten Astronomen u. Geometer Meton als Kreisquadrierer. Jedoch war damals bereits von zwei Zeitgenossen des Sokrates, Antiphon und Bryson, der rationelle Weg eingeschlagen worden, den Kreis als ein Vieleck von unendlich vielen Seiten aufzufassen und ihn durch einbeschriebene Polygone auszumessen. Da aber so nur Annäherungswerte zu erhalten sind, so schlug Bryson vor, das einbeschriebene Vieleck durch ein außen um die Kreisfläche beschriebenes Polygon zu ergänzen, um einen der Kreisfläche gleichen Mittelwert zu berechnen. Einen ganz verschiedenen und an sich sehr interessanten Weg schlug um dieselbe Zeit der Mathematiker Hippokrates ein, welcher den Satz entdeckte, daß sich einem Dreieck flächengleiche Mondsicheln konstruieren lassen, mit denen man dann, aber ebenfalls vergeblich, den Kreis auszumessen suchte.

Einen noch andern Weg, den der Rechnung, beschritt zuerst Archimedes, indem er, von dem durch Antiphon und Bryson angebahnten Vergleich des Kreises mit einem regelmäßigen Vieleck von unendlicher Seitenzahl ausgehend, zeigte, daß die Berechnung des Kreisinhalts von der des Umfanges und seines Verhältnisses zum Radius abhängt. Durch langwierige Rechnung fand er, daß der Umfang stets etwas mehr als das Dreifache des Durchmessers betrage, und daß die nicht mit völliger Genauigkeit zu berechnende Verhältniszahl, die man als Zahl π (Abkürzung von Peripherie) bezeichnet, zwischen 3 1/7 und 3 10/71 liege. Da nun leicht erwiesen werden konnte, daß der Kreisinhalt gleich dem Produkt aus dem Quadrat des Halbmessers und der Zahl π, also r² × π ist, so wäre das Problem gelöst gewesen, wenn man die letztere hätte genau berechnen können. In der That beschäftigten sich auch die Araber mit solchen Rechnungen, ohne indessen genauere Werte als Archimedes aufstellen zu können.

Mit dem Wiedererwachen der Wissenschaften im Abendland begannen erneute Versuche. Der gelehrte Kardinal Nikolaus Cusanus, den man oft als einen Vorgänger des Kopernikus bezeichnet hat, glaubte dem Problem beizukommen, indem er den Kreisumfang abrollte und als gerade Linie maß, etwa wie man den Umfang eines Rades nach seinem Abdruck im Sande messen könnte, und als dann die Regierungen sich in die Sache mischten, Karl V. 100,000 Thaler und die holländischen Generalstaaten eine noch höhere Summe für die glückliche Lösung aussetzten, begann ein allgemeines Wettlaufen Gelehrter und Laien, welches eine ansehnliche Litteratur hervorgerufen hat, über die Montucla in seiner »Histoire des recherches sur la quadrature« eine unterhaltende Übersicht gegeben hat. Abgesehen von dem unwissenden Manne aus dem Volke, der schon glaubte, mit einer erst um den Cylinder gelegten und dann zu einem Quadrat ausgespannten Schnur das Problem zu lösen, befand sich darunter Professor Longomontanus in Kopenhagen, ein Schüler Tycho Brahes, ferner der ob seiner Gelehrsamkeit berühmte Joseph Skaliger, der in seiner »Cyclometria nova« (1594) das große Paradoxon entdeckte, daß der Umfang eines in den Kreis beschriebenen Polygons größer sei als der Kreisumfang selbst und dafür von dem Pater Clavius gehörig gezaust wurde, und der Philosoph Hobbes, der, nachdem der große Huygens ihn widerlegt hatte, ein besonderes Pamphlet gegen ihn und die Mathematiker vom Stapel ließ, in welchem er, um seine Rechnungen zu retten, behauptete, der Pythagoreische Lehrsatz und andre Säulen der Geometrie stünden auf sehr wackeliger Basis. Ein gewisser Mathulon war so sicher, die wahre Lösung gefunden zu haben, daß er 1720 vor Notar und Zeugen 1000 Thaler demjenigen aussetzte, der in seinen Rechnungen den geringsten Irrtum nachweisen würde. Ein noch junger Mathematiker, Namens Nicol, that dies, und die Summe wurde dann richtig an die Armen von Lyon ausgezahlt. Im besondern wurden die Akademien und angesehene Gelehrte im vorigen Jahrhundert mit den Zuschriften glücklicher Finder geplagt, und die Pariser Akademie sah sich 1775 genötigt, infolge eines von Condorcet erstatteten Berichts öffentlich zu erklären, daß sie sich in keiner Weise weiter mit Zusendungen beschäftigen würde, welche die Q., die Dreiteilung der Winkel oder das Perpetuum mobile zum Gegenstand hätten.

Dabei ruhten keineswegs die rein wissenschaftlichen Bemühungen, die Zahl π, welche den Schlüssel der Lösung enthält, genauer zu bestimmen, um womöglich zu einem abgeschlossenen Werte zu gelangen. Pierre und Adrian Metius hatten bereits 8 Dezimalstellen, Ludolph von Ceulen (gest. 1610) deren 35 berechnet, weshalb sie, da diese Berechnung früher ohne die Hilfsmittel der neuern Geometrie äußerst zeitraubend war, auch wohl die Ludolphsche Zahl heißt. Später brachten es Sharp auf 75, Machin auf 100, Lagny auf 137, der bekannte Rechenmeister Dahse (1843) auf 200, ja Professor Richter in Elbing (1853) auf 500 Dezimalstellen, ohne daß sich irgend eine Regelmäßigkeit in der Wiederkehr der Ziffern,