Schnellsuche:

Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Schweiz

850

Schweiz (Eisenbahnwesen, neue Bundesgesetze).

133 goldne Medaillen, fielen. Der Zuwachs der industriellen Etablissements im J. 1889 betrug 171 mit 2231 Arbeitern. Im ganzen waren 31. Dez. 1889: 3957 Etablissements mit 161,774 Arbeitern und ca. 85,000 Pferdekräften dem Fabrikgesetz unterstellt. Von den 1650 Erfindungspatenten, welche 1889 erteilt wurden, entfielen 714 auf Schweizer, 936 auf ausländische, 444 speziell auf deutsche Bewerber. Die gewerbliche Bildung ist im wesentlichen noch immer Sache der Kantone und Gemeinden, welche stets steigende Opfer dafür bringen; doch subventionierte der Bund die betreffenden Anstalten 1889 mit einem Gesamtbetrag von 369,074 Fr. Mit ähnlichen Summen unterstützte der Bund die Landwirtschaft. Auf Bodenverbesserungen, Schutzbauten u. Alpenstraßen verwendete die Eidgenossenschaft 1889 Subventionen im Betrag von 1,463,703 Fr. und bewilligte neue im Betrag von 2,327,000 Fr. Die sämtlichen vom Bunde bisher bewilligten Beiträge für Flußkorrektionen und Verbauungen beliefen sich 1. Jan. 1890 auf 34,820,827 Fr.

Im Eisenbahnwesen ist die bevorstehende Vollendung der Gotthardbahn nach dem ursprünglichen Plane zu bemerken. 1887 hat die S. die Verpflichtung übernommen, die durch Vertrag festgestellte Doppelspur derselben herstellen zu lassen, womit sie aller Ansprüche Deutschlands und Italiens, in Sachen der Gotthardbahn mitsprechen zu dürfen, quitt und ledig wurde. Bis 1. Okt. 1893 wird das ganze Doppelgeleise hergestellt sein; desgleichen hat der Bundesrat den Bau der Zufahrtslinien Luzern-Küßnacht-Immensee und Zug-Walchwyl-Goldau angeordnet, so daß beide mit 1. Jan. 1891 begonnen und Ende 1893 vollendet sein müssen. Mit der allmählichen Besserung der Lage der bestehenden Bahngesellschaften ist ein neues Eisenbahnfieber in der S. erwacht. Eine Masse von Konzessionen, meist für Lokalbahnen, teils normal-, teils schmalspurige, sind bereits erteilt worden oder liegen bei den Bundesbehörden in Behandlung. Die bedeutendste der konzessionierten Linien soll St. Gallen über Rupperswyl und Zug direkt mit der Gotthardbahn verbinden. 1890 wurden dem Betrieb übergeben die Linien Interlaken-Lauterbrunnen-Grindelwald, Visp-Stalden, Klosters-Davos, die Monte Generosobahn u. a. Der Erfolg der 1889 eröffneten Pilatusbahn hat eine Flut von Bergbahnprojekten hervorgerufen, von denen dasjenige auf die Jungfrau das meiste Aufsehen erregt hat. Im Anfang 1890 waren 3228½ km Eisenbahnen im Betrieb und 131 km im Bau. Das wichtigste Ereignis im Eisenbahnwesen der S. ist der Beginn der Verstaatlichung desselben, indem der Bundesrat vom Kanton Bern 30,000 Stück Prioritätsaktien der Jura-Simplonbahn erwarb. Die Bundesversammlung genehmigte 27. Juni 1890 diesen Kauf, indem sie den Bundesrat ausdrücklich zu weitern Ankäufen ermächtigte, worauf dieser weitere 50,000 Jura-Simplonaktien teils von Kantonen, teils von Privaten erwarb und zugleich eine 3proz. Anleihe von 60 Mill. Fr. abschloß, deren ganzer Ertrag zum Ankauf der Jura-Simplonaktien verwendet wurde. Damit ist der Bund thatsächlich Eigentümer eines ansehnlichen Teiles des Schweizer Bahnnetzes geworden und wird nicht ruhen, bis er auch die übrigen Teile derselben in seinen Besitz gebracht hat. Nur dadurch kann, wie der Vorsteher des Eisenbahndepartements, Bundesrat Welti, in der Eisenbahndebatte in der Bundesversammlung energisch betont hat, die S. der Gefahr entgehen, daß eine fremde Regierung in irgend einem politischen Moment die zur größten Hälfte in den Händen ausländischer Bankinstitute und Spekulanten befindlichen Schweizer Eisenbahnaktien aufkauft.

Die gebieterische Notwendigkeit, die Kompetenzen des Bundes auf den verschiedensten Gebieten zu verstärken, bedingt eine immer weiter greifende Umgestaltung der Verfassung von 1874. Nachdem dieselbe 1879, 1885 und 1887 schon drei Partialrevisionen erfahren, beschloß die Bundesversammlung auf Antrag des Bundesrats im Juni 1890 eine vierte, welche dem Bunde das Recht einräumt, die staatliche Kranken- und Unfallsversicherung einzurichten. In der Volksabstimmung vom 26. Okt. wurde der neue Verfassungsartikel mit 230,000 gegen 73,000 Stimmen angenommen und dem Bunde damit die Möglichkeit gegeben, die Lösung der sozialpolitischen Aufgaben der Gegenwart in die Hand zu nehmen. Eine fünfte Abänderung der Verfassung, welche im September 1890 von den Räten beschlossen worden ist und vermutlich im Frühling 1891 zur Abstimmung kommen wird, sucht einem Volkswunsch Rechnung zu tragen, indem sie bestimmt, daß auf dem Wege der Volksanregung (Initiative) nicht nur wie bisher die Revision der Verfassung im allgemeinen, sondern auch die Aufhebung oder Abänderung einzelner bestimmter Artikel sowie die Aufstellung neuer Verfassungsbestimmungen verlangt werden kann. Die Übelstände, an welchen das gegenwärtige Banknotenwesen der S. krankt, haben ferner dazu geführt, daß in der Septembersession der Nationalrat fast einstimmig einen Antrag annahm, welcher den Bundesrat einlud, eine Revision des einschlägigen Verfassungsartikels vorzubereiten, in dem Sinne, daß dem Bunde das Banknotenmonopol gegeben werde. Über die Notwendigkeit dieses Schrittes sind Behörden und öffentliche Meinung einig; nur darüber gehen die Stimmen auseinander, ob die Emission einer eigentlichen Staatsbank oder einer privilegierten Landesbank nach Art der deutschen, französischen und englischen übertragen werden soll. Zu diesen Revisionen wird sich noch die völlige Zentralisation des Militärwesens gesellen, die der Bundesrat infolge eines im April 1889 im Nationalrat gestellten Antrags vorbereitet. Auch hat der Große Rat des Kantons Schaffhausen 30. April 1890 an den Bundesrat zu Händen der eidgenössischen Räte ein Schreiben gerichtet, worin er beantragt, das Strafrecht zur Bundessache zu erklären. Diesem Vorschlag hat sich der Regierungsrat des Kantons Aargau angeschlossen, und es steht zu erwarten, daß die Bundesversammlung der Anregung Folge geben wird. Durch diese Partialrevisionen gelangt die S. allmählich auf den Boden des 1872 verworfenen grundsätzlichen Verfassungsentwurfs, dessen Annahme ihr diesen 20jährigen Umweg erspart haben würde.

In der eidgenössischen Gesetzgebung steht die Einführung des Bundesgesetzes über Schuldbeitreibung und Konkurs obenan, welches an die Stelle der 25 kantonalen, zum Teil sehr mangelhaften Beitreibungsverfahren ein einheitliches für die ganze S. setzt. Die ultramontan-föderalistische Partei setzte einen Referendumsturm gegen das Gesetz ins Werk, aber ohne Erfolg, indem dasselbe 17. Nov. 1889 mit 244,000 gegen 218,000 Stimmen angenommen wurde. Bedeutende Aufregung rief ferner die Beratung eines neuen Wahlkreisgesetzes für die Wahlen zum Nationalrat hervor. Die Absicht des Bundesrats, durch Zerlegung der größern Wahlkreise in kleinere den Minderheiten gerecht zu werden, wurde durch