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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Schwerkraftbahnen; Schwiegereltern

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Schwerkraftbahnen - Schwiegereltern.

die radikale Mehrheit im Nationalrat vereitelt, welche an der alten Einteilung nur die notwendigsten Änderungen zugestehen wollte. In der Junisession 1890 fand das Gesetz endlich seine Erledigung, indem die Ultramontanen sich mit der Schaffung zweier neuer Wahlkreise zu ihren gunsten zufrieden gaben. Ein Antrag, grundsätzliche Minoritätenvertretung einzuführen, wurde mit großer Mehrheit abgelehnt. Indes ist zu hoffen, daß dies einzig gerechte Prinzip, zu dessen Notwendigkeit die Vorgänge im Kanton Tessin (s. d.) die grellste Illustration liefern, über kurz oder lang sich Bahn brechen wird. Ohne Referendum trat das Gesetz über die Bundesanwaltschaft vom 28. Juni 1889 in Kraft, indem die demselben abgeneigte sozialdemokratische Partei nicht die nötige Unterschriftenzahl zusammenbrachte, um die Volksabstimmung zu verlangen, ferner ein Gesetz über die Militärstrafgerichtsbarkeit, welches die Jury in Militärstrafsachen beseitigt, sowie ein solches über ein eidgenössisches Landesmuseum, welches bedeutsame Schweizer Altertümer geschichtlicher und kunstgewerblicher Natur aufnehmen soll. Um den Sitz dieses Museums bewerben sich Zürich, Bern, Luzern und Basel. In Behandlung stehen ein Gesetz betreffend Auslieferungen gegenüber dem Ausland, durch welches die Entscheidung, ob einhergehen als ein politisches oder gemeines, die Auslieferung nach sich ziehendes zu betrachten sei, dem Bundesgericht überwiesen werden soll, sowie eine Novelle zum Bundesstrafrecht, welche die Verfolgung anarchistischer Wühler und im ausländischen Solde stehender Hetzspione ermöglichen soll, ein Gesetz über Rücktrittsentschädigung dienstunfähig gewordener Beamte u. a.

Zum Bundespräsidenten auf 1890 wurde Ruchonnet gewählt. Die Nationalratswahlen, die 26. Okt. 1890 stattfanden, haben das Stärkeverhältnis der Parteien im eidgenössischen Parlament nicht wesentlich geändert. Die eidgenössische Staatsrechnung für 1889 ergab 92,625,709 Fr. Aktiven und 59,023,635 Fr. Passiven, mithin ein Reinvermögen von 33,602,076 Fr., oder gegen 1888 eine Vermögensvermehrung von 3,279,554 Fr. Die Einnahmen betrugen 65,571,699 Fr., die Ausgaben 64,435,604 Fr. Den Hauptposten in den Einnahmen bilden die Zölle mit 27,453,911 Fr. (im J. 1888 25,927,251 Fr.). Der Effektivbestand der Schweizer Armee betrug 1. Jan. 1890: Auszug 126,444 Mann, Landwehr 80,796, Landsturm 268,555, Instruktionspersonal 187 Mann. Neu organisiert wurde 1890 die Festungsartillerie für die zum Teil vollendete Gotthardbefestigung. Die Staatssteuerlast der S., kantonale und Bundessteuern, wurde für 1886 auf 59 Mill. Fr., die Kommunalsteuern auf 31 Mill. Fr. berechnet; von den Staatssteuern sind 28,9 Mill. Fr. direkte, 30,1 Mill. Fr. Verbrauchssteuern.

In kirchlicher Beziehung hat das Jahr 1890 die Eröffnung einer auf großem Fuße angelegten, vom Papst approbierten international-katholischen Hochschule in Freiburg, an welcher die wichtigsten Lehrstühle den Dominikanern übertragen wurden, sowie die Ernennung des Bischofs Mermillod zum Kardinal gebracht, was dem ehemaligen Pfarrer von Genf Gelegenheit bot, dem Bundesrat, der ihn 1873 ausgewiesen hatte, 16. Juli als Kirchenfürst eine offizielle Visite abzustatten. Bemerkenswert ist eine starke Strömung in der ultramontanen Partei, welche auf ein Verlassen des bisher von derselben eingehaltenen streng föderalistischen Bodens abzielt und in sozialpolitischen Dingen ein Zusammengehen mit den Sozialisten empfiehlt.

Die auswärtigen Beziehungen der S. haben sich insofern wesentlich gebessert, als die Spannung, die infolge des Wohlgemuth-Handels mit Deutschland eingetreten war, im J. 1890 wieder dem alten freundschaftlichen Verhältnis Platz machte, was in der am 31. Mai erfolgten Erneuerung des von deutscher Seite gekündigten Niederlassungsvertrags seinen Ausdruck fand (s. darüber den besondern Artikel Niederlassungsvertrag, S. 646). Mit großer Befriedigung konstatierte die S. auch die thatsächliche Anerkennung ihrer Neutralität von seiten Deutschlands, welche in der Vollendung und Eröffnung der ihr Gebiet umgehenden süddeutschen strategischen Bahnen lag. Am 9. u. 10. Dez. 1889 fand zwischen der S. und Österreich eine Delegiertenkonferenz wegen des gemeinsam zu unternehmenden Rheindurchstichs oberhalb des Bodensees statt, dessen Dringlichkeit die furchtbare Überschwemmung Ende August und Anfang September 1890 nur allzu deutlich darthat. Im August d. J. wurde der Schweizer Bundesrat von Großbritannien, Portugal und Nordamerika um die Ernennung eines Schiedsgerichts in dem internationalen Rechtsstreit, betreffend Delagoa in Afrika, wo die portugiesische Regierung eine von englischen und amerikanischen Unternehmern gebaute Eisenbahn beschlagnahmt hatte, angegangen und erklärte die Annahme des Auftrags. Am 14. Okt. 1890 wurde endlich die von der S. schon 1878 angeregte und auf einer Konferenz 1886 festgestellte internationale Übereinkunft über Eisenbahnfrachtrecht zwischen Deutschland, Österreich-Ungarn, Belgien, Frankreich, Italien, Luxemburg, den Niederlanden, Rußland und der S. zu Bern unterzeichnet und der Schweizer Bundesrat beauftragt, auf Kosten der vertragschließenden Staaten ein Zentralamt in Bern zu organisieren und dessen Geschäftsführung zu überwachen.

Zur Litteratur: Schollenberger, Vergleichende Darstellungen aus dem öffentlichen Rechte der schweizerischen Kantone (Zürich 1888 ff.); P. Wolf, Die schweizerische Bundesgesetzgebung (Bas. 1888 ff.); Schanz, Die Steuern der S. in ihrer Entwickelung seit Beginn des 19. Jahrhunderts (Stuttg. 1890, 5 Bde.); Pfenninger, Das Strafrecht der S. (Berl. 1890); Huber, System und Geschichte des schweizerischen Privatrechts (Bas. 1886-89, 3 Bde.); Adams, The Suiss confederation (Lond. 1889; französisch von Loumyer, Basel 1890); Öchsli, Bausteine zur Schweizer Geschichte (Zürich 1890); van Muyden, La Suisse sous le pacte de 1815 (Lausanne 1890); Strickler, Schweizerisches Verfassungsbüchlein (Bern 1890).

Über die Steuern der S. und ihre Entwickelung (nach Schanz) vgl. den besondern Artikel im vorliegenden Band (S. 887 ff.), über den Anteil der S. an der Geschichte der französischen Litteratur s. Französische Litteratur (S. 311 ff.).

Schwerkraftbahnen, s. Straßenbahn.

Schwiegereltern. Gegenüber dem in aller Welt feindlichen Verhältnis der S. (vgl. Bd. 17, S. 749) und besonders der Schwiegermutter bildet die sprichwörtliche Zärtlichkeit der letztern gegen ihren Schwiegersohn in Indien einen seltenen Gegensatz, der sich sogar in einem besondern, im Mai gefeierten Schwiegersohnsfest (Jâmâi Shâshthî) ausdrückt, bei dem im Hause der Mütter mit den Schwiegersöhnen ein förmlicher Kultus getrieben wird. Der Grund liegt in der bei den Hindu sehr gedrückten und lediglich von dem Wohlwollen ihres Gatten abhängigen Stellung der schon als Kind verheirateten Frau.