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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Vorstellung

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Vorstellung (psychologisch).

schlechtsorgane statt. Erstere entstehen als kleine, ca. 0,009-0,012 mm messende Zellen und erzeugen durch Teilung 8-32 männliche Geschlechtszellen (Spermatozoiden), die schmal birnenförmig gestaltet und am breiten Ende blaßgrünlich gefärbt sind, außerdem einen beweglichen Schnabel mit zwei langen Wimpern und einen roten Fleck an der Spitze haben; sie treten in zusammenhängenden Bündeln am hintern Ende der Mutterkugel aus und haben die Aufgabe, in die weiblichen Geschlechtsorgane einzudringen und sie zu befruchten. Letztere bestehen aus einer dunkelgrünen Eizelle (Ei) mit Gallertmembran und entwickeln sich nach der Befruchtung zu schmutzig rotbraunen kugeligen Oosporen, die durch Keimung ein neues Pflänzchen liefern. Die Geschlechtsverteilung ist viel mannigfaltiger, als früher angenommen ist. Stein gibt außer ungeschlechtlichen Kolonien nur rein weibliche (mit einigen Eiern) und rein männliche (mit zahlreichen Spermatozoidenbündeln) an und hält demnach V. aureus für diözisch. Kirchner fand Familien, die befruchtete Oogonien besaßen und später außerdem Antheridien entwickelten, so daß Proterogynie vorliegt; Klein endlich beobachtete acht verschiedene Kombinationen der Reproduktionsorgane, nämlich außer gemischten, gleichzeitig mit vegetativen und geschlechtlichen Vermehrungsorganen ausgestatteten Kolonien rein männliche, rein weibliche, vorwiegend weibliche und monözisch proterogyne Zellfamilien. In der Regel findet die Entwickelung nach reichlicher ungeschlechtlicher Vermehrung im Frühjahr durch diözische Geschlechtskolonien ihren Abschluß; aber daneben treten zahlreiche, zunächst ungeschlechtlich sich vermehrende Sommerreihen auf, die dann in solche mit gemischt männlichem Charakter übergehen; zuletzt tritt dann auch hier eine Oosporenkolonie auf. Mit Einschluß des von Kirchner aufgefundenen Falles ist der Generationswechsel von V. aureus somit ein dreifacher. Welche der Entwickelungsreihen eingeschlagen wird, scheint von Standortsverhältnissen und von der Jahreszeit abzuhängen. Auch der bisher als monözisch betrachtete V. globator hat verwickeltere Geschlechtsverhältnisse, als bisher angenommen wurde. Physiologisch erscheint die Volvoxkolonie als Ernährungsgenossenschaft, in welcher wie in einem Bienenvolk eine gewisse Anzahl von Individuen, die dafür die Vermehrung der Art ausschließlich übernehmen, von der Arbeit der übrigen leben. Wie dort Königin und Drohnen von den Arbeitsbienen gefüttert werden, so werden hier die ungeschlechtlichen Tochterkugeln, die Eier und die Spermatozoiden von den vegetativen, sich dabei erschöpfenden Zellen ernährt. Die Frage, ob V. eine Alge oder ein Tier ist, erscheint insofern müßig, als derselbe sowohl zu unzweifelhaften Algen als ebensolchen Flagellaten in deutlicher Verwandtschaft steht und ein absolutes Kriterium für die Bindeglieder beider nicht aufzufinden ist. Vgl. Klein, Morphologische und biologische Studien über die Gattung V. (in Pringsheims »Jahrbüchern für wissenschaftliche Botanik«, Bd. 20, 1889).

Vorstellung, in der Psychologie das in unserm Bewußtsein erzeugte Bild eines Gegenstandes. Bezieht sich die V. auf einen wirklichen Gegenstand, so heißt sie Wahrnehmung oder Anschauung; ist ihr Objekt ein bloß gedachtes, so wird sie Phantasievorstellung oder V. im engern Sinne genannt. Zwischen Wahrnehmung und V. bestehen beim gesunden Menschen scharfe Grenzen und sowohl qualitative als quantitative Unterschiede, gleichwie auf dem Gebiet innerer Erfahrung das wirkliche Erlebnis (Freude, Schreck) von der künstlichen Nachbildung (etwa seitens des Schauspielers) sich nicht nur der Gefühlsstärke, sondern auch der Gefühlsbeschaffenheit nach unterscheidet. Aber jede V. führt auf eine Wahrnehmung zurück. Entweder ist sie ganz eine Wiederholung früherer Wahrnehmung, oder ihre einfachen Bestandteile sind Abbilder früherer einfacher Empfindungen (s. d.); denn selbst die ausschweifendste Phantasie vermag keine V. zu ersinnen, die nicht entweder als Ganzes in der Wirklichkeit existiere oder wenigstens in ihren Teilen thatsächlich gegeben sei. Am nächsten stehen der Wahrnehmung die Vorstellungen, welche sich unmittelbar an sie anschließen, wie die Vorstellung des Schmerzes an die Wahrnehmung einer chirurgischen Operation (Erinnerungsnachbilder, apperzeptive Vorstellungsbilder). Je mehr andre Vorstellungen sich zwischen einen Sinneseindruck und seine Reproduktion einschieben, desto mehr verblaßt die Reproduktion, d. h. die betreffende V. Im allgemeinen nun unterscheiden sich einfache Vorstellungen von Empfindungen, bez. Vorstellungskomplexe von Wahrnehmungen in folgenden vier Punkten: 1) Vorstellungsbilder sind für gewöhnlich schwächer, undeutlicher als die entsprechenden Empfindungen. Ein bloß vorgestellter Ton ist eine zweifellos schwächere seelische Zuständlichkeit als derselbe Ton, wenn er wirklich gehört wird. Indessen ist dieser Intensitätsunterschied bei Individuen mit lebhafter Vorstellungsthätigkeit, also etwa bei Kindern, Frauen, Künstlern, ein nicht sehr erheblicher, während er bei Menschen mit vorwiegend abstrakter Geistesthätigkeit einen ziemlich hohen Grad erreicht. Abgesehen von solchen individuellen Verschiedenheiten hängt die Stärke der Vorstellungen von zwei Umständen ab. Es ist a) eine V. um so intensiver, mit je größerm Interesse der Gegenstand der ihr zu Grunde liegenden Sinneswahrnehmung erfaßt wurde, und b) je öfter diese Sinneswahrnehmung auftrat. 2) Jede V. ist von einem Gefühl der Spontaneität, jede Empfindung von einem Gefühl des Zwanges begleitet. So oft eine V. in das Phantasiespiel oder in die Denkthätigkeit eingreift, scheint sie aus dem eignen Innern spontan emporzusteigen und sich willig der psychischen Aktivität zu unterwerfen. Empfindungen werden uns von außen aufgedrungen und fügen sich nicht unsern Wünschen: das Rot, das ich sehe, zwingt sich mir als etwas Unveränderliches auf. Vorstellungen fühle ich als mein Eigentum, das in mir erzeugt und von mir zu beherrschen ist; fehlt das erste Merkmal, d. h. wird eine V. auf einen andern Urheber als die eigne Person bezogen, so nennt man das psychische oder Pseudo-Halluzination, fehlt das zweite Merkmal, d. h. ist die V. nicht nach Belieben abzuändern und zu verscheuchen, so spricht man von Zwangsvorstellungen. 3) Bei Vorstellungen ist die Aufmerksamkeit nicht wie bei Empfindungen auf ein Sinnesorgan gerichtet. 4) Den Vorstellungen fehlt die begleitende Muskelempfindung, die mit der Thätigkeit eines jeden Sinnesapparates, demnach mit allen Empfindungen verbunden ist. Jede Sinnesempfindung wird von Nebenempfindungen begleitet, die in den Bewegungen des betreffenden Organs (z. B. in Augenbewegungen) ihren Grund haben und ebendorthin von dem Bewußtsein lokalisiert werden; hingegen ergänzt sich die Vorstellungsthätigkeit durch allgemeine Spannungen der Kopfmuskulatur, die sich nicht auf den Ort eines besondern Sinnesapparats konzentrieren.

So viel von dem, was die innere Erfahrung über das Wesen der Vorstellungen aussagt. Es entsteht nunmehr die Aufgabe, den Zusammenhang der Vor-^[folgende Seite]