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Anthropologenkongreß (Danzig 1891)
Deutschen anthropologischen Gesellschaft, welche zweierlei erwiesen habe, erstens, daß die Wissenschaft immer noch die Kraft besitze, aus sich selbst heraus von überschwenglichen Ansichten zur Wahrheit zurückzukehren, und zweitens, daß kein religiöses Empfinden, keine religiöse Überzeugung die Beschäftigung mit der Anthropologie zu scheuen brauche. Redner kam sodann auf Danzig und Westpreußen zu sprechen und bezeichnete die wichtigsten Beziehungen des Landes zu den prähistorischen Arbeiten, zunächst die fabelhafte Gegend der Bernsteinküste mit dem wunderbaren Bilde des Bernsteinhandels in alter Zeit, wie das unscheinbare und eigentlich wertlose Baumharz ein Mittel gewesen ist, die Fackel der Aufklärung in die ganze damalige Welt zu tragen, sodann die Werke des Deutschen Ordens, den man zwar als einen Vernichter der Prähistorie betrachten kann, in dessen Gebieten aber eigentümlicherweise die Vorgeschichte weiter in die geschichtliche Zeit hineinreicht als in andern deutschen Gebieten. Dankbare Aufgaben bietet das Land der ethnologischen Forschung. Die Preußen, Letten, Litauer und Kurländer sind von den Slawen und allen möglichen deutschen Völkern überdeckt worden, so daß sehr verwickelte Verhältnisse entstanden, um deren Aufhellung sich die Versammlung sehr verdient machen kann. Lissauer- Danzig sprach hierauf über den gegenwärtigen Stand der prähistorischen Wissenschaft in der Provinz Westpreußen. Bereits im 16. Jahrh, hat man prähistorische Funde in Danzig und Elbing gesammelt. Im 18. Jahrh, gab es sogar schon eine Litteratur über die preußische Vorgeschichte. Eine ethnologische Sammlung konnte im vorigen Jahrhundert durch reiche Schenkungen Rankes und Solanders, die Cook auf seiner ersten Reise um die Erde begleiteten, von der Naturforschergesellschaft in Danzig begründet werden. Aber erst in der Mitte unsers Jahrhunderts untersuchte ein Lehrer in Danzig Pomerellen selbst auf seine Altertümer. Einen gemeinsamen Mittelpunkt gewannen diese Bestrebungen erst nach Gründung der Deutschen anthropologischen Gesellschaft und des Lokalvereins in Danzig, und mit der Schöpfung des westpreußischen Provinzialmuseums nahm die prähistorische Wissenschaft in der Provinz einen großen Aufschwung. Das Museum und die kleinern Sammlungen in Elbing, Marienwerder, Graudenz, Thorn geben ein Gesamtbild der prähistorischen Kulturentwickelung der Provinz von der jüngern Steinzeit an, in welcher der Mensch zuerst in Westpreußen von S. her beiderseits der Weichsel einwanderte. Als Zeugnisse dieser fernen Epoche, welche weit bis in das 2. Jahrtausend v. Chr. zurückreicht, führte der Vortragende die Feuersteinstationen von Oxhöft und Weißenberg, in denen allerwärts charakteristische Gefäßscherben mit schönen Schnurornamenten gefunden wurden, sowie die Küchenabfälle von Tolkemit an; weiterhin wies er auch auf die Bernsteinschmucksachen hin, welche mit Feuerstein bearbeitet sind, ebenso auf die mannigfachen Werkzeuge aus Stein und Knochen, welche in der ganzen Provinz verstreut gefunden werden. Gräber aus dieser Epoche sind nur in geringer Zahl vorhanden. Zuerst findet man die Skeletthügel, später aber tritt schon Leichenbrand auf mit Steinsetzungen nach Form der kujavischen Gräber, wie im Kulmer Land. Gegen Ende des 2. Jahrtausends v. Chr. tritt Westpreußen durch den Bernsteinhandel allmählich mit den westlichen und südlichen Völkern in Verkehr und zwar durch einen vermittelnden Tauschverkehr Zu Lande, wie durch Pommern und Mecklenburg nach der Elbe, durch Posen, die Lausitz und Sachsen zum Rhein hin und die Weichsel aufwärts nach der Donau zu, wo in Ungarn schon früh eine große Bronzeindustrie bestand. Die Zeugnisse dieses Verkehrs aus der Bronzezeit stellte Redner in einer der Versammlung gewidmeten Festschrift dar. In diese Periode zählen die meisten Hügelgräber mit den interessanten Gesichtsurnen, von welchen das Provinzialmuseum eine sehr große Zahl besitzt. Die folgende La Tène-Kultur in den letzten Jahrhunderten v. Chr. ist ebenfalls durch großartige Funde aus den Brandgräbern von Oliva und Rondsen vertreten, ebenso wie die Zeit des Handelsverkehrs mit den Provinzen des römischen Kaiserreichs vom 1. bis 4. Jahrh. n. Chr. durch prächtige Funde von Elbing und kunstvolle Gefäße aus dem Kulmer Lande, durch viele Fibeln und Münzen. Dann folgt eine Zeit von fast 400 Jahren, aus welcher kein Fund in Westpreußen bekannt ist, gerade so, als wenn die gesamte Bevölkerung zur Zeit der Völkerwanderung ausgewandert wäre. Erst wieder aus der slawischen Zeit besitzt das Museum reiche Funde von Haarsilber, von kufischen und deutschen Münzen, von Reihengräbern mit Schläfenringen und von Burgwällen, welche den Beweis liefern, daß das untere Gebiet der Weichsel wieder mehr bewohnt gewesen und sowohl mit der morgenländischen als mit der abendländischen Welt wieder in Verkehr getreten war. Im Anfang unsers Jahrtausends beginnt dann die Geschichte auch über diese Gegend Licht zu verbreiten. Zum Schluß erstattete Ranke (München) den wissenschaftlichen Jahresbericht.
In der zweiten Sitzung sprach Jentzsch - Königsberg über die geologischen Verhältnisse Westpreußens. Der Boden der Provinz besteht der Hauptsache nach aus Bildungen des Diluviums, doch finden sich an wenigen Orten, punktförmig aus dem Diluvium hervorbrechend, Gebilde der Tertiärformation, an zwei Stellen südlich von Marienberg auch Kreide. Die nähere Untersuchung des westpreußischen Diluviums ist mit großen Schwierigkeiten verknüpft, weil infolge der großen Ausdehnung der Lager alle Anhaltspunkte zur speziellern Bestimmung der einzelnen Schichten fehlen. Redner besprach sodann die mehrfachen Überflutungen, durch deren Vermittelung schwedisches Material nach dieser Gegend heruntergeführt wurde. Ursprünglich fand das Meer wenig vor, was der Zerstörung durch Wasser hätte anheimfallen können. Später boten die ungeheuern von Bernsteinbäumen gebildeten Wälder Angriffspunkte genug. Im Zusammenhang mit dem Vorrücken und Zurücktreten des Meeres stehen die großen Vereisungen, welchen die Provinz zweimal unterworfen war, während dazwischen eine mäßige Temperatur, der heutigen ähnlich, vorherrschte. Bei spätern Überflutungen trat das Meer durch abwechselnde Hebungen und Senkungen kleinern Maßstabes mit dem Lande in innigere Berührung, und so finden sich nahe dem sogen. Vogelsang als ein Unikum in ganz Europa Meeresschichten und Süßwasserschichten unmittelbar nebeneinander. Den Beweis dafür, daß das ganze Land früher viel höher gelegen haben muß, liefert die Auffindung von Süßwasserschichten noch in einer Tiefe von 100 m unter dem Meeresspiegel. Der Bernstein findet sich ursprünglich im Eocän und Oligocän, ist aber später, wesentlich wohl infolge von Eiswirkungen, in jüngere Schichten gelangt. Das Verbreitungsgebiet des Bernsteins deckt sich etwa, was mit obigem zusammenhängt, mit der Zone der erratischen Blöcke. Von organischen Resten nannte der Redner unter anderm die