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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Japanisches Bein - Jastrow
entlassungen und Gehaltsverminderungen statt. An Stelle des bisherigen Ministerpräsidenten Yamagata trat der Finanzminister Graf Matsukata.
In diese Zeit fällt das Attentat auf den russischen Thronfolger, der nach seiner Reise durch Indien und China auch J. besuchte. Er landete in Nagasaki und reiste über Kagoshima nach Kobe, von wo er sich nach Kioto begab, um dann dem Kaiser von Japan in Tokio seinen Besuch abzustatten. Von Kioto aus machte er einen Ausflug nach dem nur zwei deutsche Meilen entfernten Ôtsu am Biwasee, um diesen durch Naturschönheiten berühmten See kennen zu lernen. Am 11. Mai sollte von Ôtsu aus eine Fahrt am Ufer des Sees entlang unternommen werden, der Großfürst-Thronfolger bediente sich hierzu des landesüblichen Gefährtes, der Jinrikisha, d. h. eines kleinen zweiräderigen Wagens, der nicht von Pferden, sondern von 1-2 Kulis gezogen wird. Während der Fahrt machte plötzlich einer der dem Großfürsten beigegebenen japanischen Polizisten, Namens Tsuda Sanzô, auf ihn einen Schwertangriff und versetzte ihm einen Hieb über den Kopf, der jedoch wegen des schweren Sonnenhelms, den der Großfürst trug, nur eine ungefährliche Wunde zur Folge hatte. Der Attentäter wurde sogleich durch die beiden Wagenzieher des Großfürsten unschädlich gemacht und in der Folge zu lebenslänglicher Zwangsarbeit verurteilt (er ist inzwischen im Gefängnis gestorben). Auf die Kunde von dem Attentat reiste der Kaiser sogleich per Extrazug nach Kioto, wohin der verwundete Großfürst gebracht worden war, und drückte ihm sein tiefstes Bedauern über das Geschehene aus. Der Kaiser von Rußland schickte nach erhaltener Nachricht dem Großfürsten die telegraphische Weisung, seinen Aufenthalt in J. nicht länger auszudehnen, sondern sofort nach Rußland zurückzukehren. In J. rief das Ereignis eine förmliche Panik hervor; in vielen Kreisen befürchtete man eine Kriegserklärung von feiten Rußlands, man verlangte, daß das gesamte Ministerium in corpore abdanken sollte, der Gouverneur des Shiga-Kens, dessen Hauptstadt Ôtsu ist, wurde abgesetzt, obgleich er diesen Posten erst 2 Tage vor dem Attentat angetreten hatte, die Stadt Ôtsu sollte einen andern Namen erhalten u. dgl. m. Doch bald beruhigten sich die Gemüter wieder, und auch der Plan, eine außerordentliche Gesandtschaft nach Petersburg zu entsenden, wurde fallen gelassen, da der Kaiser von Rußland selbst den Wunsch aussprach, daß es unterbleiben möge. Das Attentat von Ôtsu blieb nicht ohne Einfluß auf die gleich darauf eintretende Neubildung des Kabinetts; sechs der alten Minister traten aus, darunter der Minister des Äußern, Viscount Aoki, zu dessen Nachfolger Graf Enomoto, der unter Yamagata kein Portefeuille gehabt hatte, ernannt wurde, wohl mit Rücksicht darauf, daß er 1875-78 in Petersburg Gesandter gewesen war und daher den Russen ganz besonders persona grata sein mußte. Außer Enomoto traten neu ein: Discount Takashima als Kriegsminister, Viscount Tanaka als Justizminister, Viscount Shinagawa als Minister des Innern und Graf Oti, der sein Amt als Präsident des Sumitsu-in (Staatsrat) an Graf Itô abgab, als Unterrichtsminister. Nicht berührt von dem Kabinettwechsel blieben der Marineminister Viscount Kabayama, der Minister für Landwirtschaft und Handel Herr Mutsu und der Verkehrsminister Graf Gôtô, während zugleich der neue Premier, Graf Matsukata, sein Portefeuille als Finanzminister beibehielt.
Das neue Kabinett unterscheidet sich von den frühern dadurch, daß in ihm Satsuma und ganz besonders Chôshû zum erstenmal etwas in den Hintergrund getreten sind. Während früher diese beiden Clans allein in der Regel sieben Minister stellten, sind im jetzigen Kabinett drei Satsuma-Minister (Matsukata, Kabayama und Takashima) und nur noch ein Minister aus Chôshû (Shinagawa). Allerdings ist Matsukata nicht nur Vorsitzender, sondern auch Finanzminister, und dann ist auch der Einfluß Itôs (Chôshû) als Präsident des Sumitsu-in in Rechnung zu ziehen. Von den andern fünf Ministern ist einer (Enomoto) ein früherer Gefolgsmann des Tokugawa-Shogunats, die übrigen gehören vier verschiedenen Clans an, nämlich Tosa (Gôtô), Hizen (Ôki), Kishû (Mutsu) und Ôwari (Tanaka). Am bedeutsamsten ist vielleicht der Wiedereintritt des Grafen Itô, der einige Jahre lang dem Kabinett nicht mehr angehört hat; auch jetzt gehört er als Präsident des Sumitsu-in zwar nicht zum eigentlichen Kabinett, welches nach der Reorganisation von 1889 nur noch aus den Staatsministern und -Vizeministern besteht, doch kann er jederzeit zu den Sitzungen des Kabinetts hinzugezogen werden; Itô gilt sogar als die eigentliche Seele des Kabinetts, er liebt nur nicht, in den gegenwärtigen Zeitverhältnissen zu sehr in den Vordergrund zu treten.
Im August 1891 wurde die Eisenbahnlinie, welche die Hauptinsel bis zum Nordende bei Aomori durchläuft, vollendet; gleichzeitig schreitet der Bau der Bahn nach dem entgegengesetzten Ende der Kmuvtinsel bei Shimonoseki, sowie der der Eisenbahn auf Kiushiu rüstig fort. Zur Unterstützung der durch das entsetzliche Erdbeben vom 28. Okt. 1891 obdachlos gewordenen Bewohner (s. oben) und zur Wiederherstellung der auf große Strecken zerstörten Flußeindämmungen wies die Regierung aus eigner Initiative und ohne den Zusammentritt des Parlaments abzuwarten, aus dem Budgetüberschuß für 1891 die Summe von 2 1/4 Mill. Jen an. Als das Parlament 21. Nov. wieder zusammentrat, wurde die Regierung wegen dieses als eigenmächtig und verfassungswidrig bezeichneten Erlasses heftig angegriffen. Die Jiyûtô und die Kaishin-tô vereinigten sich zu gemeinschaftlicher Opposition, und als sie der Regierung ein Mißtrauensvotum erteilten, wurde das Parlament 25. Dez. 1891 aufgelöst.
Zur Litteratur: Harada, Die japanischen Inseln (hrsg. von der kaiserlichen japanischen geologischen Reichsanstalt, Lief. 1, Berl. 1890); Villaret, Dai Nippon (le Japon; Par. 1889); Ussèle, A travers le Japon (das. 1891); Inagaki, J. and the Pacific (Lond. 1890); Rathgen, Japans Volkswirtschaft und Staatshaushalt (Leipz. 1891).
Japanisches Bein, s. Schaltknochen.
Japha, George, Violinspieler, starb 25. Febr. 1892 in Köln.
Jastrow, Joseph, Psycholog, geb.30.Jan. 1863zu Warschau, kam im vierten Lebensjahr nach Amerika, besuchte die Staatsuniversität von Pennsylvanien, von der er 1882 den Grad eines Bachelor of Arts erhielt, und dann die John Hopkins-Universität zu Baltimore, wo er hauptsächlich Psychologie bei Stanley Hall und Logik bei Charles S. Peirce trieb. Dort promovierte er 1886 mit einer wertvollen Abhandlung über die Raumanschauung durch verschiedene Sinne. 1888 erhielt er die neugegründete Professur für experimentelle und vergleichende Psychologie an der Universität von Wisconsin in Madison. Jastrows Arbeiten, die sich durch große Sorgfalt auszeichnen, sind meist in Zeitschriften zerstreut.