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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Naturwissenschaftlicher Unterricht (Allgemeines)
Apparates berichtete Rohrbeck noch über eine sehr beachtenswerte Beobachtung. Es treten nämlich nach der Kondensation regelmäßig und Zuweilen sehr beträchtliche Temperaturerhöhungen im Innern der Ballen ein, welche sich erklären aus dem Freiwerden von Wärme bei der plötzlichen Druckverminderung aus den noch nicht kondensierten Dampfteilen. Diese Temperatursteigerung gerade an den Stellen, an welchen die Desinfektion sonst auf die größten Schwierigkeiten stoßt, kann nur günstig auf die Abtötung der organischen Keime wirken und ist deshalb physikalisch wie hygienisch gleich interessant.
Lehmann-Würzburg sprach über die erstaunlichen Verunreinigungen der Schrotmehle, welche zu dein am Niederrhein üblichen groben Roggenbrot (Pumpernickel etc.) verwendet werden. Gelegentlich einer Untersuchung über die Zweckmäßigkeit eines neuen Kornenthülsungsverfahrens war Vortragender auf Beispiele solcher Verunreinigung gestoßen. Er verfolgte die Sache, indem er sich eine große Zahl von entsprechenden Mehl- und Brotproben verschaffte, wie sie von kleinern Mühlen und Bäckereien daselbst in den Handel gebracht, resp. verwendet werden. Sämtliche 80 Proben erwiesen sich stark, zum Teil in ganz unglaublichem Maße verunreinigt, und zwar nicht nur mit Erde, Mäusekot und dergleichen Zwar ungehörigen und widerwärtigen, aber doch nicht gerade schädlichen Dingen, sondern auch mit Mutterkorn, Taumellolch und andern giftigen Unkrautsamen. Radefrei war keine von allen 80 Sorten, und in einzelnen stieg der Gehalt an Rade bis über 1 Proz. Wie viele Magenkatarrhe und andre Erkrankungen, die wer weiß was für sonstigen Ursachen zugeschrieben sind, mögen auf die Rechnung derartiger Brotsorten gehören Redner wies auf das Nahrungsmittelgesetz hin, welches hier völlig im Stiche läßt. Jedenfalls sei es Pflicht der Polizei, ein wachsames Auge auf jenen, wie es scheint, nur in Nordwestdeutschland verbreiteten Unfug zu haben.
Naturwissenschaftlicher Unterricht. Die Naturwissenschaften haben während der letzten Jahrzehnte in den Schulen eine feste Stelle im Lehrplan erhalten, auch ist über ihre Berechtigung als Unterrichtsgegenstand, die Methode, die zu erreichenden Ziele eine größere Klarheit entstanden. In Preußen sind sie durch die Allgemeinen Bestimmungen vom 15. Okt. 1872 auch in die Volksschule eingeführt. Die Realgymnasien, Oberrealschulen und höhern Bürgerschulen hatten sie nach Maßgabe ihrer Bestimmung als realistische Lehranstalten von jeher als gleichberechtigte Lehrgegenstände angesehen. Die Gymnasien erhielten durch den revidierten Lehrplan von 188^ auch für die Naturwissenschaften mehr Raum, namentlich wurde in Quarta der früher fallen gelassene Unterricht wieder eingeführt und derselbe auch für Sexta und Quinta vorgeschrieben. Im übrigen Deutschland ist die Stellung als Lehrgegenstand wesentlich dieselbe. Im Ausland ist ihm eine verhältnismäßig größere Aufmerksamkeit und Pflege zu teil geworden, wie die Unterrichtsgesetze Frankreichs aus den 70er Jahren und namentlich diejenigen Österreichs beweisen. Während in Preußen bis zur Gegenwart eine Strömung herrscht, welche nur den sprachlich historischen und höchstens noch den mathematischen Fächern einen humanistischen Bildungswert zugestehen will, dagegen nur in untergeordnetem Grade den naturwissenschaftlichen, welche sich daher gegen Einführung und Ausdehnung derselben, als den durch die sogen. Geisteswissenschaften gepflegten idealen Interessen zuwider, für die Gymnasien stemmt, welche denjenigen höhern Lehranstalten, die ihn mit in erster Linie pflegen, nicht einmal die Berechtigung als Gelehrtenschulen, viel weniger als Vorbereitungsanstalten für wenigstens gewisse Universitätsfakultäten zugestehen will - ist diese Frage für Österreich bereits seit 1849 gelöst und sind dort nach dem von Erner und Bonitz herrührenden Organisationsentwurf auch für Ober- und Untergymnasien die Naturwissenschaften als gleichberechtigter Unterrichtsgegenstand anerkannt und mit ausreichender Stundenzahl bedacht. Ein Streit über die Bedeutung der einzelnen Lehrfächer, wie er in Deutschland zwischen klassischen Philologen, Mathematikern und Naturhistorikern bis in die Gegenwart besteht und auch in der Dezemberkonferenz für das, .höhere Schulwesen 1890 wieder heraustrat, ist in Österreich seit 20 Jahren unbekannt. Man ist da^ selbst einen erheblichen Schritt weiter, denn seit 1849 betrachtet man dort nur noch als Aufgabe, »die humanistischen Elemente, welche auch in den gleichberechtigten Naturwissenschaften in reicher Fülle vorhanden sind, überall mit Sorgfalt zu benutzen.
Darüber, daß auch die Naturwissenschaften eine Stelle im öffentlichen Unterricht finden mußten, hatte die Thatsache entschieden, daß ohne sie die gegenwärtige Kulturentwickelung schlechterdings unverständlich sei, daß die Mitarbeit an derselben naturwissenschaftliche Bildung unbedingt verlange. Fraglich blieb vielfach nur, ob dieser Unterricht den humanistischen Lehranstalten, die ohnedies bereits einen großen Stoff zu bewältigen hatten, großenteils oder ganz abgenommen und etwa der Fortbildungsschule und der Universität überwiesen werden könnte. Die ablehnende Haltung der klassischen Philologen wenigstens verfolgt diesen Gedankengang, indem sie diesen Unterricht als vorzugsweise technischen ansieht. Indes ist, wie gesagt, in der Neuzeit n. U. auch in der Volksschule und im Gymnasium allgemein eingeführt, resp. mehr gepflegt und derselbe damit, wenn auch bei weitem nicht ausreichend gewürdigt, so doch wenigstens als berechtigter Unterrichtsgegenstand anerkannt, und zwar kraft der ihm innewohnenden speziellen Bildungswerte. In den letztern allein liegt die Entscheidung; wer begriffen hat, daß den Naturwissenschaften spezifische humanistische Bildungselemente zukommen, solche, welche den sprachlich historischen und selbst den mathematischen Fächern abgehen, muß ihre Berechtigung, ja Gleichberechtigung in den humanistischen Bildungsanstalten als Lehrfach fordern, will er nicht das Ideal, harmonische Entwickelung der menschlichen Fähigkeit schon durch die Schule, ignorieren.
Diese Bildungselemente der Naturwissenschaften liegen in der ganz eigentümlichen Art induktiver Logik, wie sie vom Unterricht verlangt wird, wie sie selbst als Methode wissenschaftlicher Forschung zu unermeßlichen Erfolgen, welche die ganze Kulturentwickelung in andre Bahnen drängten, geführt hat, eine Logik, die man mit Fug und Recht als naturwissenschaftliche bezeichnet, und welche gegenwärtig selbst für weitabliegende Wissenschaften sich Geltung verschafft. Die induktive Logik der Naturwissenschaften zeigt kurz ausgedrückt folgende Eigentümlichkeiten nach Erkenntnis und Heuristik:
1) Die Erkenntnis bezieht sich auf Naturdinge, welche sich dem Menschen überall und allezeit aufdrängen, sie ist ihm (vom Nutzen abgesehen) geistiges Bedürfnis von der Wiege bis zum Grabe. Seine höchsten Ideale über seine eigne Bestimmung werden auch durch diese die ganze Weltanschauung bedingende Erkenntnis in hohem Grade beeinflußt.