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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Amerika (Staatliches)

ward ein Kolonialland für Frankreich, England und Holland. Die Spanier eroberten und besetzten die Hochländer der Anden und die schon civilisierten Gegenden A.s, ließen sich unter der einheimischen Bevölkerung nieder und machten letztere zu ihren Arbeitern und Unterthanen. Die Portugiesen im Süden und die Engländer im Norden kolonisierten die Ostküsten, verdrängten die Eingeborenen und bildeten neue Gemeinwesen, in die südlich mehr, nördlich weniger amerik. Elemente übergingen, in denen jedoch zwei verschiedene Entwicklungswege verfolgt wurden. Die einen bewohnten ein Land, in Klima und Boden ihrem Vaterlande ähnlich, und konnten europäisch bleiben; die andern wählten die Äquinoktialgegenden zu neuer, ungewohnter Heimat und holten Negersklaven zur Arbeit über den Ocean. Auf solche Weise gestaltete sich eine natürliche Verteilung der verschiedenen Elemente auf amerik. Boden. In Nordamerika wurde der Südosten europäisch, die Indianerstämme zogen sich nach Norden und Westen zurück; in Südamerika dagegen wurden dieselben von allen Seiten umschlossen; sie berühren nur im Orinoco- und Amazonendelta und in Patagonien den Ocean. Mittelamerika und das westl. Südamerika wurden Vereinigungsländer von Europäern und Eingeborenen; die östl. Küstenländer zwischen dem 35.° nördl. und dem 35.° südl. Br. wurden europ. Länder mit Sklaven und jenseit dieser Parallelen solche ohne Sklaven. Das europäisierte A. bietet daher drei Kasten dar: die Europäer, die Eingeborenen und die Neger. Ihre Farbe sondert scharf; die sie trennenden Schranken sind jedoch nicht überall von gleicher Festigkeit. Der Spanier und Portugiese verschmilzt leicht mit dem Eingeborenen; der Angloamerikaner aber scheidet sich streng von ihm. Der Einfluß der Weißen ist entscheidend für die Entwicklung der socialen Zustände, denn er beherrscht durch seine Geistesüberlegenheit den stumpfen Eingeborenen, den sinnlichen Neger, selbst den unternehmenden und thätigen Mulatten.

Die roman. Weißen im Süden haben indessen eine andere Civilisation als die germanischen im nördlichen A. Spanier und Portugiesen kamen aus dem roman., kath., von unumschränkten Fürsten beherrschten Südeuropa. Sie verließen ihr Vaterland, verlockt durch die Schätze der Neuen Welt; sie bezogen einen ungewohnten Himmelsstrich, unter dem viele vor der Zeit starben, andere geistig entkräftet wurden. Ein breiter Ocean trennte durch widerwärtige Strömungen den Kolonisten von der Heimat. Gewalt drängte dem Einheimischen den Katholicismus auf, aber die Civilisation faßte nicht feste Wurzel; das Volk wurde unwissend gelassen, Verkehr, Gewerbfleiß und Handel waren gehemmt. Aus den Kolonien wurden später selbständige Staaten, schließlich sämtlich Republiken, aber unaufhörliche Erschütterungen verhinderten eine gedeihliche Entwicklung. Anders im Norden. Der brit. Ansiedler kam als Stellvertreter des germanischen, gewerbsamen und freien Europas in einen Erdstrich, seiner Heimat ähnlich. Er fand zunächst weder Gold noch Edelsteine, wohl aber einen Boden, der auf die arbeitende Hand wartete, um zu belohnen. Der Verkehr mit dem Mutterlande war leicht, und geistig wie kommerziell bald belebt und innig. Der größte Teil der engl. Ansiedler wurde eine unabhängige Nation; ein großer Bund republikanischer Staaten bildete sich. Nicht bloß Metalle und Kolonialwaren wanderten von A. nach der Alten Welt, sondern auch die geistige Frische neuer polit. Theorien wirkte mächtig zurück. So steht ein romanisches und germanisches A. in scharfem Gegensatz einander gegenüber. In einem wichtigen Punkte aber treffen sie doch zusammen, beiden fehlen nämlich politisch bevorrechtete Stände. Dieser Grundcharakter der amerik. Civilisation greift wesentlich ein in die Staatengeschichte der Neuen Welt. Da die amerik. Kolonien weder fürstl. Familien noch einheimischen Adel besaßen, die die öffentliche Gewalt hätten in Anspruch nehmen können, so mußten sie sich bei ihren Unabhängigkeitserklärungen von den Mutterstaaten schon darum der demokratisch-republikanischen Regierungsform zuwenden. Zugleich aber ging dieser Republikanismus nach zwei Richtungen auseinander. Man stiftete in Nordamerika, wo es galt, die verschiedensten Völker und abweichende Bedürfnisse und Neigungen einander anzupassen, Bundes- oder Föderativstaaten, während sich die gleichartigen span. Volkselemente im Süden überwiegend der Form des Einheitsstaates zuneigten. Freilich läßt sich nicht verkennen, daß die jungen, in losen Formen schwebenden Staats- und Gesellschaftsbestandteile im Norden wie im Süden A.s noch manchen Entwicklungsprozeß zu durchleben haben, ehe sie zu einer schärfern, sichern und innerlich gegliederten Gestaltung des polit. Lebens werden gelangen können. Im allgemeinen sind indes die Zustände der von german. Stämmen kolonisierten Staaten weit gedeihlicher und geordneter, die geistige und sittliche Bildung weit vorgeschrittener und verbreiteter als in denjenigen, wo die civilisatorische Aufgabe in den Händen der roman. Stämme lag.

Staatliches. Die Zahl der selbständigen Staaten A.s beträgt 19, die sämtlich Republiken sind. Größe und Bevölkerung der selbständigen Staaten und der europ. Besitzungen zeigt die folgende Tabelle:

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Selbständige Staaten Jahr Fläche Bewohner auf 1 qkm

Vereinigte Staaten von Amerika 1890 9 212 300 62 982 244 7

Mexiko 1894 1 946 523 12 080 725 6

Guatemala 1891 125 100 1 452 003 12

Salvador 1892 21 070 780 426 37

Honduras 1890 119 820 396 048 3

Nicaragua 1888 123 950 282 845* 1

Costa-Rica 1892 54 070 262 700 4

Haïti 1887 28 676 960 000 33

Santo Domingo 1888 48 577 417 000 9

Vereinigte Staaten von Venezuela 1891 1 539 395 2 323 527 1

Columbia 1870 1 330 875 3 320 530 3

Ecuador 1890 299 600 1 400 000 4

Peru 1890 1 137 000 2 980 000 2

Bolivia 1890 1 334 200 2 270 000 2

Chile 1894 776 000 2 915 332 3

Argentin. Republik 1892 2 789 400 4 257 000 1

Paraguay 1887 253 100 330 000* 1

Uruguay 1893 186 920 748 130 4

Vereinigte 1888 8 337 218 14 002 335 1

Zusammen: 29 663 797 114 160 845 3,8

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Kolonien europ. Staaten Jahr Fläche Bewohner auf 1 qkm

Großbritannien 1891 9 474 700 6 719 000 0,7

Spanien 1887 128 147 2 430 253 19

Frankreich 1889 81 993 377 330 4

Niederlande 1890 130 230 114 035 0,8

Dänemark (mit Grönland) 1890 88 459 43 302 0,4

Zusammen: 9 903 529 9 683 920 1,4

* Ohne die uncivilisierten Indianer.

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Die Kolonien und sonstigen Besitzungen der Europäer umfassen folgende Länder: 1) Großbritannien