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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Anglikanische Kirche

nur noch in Nordamerika zahlreiche Anhänger. Ihre eigentümliche Stellung unter den prot. Kirchengemeinschaften erklärt sich aus der engl. Reformationsgeschichte. England war schon im 14. Jahrh. durch Wiclif (s. d.) in eine religiöse Bewegung geraten, die sich gegen das ganze hierarchische Wesen, gegen Heiligenverehrung, Ablaß, Ohrenbeichte, Brotverwandlung, Fegefeuer u. s. w. richtete und die Rückkehr zur Einfachheit der Heiligen Schrift und der apostolischen Presbyterialverfassung erstrebte. Sein Andenken bahnte den Schriften Luthers, die seit 1519 in England Eingang fanden, den Weg. Aber die Anfänge einer neuen Kirchenordnung waren von dieser religiösen Bewegung so gut wie unberührt geblieben: ein Ehehandel König Heinrich Ⅷ., die vom Papst bekämpfte Heirat mit Anna Boleyn (s. d.), trieben den König zum Bruche mit Rom, zum Sturz der päpstl. Herrschaft in England und zur Erhebung des Königs als des obersten Hauptes von Staat und Kirche (3. Nov. 1534). Als dann Thomas Cromwell (s. d.) und Cranmer (s. d.) durch die Protestantisierung dieser neuen Staatskirche den Wandel vervollständigen wollten, hielt Heinrich dieselbe beim alten Dogma; in dem harten Kirchengesetz der «Sechs Artikel» (1539) blieb man bei den sieben Sakramenten, Transsubstantiation, Cölibat, Stillmesse, Ohrenbeichte. Erst nach Heinrichs Tod (1547) unter Eduard Ⅵ. (1547–53) begann der Protektor Somerset (s. d.) eine prot. Neuordnung der unter Heinrich Ⅷ. so in der Lehre katholisch gebliebenen anglikan. Staatskirche. Bucer (s. d.) wurde nach Cambridge, Peter Martyr und Ochino (s. d.) nach Oxford berufen, um das heranwachsende Theologengeschlecht im reform. Glauben zu erziehen. Die 42 Glaubensartikel von 1542 enthalten schon einen ganz evang. Lehrbegriff. Nur vorübergehend konnte von einer Zurückführung des Katholicismus unter Maria der Katholischen (1553–58) die Rede sein, unter ihrer Nachfolgerin Elisabeth (1558–1603) ist dann die auf dem Staatskirchentum Heinrichs Ⅷ. beruhende, dessen bischöfl. Verfassung und die alten Ceremonien meist beibehaltende, aber in der Lehre protestantische A. K. entstanden. Die Königin wurde wieder das Haupt dieser Kirche und die aus Cranmers 42 Artikeln umgearbeiteten Neununddreißig Artikel das Glaubensbekenntnis derselben; ebenso beruhte das neue allgemeine Gebetbuch (Common Prayer-book) auf der Vorarbeit Cranmers. Die Uniformitätsakte gab der Staatskirche die allgemeine Herrschaft in England.

Aber schon unter Elisabeth erhob sich gegen den Zwang dieser Staatskirche die Opposition der Puritaner (s. d.), die größere religiöse Freiheit forderten und die Kirche von allen noch in der Verfassung gebliebenen Resten röm. Götzendienstes «reinigen» wollten. Vor allem wuchs ihr Widerstand unter den Nachfolgern der Königin, Jakob Ⅰ. (1603–25) und Karl Ⅰ. (1625–49), er übertrug sich auf das polit. Gebiet und bekämpfte die Alleinherrschaft der Monarchie ebenso wie die von dieser geschützte Bischofskirche. Ein Bürgerkrieg brach aus (1642), der Karl Ⅰ. auf das Schafott brachte, in welchem es aber auch zwischen den presbyterianischen Puritanern und den freiern puritanischen Sekten der Independenten (s. d.) zu offenem Bruch und zur Niederlage der Presbyterianer kam, nachdem diese noch in der Westminstersynode (1643–49) Kirchenverfassung und Lehre in ihrem Sinne umgestaltet hatten. Die Herrschaft der Independenten brachte die Republik, schließlich das Protektorat ihres großen Führers Oliver Cromwell (s. d.), bis nach dessen Tod mit der Restauration des Königtums unter Karl Ⅱ. (1660–85) auch die Bischofskirche wieder zur alleinigen Macht kam (neue Uniformitätsakte 1662). Die kath. Restaurationsversuche Jakobs Ⅱ. (1685–88) führten 1688 zu seiner Vertreibung und zur Erhebung Wilhelms Ⅲ. (s. d.) von Oranien. Die 1673 vom Parlament erlassene Testakte (s. d.) wurde durch die Toleranzakte von 1682 zu Gunsten der prot. Dissenters (s. d.) verändert und blieb nur gegen Katholiken und Socinianer (s. d.) in Kraft. Erst durch die Parlamentsakten vom 9. Mai 1828 und 13. April 1829 wurden die Katholiken ins Parlament und zu den meisten Staatsämtern zugelassen. Doch dürfen noch heute keine kath. Priester im Parlament sitzen; ausländische Ordensgeistliche werden ausgewiesen, einheimische unter strenge Aufsicht gestellt, die Führung geistlicher Titel ist bei hohen Geldstrafen verboten. Diese und andere Vorsichtsmaßregeln haben die geheime oder offene Hinneigung namhafter anglikan. Geistlicher und hochgestellter Laien zum Katholicismus, ja zahlreiche Übertritte nicht hindern können. Papst Pius Ⅸ. teilte angesichts der Fortschritte des Katholicismus England in acht Sprengel und ernannte 1850 in Kardinal Wiseman (s. d.), dem 1865 Kardinal Manning (s. d.) folgte, einen Erzbischof von Westminster und Primas der kath. Kirche in England; ein Eingriff in die Staatsgesetze, der die öffentliche Meinung gewaltig erregte.^[Spaltenwechsel]

Die innere Verfassung ist seit der Gesetzgebung von 1689 nur in untergeordneten Punkten geändert worden. Die Bischöfe sitzen von alters her als Barone des Reichs im Hause der Lords. An ihrer Spitze steht der Erzbischof von Canterbury als Primas von ganz England und erster Peer des Reichs. Zu seiner Provinz gehören 21 Bistümer in England und 53 in den Kolonien. Er hat das Vorrecht, den König zu krönen. Ihm zunächst steht der Erzbischof von York, dem 7 Bistümer untergeben sind. Irland war seit der Church-Temporality-Akte von 1833 in 2 Erzbistümer (Armagh und Dublin) und 12 Bistümer geteilt; im Parlament saßen für Irland aber stets nur ein Erzbischof und drei Bischöfe. Durch Parlamentsakte vom 26. Juli 1869 ist jedoch die irische Staatskirche, bis dahin ein Zweig der A. K., aufgehoben, die Zahl der Bistümer beschränkt und das Recht der A. K. in Irland, Katholiken und Dissenters zu besteuern, aufgehoben worden. Die geistliche Machtvollkommenheit des höhern Klerus hat sich bis heute ziemlich ungebrochen erhalten. Er besitzt das Recht der Konfirmation, Ordination, der geistlichen Disciplin und Gerichtsbarkeit. Seine Wahl erfolgt der Form nach durch die Kapitel, in Wirklichkeit durch die Krone, die den Kapiteln den zu Wählenden bezeichnet und sie im Weigerungsfall zur Strafe zieht. Die Bistümer sind wieder in Archidiakonate (archdeaconries) geteilt. Die niedere Geistlichkeit teilt sich in Kapitel- und Pfarrgeistlichkeit. An der Spitze der erstern, die den Dienst in den Kathedralkirchen besorgt, steht der Dekan (dean), als Vorsteher des aus 4–6 Kanonikern (canons) bestehenden Kapitels (chapter). Die Pfarrgeistlichkeit (clergy) zerfällt in Pfarrer (incumbent), Hilfsgeistliche (curate) und Kapläne (chaplain). Unter den Kirchen unterscheidet man 1) Pfarrkirchen (parish church), die teils die vollen Einkünfte ihrer Dotation besitzen (rectory), teils