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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Schlagworte auf dieser Seite: Artemisia

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Artemisia (Pflanzengattung)

sprochen. (Vgl. Roscher, Selene und Verwandtes, Lpz. 1890.) - Nun verehrten aber von den ältesten Hellenen die einen den Donner- oder Himmelsgott und die Erde, die andern Sonne und Mond: ein Dualismus, der die verschiedentlichsten Kreuzungen und Mischungen zu Wege gebracht hat, derart, daß z. B. Zeus mit einer ehemaligen Mondgöttin (Hera) gepaart, Apollon oft mit Demeter verbunden ist. So erklärt es sich wohl, daß die Herrschaft der A. nicht nur das gesamte animalische Leben umfaßt, sondern auch auf die eigentlichen Erzeugnisse des Erdbodens übergreift; sie wird daher auch Tochter der Demeter genannt. Der Urhellene wußte sein lebhaftes Gefühl für die lebenerzeugende Naturkraft der A. nicht besser auszudrücken als dadurch, daß er in ihr die intime Freundin und Pflegerin der Tiere feierte; alles Junge ist ihr heilig, sie hegt es oder erjagt es nach Belieben. Namentlich Hirsche, Bären und Wildschweine spielen daher in ihrem Mythen- und Bilderkreise eine große Rolle. Der ätolischen A. in Achaia trieb man all solches Getier in einen Feuerkreis zusammen und fügte diesem Opfer jegliche Art von Früchten hinzu, indem die Opfernden sich selbst mit Ähren bekränzten. Des Oineus Saaten werden der Sage nach von dem Eber heimgesucht, weil er versäumt, der A. die Erstlinge seines Ertrags zu opfern.

Man pflegte früher von einer persischen A. zu sprechen und verstand darunter einen aus archaisch-griech. Bildwerken bekannten Typus, wo die beflügelte Göttin mit Löwen oder Panthern dargestellt ist, die sie würgt oder am Bein hält. Mögen in der Ausbildung dieses Typus oriental. Einflüsse mitgewirkt haben, so ist doch auch hier die hellenische A. zu erkennen, nur im Stil des östl. Griechentums, welches auch solche Raubtiere aus der Nähe kannte. Mit dem löwengestaltigen Dionysos von Samos hat diese Göttin die Menschenopfer gemein. Auch eine taurische A. wurde im Altertum, obwohl irrtümlich, angenommen; die Annahme beruht auf einem Spielen oder einer Verwechselung mit dem Namen der A. Tauropolos, d. i. die "Stiertummelnde", was die Volksetymologie als die "Tauris Umwandelnde" mißverstand. Man meinte wahrscheinlich die Göttin Chryse des halbbarbarischen Lemnos, die man ins Scythenland versetzte. Chryse erinnerte die Hellenen des Festlandes an die brauronische (zu Brauron in Attika und auf der Burg von Athen verehrte) A. wie an die spartan. Orthia oder Orthosia, die "Steife", sowohl durch ihre Menschenopfer als durch die eigentümliche Gestalt des Idols, der sie ihren Namen verdankte. Mit eng aneinander geschlossenen Füßen und Armen, von denen sich nur etwa die Fackel oder Bogen führende Hand loslöste, stand sie da, ein Überrest der Pfahl- oder hermenartigen Idole, die nur durch den angesetzten Kopf und die Extremitäten an eine menschliche Gestalt erinnerten. Am bekanntesten ist dieser Typus bei der ephesischen A., wo erst spätere Kunst die tote, formlose Körpermasse durch ornamentale Querstreifen belebt hat. Die vielen Brüste, welche Fruchtbarkeit bedeuten sollen, sind nur dieser kleinasiatisch-orientalischen, mehr aphroditeartigen Göttin eigen. Während die ephesische A. mit ihren Hierodulen nicht tief in das griech. Religionswesen eindrang, ist der Kult der kretischen A. Britomartis (s. d.) im Archipel und dem Peloponnes weit zu verfolgen.

^[Abb.: Fig. 1]

Die bildende Kunst stellte A. als kräftige, blühende Jungfrau dar, in langen Frauengewändern (vgl. Fig. 1, die sog. Artemis Colonna in Berlin) oder auch mit aufgeschürztem Chiton, wie es einer Jägerin bequem ist. Dabei trägt sie gewöhnlich den Köcher, geschlossen oder geöffnet, und führt in den Händen Fackeln oder den Bogen, oder auch beides. Oft sieht man bei ihr eine Hirschkuh, wie z. B. bei der bekanntesten unter den erhaltenen Statuen der Göttin, der sog. Diana von Versailles (in röm. Zeit einem griech. Werke des 4. Jahrh. v. Chr. nachgebildet, in der Villa Hadrians bei Tibur gefunden, ins Museum nach Versailles gebracht, gegenwärtig im Louvre zu Paris, s. Fig. 2). Auf einzelnen Denkmälern reitet die Göttin auf einer Hirschkuh, auf manchen fährt sie auf einem von Hirschen gezogenen Wagen, wie z. B. (zusammen mit Apollon) auf dem Friese des Apollontempels von Bassä (s. d.). (S. auch Diana.) - A. heißt auch der 105. Planetoid.

^[Abb.: Fig. 2]

Artemisia. L., Pflanzengattung aus der Familie der Kompositen (s. d.) mit gegen 200 vorzugsweise der nördlich gemäßigten Zone gehörigen Arten; kraut- oder strauchartige Gewächse, meist mit aromatischem Geruche. Die Blätter sind in der Regel fieder- oder handförmig zerteilt, die Blütenköpfchen klein und meist sehr zahlreich zu trauben- oder rispenförmigen Blütenständen vereinigt. Die bekannteste und wichtigste Art heißt Wermut oder Absinth (s. d.), A. Absinthium L. Ähnliche Eigenschaften wie der Wermut haben mehrere besonders alpine Arten, so vor allem die sehr gesuchte und allbekannte Edelraute, A. mutellina Vill. (s. Tafel: Alpenpflanzen, Fig. 1), ferner die in der Südschweiz häufige A. spicata Jacq., die in den Alpen als Genippi bekannt sind und vielfach als Heilmittel oder als Zusatz zu Liqueuren benutzt werden. Von andern dem Wermut verwandten Arten sind noch zu erwähnen der römische Wermut, A. pontica L. in Südeuropa, stellenweise auch in Süddeutschland, und A. arborea L. in Griechenland, die beide auch als Arzneipflanzen kultiviert werden; letztere wird besonders zur Herstellung von Wermutweinen verwendet. Eine der bekanntesten, in Deutschland überall häufigen Arten ist der gemeine Beifuß, A. vulgaris L., dessen Wurzel früher offizinell