Schnellsuche:

Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

949

Artillerie

schützen ausgerüstete und zum Gebrauch derselben bestimmte dritte und jüngste Hauptwaffengattung, die im Verein mit den beiden andern, der Infanterie und der Kavallerie, den fechtenden Teil der Heere bildet. Artilleristen heißen die dieser Waffengattung angehörigen Personen. Der Name A. bezeichnet häufig auch lediglich die Mannschaft der Artilleriewaffe und wieder das gesamte Geschützmaterial andererseits. Das Personal der A. erfüllte bis in die neuere Zeit nicht bloß einen taktischen Zweck, sondern ihm lag auch die Erzeugung und Verwaltung des gesamten Waffenmaterials ob, welcher Zweig mit dem Namen der technischen A. belegt wird und neuerdings schärfer von der fechtenden A. getrennt worden ist. Die fechtende A., für sich betrachtet, hat vermöge der Verschiedenheiten der Gefechtsschauplätze, auf denen sie aufzutreten hat, so vielseitige einander widerstreitende Aufgaben zu erfüllen, daß eine weitere Trennung derselben in verschiedene Zweige nicht umgangen werden konnte. Zunächst ergiebt sich eine Trennung in Land- und See- oder Schiffsartillerie, wobei indes zu bemerken ist, daß die Schiffsgeschütze in der Regel von Matrosen bedient und von Seeoffizieren befehligt werden. Die Landartillerie zerfällt in Manövrier- und in Positionsartillerie, je nachdem sie die Bestimmung hat, im engen Anschluß an die übrigen Truppen und somit aus häufig wechselnden Stellungen oder aus mehr ständigen Positionen zu fechten.

Die Manövrierartillerie hat ihre hauptsächlichste Bedeutung für den Feldkrieg und wird daher meist als Feldartillerie bezeichnet. Sie führt leichte Geschütze, deren Lafetteneinrichtung die größte Beweglichkeit in sich schließt und eine rasche Aufstellung in der Feuerlinie zuläßt. Die Geschütze der Feldartillerie haben eine militärisch geschulte Bespannung; die Zugkraft ist so reichlich bemessen, daß eine Bewegung in jedem Gelände und in den stärkern Gangarten noch möglich ist, selbst wenn durch Entbehrungen die Beschaffenheit des Pferdematerials an Güte verloren hat. Die Bedienungsmannschaften der Feldartillerie müssen in stand gesetzt werden, die Geschütze bei ihren raschen Bewegungen zu begleiten, zu welchem Zwecke man verschiedene Arten des Transports derselben hat. Das kostspieligste, aber dem Zwecke rascher Bewegungen am meisten entsprechende Mittel ist das Berittenmachen der Bedienungsmannschaften, wodurch die reitende A. entsteht. Dem gegenüber steht der Transport derselben auf Fahrzeugen, woraus die fahrende A. entspringt. Die Feldartillerie ist ähnlich wie die Infanterie und Kavallerie in festgeschlossene taktische Körper formiert. Die Gliederung beruht auf der Batterie als Einheit, d. h. als dem geringsten Körper von taktischer und administrativer Selbständigkeit. Die Zahl der Geschütze in einer Batterie beträgt sechs oder acht, in seltenern Fällen auch vier. Außer den Geschützen führt eine Batterie Munitions-, Vorrats- oder Batteriewagen, Feldschmieden, Packwagen u. s. w. mit sich. Eine Batterie zählt auf jedes Geschütz 1-2 Munitionswagen und von den übrigen Fahrzeugen im ganzen etwa 5-9, so daß der gesamte Körper bei 6 Geschützen 15-33 Fahrzeuge umfaßt. Geschütze wie Fahrzeuge haben in der Regel besondere Einrichtungen zum Transport der Bedienungsmannschaften. Jedes Fahrzeug ist mit 4-6, seltener mit 8 Pferden bespannt, und auf ein Geschütz werden 1 Unteroffizier und 6-8 Mann an Bedienung, außerdem für die ganze Batterie eine angemessene Reserve an Mannschaften und Pferden gerechnet. Je nach der Art des Transports der Bedienungsmannschaften spricht man von reitenden, fahrenden, Fuß-, gemischten, Kavalleriebatterien, im allgemeinen aber von Feldbatterien. Die Batterie wird durch einen Hauptmann oder einen Stabsoffizier befehligt und zerfällt in Züge zu 2 Geschützen, deren jeder durch einen Lieutenant geführt wird. Ein besonderer Offizier (Hauptmann oder Lieutenant) führt die übrigen Fahrzeuge. Drei bis vier gleichartige Batterien bilden eine Abteilung, deren zwei bis drei wieder ein Regiment, während zwei Regimenter eine Brigade bilden. Regimenter und Abteilungen werden durch Stabsoffiziere, Brigaden durch Generale befehligt. Was die Einfügung der Feldartillerie in den Organismus des Heers betrifft (s. Armeekorps), so werden den vorherrschend aus Infanterie bestehenden taktischen Körpern in der Regel fahrende, den aus Kavallerie gebildeten reitende (oder Kavallerie-)Batterien zugeteilt; letztere sind dem entsprechend in geringerm Verhältnis (etwa 16-20 Proz. der gesamten Feldartillerie) vorhanden. Die nur aus A. bestehenden Körper vereinigen beide Gattungen von Batterien in sich. Einer Abschaffung der reitenden A. und ihrem Ersatz durch fahrende ist schon vielfach das Wort geredet worden, doch werden die Nachteile der erstern (Kostspieligkeit, schwierigere Ausbildung, deutlicheres Ziel gegenüber dem feindlichen Feuer) durch den Vorteil der andauernden raschen Bewegungen, die die fahrende A. mit ihren schwerer belasteten Geschützen und Fahrzeugen nicht in gleichem Grade zu leisten vermag, hinreichend ausgeglichen, um die Beibehaltung der reitenden A. zu rechtfertigen. Abgesehen von den gemeinsamen Verbänden mit den andern Waffen steht die Feldartillerie häufig noch unter besondern artilleristischen Centralbehörden (in Deutschland unter einer Inspektion der Feldartillerie), deren Einfluß sich auf Ausbildung und Material bezieht und namentlich im Frieden zur Geltung kommt. Die Feldartillerie ist jetzt ausschließlich mit gezogenen Kanonen ausgerüstet; vielfach gehen zwei verschiedene Kanonenkaliber nebeneinander. Das leichtere ist gewöhnlich das 8-Centimeterkanon oder der Vierpfünder mit einem Geschoß von 4 bis 5 kg Gewicht, das schwerere das 9-10-Centimeterkanon, Sechs-, Acht-, auch Neunpfünder genannt, mit 7-12 kg Geschoßgewicht. In derselben Batterie ist immer nur eine Geschützgattung vertreten; die reitende A. führt stets das leichte Feldgeschütz, die fahrende dagegen ist entweder nur mit dem schweren oder zum Teil mit dem einen, zum Teil mit dem andern Geschütz ausgerüstet und bildet danach leichte oder schwere Batterien.

In Bezug auf die Geschützsysteme der Feldartillerie betrachtet man gegenwärtig den Vorderlader als überwundenen Standpunkt; es giebt in Europa keine A. mehr, die nicht grundsätzlich wenigstens sich dem Hinterlader zugewandt hätte. Die Rohre der Feldgeschütze sind aus Bronze oder aus Gußstahl, die Lafetten aus Schmiedeeisen oder Stahl gefertigt. Als Munition kommen Granaten, Shrapnels und zu geringerm Prozentsatz Spreng- und Brandgranaten sowie Kartätschen vor. Von den Mannschaften führen die Berittenen und Führer den Kavalleriesäbel und die Pistole oder den Revolver, die Unberittenen ein Seitengewehr und oft auch ein kurzes Feuergewehr.