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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Artillerie

Die Feldartillerie vermag gegen Truppen auf Entfernungen über 2500 m zu wirken und ist dadurch im stande, die Gefechte einzuleiten und die Thätigkeit der andern Waffen vorzubereiten. Ausgedehntere Ziele, wie Lager, Ortschaften u. s. w., kann sie auf Entfernungen bis zu 5000 m unter Feuer nehmen. Vermöge der großen Zerstörungskraft ihrer Geschosse ist sie im stande, widerstandsfähigere Ziele, wie Mauern, Verrammelungen u. s. w., einzuschießen; dies giebt ihr einen besondern Wert, wenn es sich um Angriffe auf Ortschaften und befestigte Stellungen handelt, wobei sie der Infanterie den Weg zum Sturme bahnt. Auch vermag sie den Feind mit ihrem Feuer in verdeckten Stellungen zu erreichen. Infolge ihrer großen Beweglichkeit und Manövrierfähigkeit folgt die Feldartillerie dem Gefecht der andern Truppen und leiht ihnen in jedem Augenblick die Unterstützung ihrer großen Feuerkraft, die durch die Fortbildung des Sprenggeschoß- und Shrapnelfeuers eine hohe Stufe erreicht hat. Wenn ihr auch die Eigenschaften fehlen, ein Gefecht selbständig durchzuführen, so hat sie doch die Fähigkeit, durch massenhaftes Auftreten selbst eine Entscheidung zu bewirken. Das weittragende Feuer ermöglicht ihr die Unterstützung der Verfolgung, während die eigentliche Ausbeutung der Erfolge den andern Waffen anheimfällt.

Als ein Zweig der Feldartillerie ist die Gebirgsartillerie (s. d.) zu erwähnen, deren Aufgabe es ist, den Kampf im Hochgebirge zu unterstützen, wo es an fahrbaren Straßen mangelt. Sie führt die leichtesten Geschütze und hat ein Material, welches zerlegt und in seinen Teilen durch Saumtiere fortgeschafft werden kann. Gebirgsartillerie haben zur Zeit Österreich-Ungarn, Frankreich, Rußland, Serbien, Türkei, Italien, Spanien, Portugal, England und die Schweiz; sie führt kurze gezogene Kanonen von 3,7 bis 8 cm Kaliber in Batterien, zu meist 4 Geschützen. In der franz. Armee bildet das Pontonierwesen einen Zweig der Feldartillerie.

Die Positionsartillerie findet da Verwendung, wo der Kampf ein weniger wechselndes Gepräge trägt, weil entweder die Ziele feststehende oder die Stellungen andauernd gegeben sind. Diese Fälle kommen namentlich beim Angriff und bei der Verteidigung der Festungen und der Küsten vor. Den Geschützen der Positionsartillerie sind durch die Natur der Sache weniger enge Gewichtsgrenzen gesetzt als denjenigen der Feldartillerie; auf der andern Seite werden an die Wirkung der erstern häufig sehr hochgehende Anforderungen gestellt, denen nur Geschütze großen Kalibers und Gewichts zu entsprechen vermögen. Ein Wechsel der Stellung läßt sich bei den Positionsgeschützen, wo er notwendig wird, ohne eine fest gestaltete Bespannung ausführen. Nach den obenerwähnten Zwecken teilt man die Positionsartillerie in drei Zweige: Belagerungs-, Festungs- und Küstenartillerie (letztere auch Seeartillerie genannt). Belagerungs- und Festungsartillerie unterliegen keiner dauernden Trennung und greifen auch in fachlicher Hinsicht vielfach ineinander über. Die Küstenartillerie kann an sich nur als ein Zweig der Festungsartillerie betrachtet werden; indessen bringt die Sonderaufgabe der erstern (Bekämpfung von Kriegsschiffen) so wesentliche äußerliche Besonderheiten, daß doch bis zu einem gewissen Grade eine personelle Trennung beider geboten erscheint.

Die Besetzung der Belagerungs- wie der Festungsgeschütze geschieht durch eine ähnlich der Infanterie gegliederte Truppe, die den Namen Festungsartillerie, im deutschen Heere jetzt Fußartillerie, führt. Sie ist gewöhnlich in Regimenter formiert, die wieder in Bataillone und Compagnien zerfallen. Als höhere Instanzen dienen Zentralbehörden, wie Brigaden, Inspektionen und Generalinspektionen. Zu ihrer Selbstverteidigung sind die Mannschaften der Festungsartillerie entweder nur mit Seitengewehren oder auch mit Feuerwaffen bewaffnet. Die einzelnen Truppenteile der Festungsartillerie werden ohne Rücksicht auf ihre Gliederung bald zu Belagerungen herangezogen, bald zu Festungsbesatzung benutzt und besetzen bald diese, bald jene Geschützgattung. Sie stehen, im Gegensatz zur Feldartillerie, zu den Geschützen weder der Art noch Zahl derselben nach in einem andauernden Verhältnis. Es ist indes nicht ausgeschlossen, daß in den Einzelfällen der Verwendung auf die Gliederung als Truppe die thunlichste Rücksicht genommen wird, daß z. B. die Angriffsbatterien durch Compagnien erbaut und besetzt werden, die Zuteilung zu den Festungsgeschützen nach Werken und Compagnien erfolgt. Die Küstenartillerie ist als Truppe der Festungsartillerie ähnlich formiert, untersteht aber in der Regel den Marinebehörden. Da, wo ihre Zahl nicht ausreicht, wird ihr Dienst durch die Festungsartillerie versehen. Festungs- wie Küstenartillerie werden in ausgedehntem Maße zu artilleristischen Arbeiten herangezogen. Die personelle Trennung der verschiedenen Zweige der A. ist am strengsten im Deutschen Reiche durchgeführt, wo Feld- und Fußartillerie nicht einmal mehr durch die frühere Generalinspektion der A. als gemeinsame Centralbehörde zusammenhängen. Es ist vielmehr die Feldartillerie vollkommen den Armeekorps unterstellt; eine Inspektion der Feldartillerie sorgt mit für die Gleichmäßigkeit des Materials und seine Verwendung; die Fußartillerie ist einer Generalinspektion der Fußartillerie unterstellt. In andern Armeen findet ein steter Wechsel der Offiziere zwischen Feld- und Festungsartillerie statt.

Die Geschütze der Belagerungsartillerie haben die Aufgabe, die Verteidigungsartillerie zum Schweigen zu bringen und den Verkehr auf den Festungswerken zu erschweren, die Unterkunftsräume der Besatzung und ihre Magazine zu zerstören, Ausfällen entgegenzutreten und endlich die sturmfreie Umfassung der Festung durch Breschelegen zu öffnen. Die Verschiedenheit der Aufgaben erfordert verschiedene Klassen von Geschützen, und zwar sowohl Kanonen als Mörser. Die Belagerungskanonen sind dem Kaliber nach meistens 12 und 15 cm, in geringerer Zahl auch vom Kaliber der Feldgeschütze, die Mörser außerdem vom Kaliber 21 cm. Die Lafettierung ist derart eingerichtet, daß der Anforderung der Fahrbarkeit auf gebahnten Straßen genügt ist und die Geschütze hinter einer mannshohen Deckung aufgestellt werden können, ohne einer tief eingeschnittenen Scharte in derselben zu bedürfen. Der Transport aus dem Belagerungspark in die Feuerlinie erfordert häufig die Überwindung schwieriger Geländeverhältnisse, weshalb im allgemeinen das Gesamtgewicht des Geschützes (mit Lafette) 5 t nicht überschreiten darf. Wo eine Steigerung aus Gründen der Wirkung sich nicht umgehen läßt, ist man in der Wahl der Stellungen wesentlich an die Nähe gebahnter Straßen gebunden. Bei sehr großen Gewichten der Geschütze pflegt man die Rohre von den Lafetten getrennt auf gehörigen Fahrzeu-[folgende Seite]