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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Schlagworte auf dieser Seite: Atrocität; Atropa; Atropasäure; Atropatene; Atrophie

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Atrocität - Atrophie

bedingt war. Das Atrium testudinatum, wahrscheinlich die älteste Form, hatte ein geschlossenes Dach und empfing das Licht durch die Thür. Es war zugleich displuviatum, d. h. das Regenwasser wurde nach außen abgeleitet, wodurch das Freistehen des Hauses bedingt ward. Als später Haus an Haus gebaut wurde, wurde das Wasser nach innen geleitet und in einer Cisterne gesammelt. So entstand das Atrium compluviatum, so genannt nach der Öffnung im Dache (dem compluvium), durch die das Wasser aus den Dachrinnen in den untern Hofraum (impluvium) fiel. Je nachdem das Dach durch zwei Querbalken, durch vier oder mehr Säulen gestützt wurde, unterschied man das Atrium tuscanicum, tetrastylon, corinthium. In Rom gab es eine Anzahl von Gebäuden alter Konstruktion, die den Namen A. führten; so hatte man das Atrium Vestae, in dem die Vestalinnen wohnten, das Atrium Libertatis u. a. m. Als sich gegen Ende der Republik infolge der Eroberungen in Asien der Luxus in Rom verbreitete, schmückte man das A. mit kostbaren Marmorsäulen und Statuen. Besonders prächtig waren die Atrien des Scaurus, Verres und Crassus. Zahlreiche Beispiele von einfacher ausgestatteten Atrien sind in Pompeji (s. d.) erhalten. Auch in der alt christlichen Architektur bildete das A. einen wesentlichen Teil der Basiliken (s. Altchristliche Kunst). In der neuern Baukunst bezeichnet man unter A. meist eine besonders reich geschmückte Vorhalle. - In der Anatomie ist A. die Vorkammer des Herzens, die zu oberst liegende Abteilung jeder Herzhälfte (s. Herz).

Atrocität (lat.), Wildheit, Grausamkeit.

Atropa. L., Pflanzengattung aus der Familie der Solanaceen (s. d.) mit nur wenigen Arten in Europa und Südamerika. Die einzige in Deutschland wachsende und in einem großen Teil Europas sich findende, zugleich auch die wichtigste Art ist die als Tollkirsche, Wolfskirsche und Belladonna bekannte Giftpflanze, A. belladonne L. (s. Tafel: Giftpflanzen II, Fig. 1). Der Name Belladonna, d. h. schöne Frau, rührt von der Anwendung her, die man früher in Italien von den Beeren machte; man benutzte dieselben nämlich zu einem Schönheitswasser, das angeblich der Haut einen blendendweißen Teint geben sollte. Diese auf kräftigem, humosem Waldboden in schattiger und sonniger Lage, besonders in Gebirgsgegenden wachsende Pflanze treibt aus ihrem dicken, fleischigen, außen blaßbraunen, innen schmutzigweißen, an Stärkemehl reichen Wurzelstock bis fingerdicke, 0,60 bis 1,60 m hohe, ästige Stengel, die zuletzt stark verholzen und dann der Pflanze ein strauchähnliches Ansehen verleihen. Die Äste sind mit eiförmig-länglichen, kurzgestielten Blättern besetzt. Die einzeln stehenden Blüten haben einen fünfteiligen Kelch und eine glockenförmige, braunviolette Blumenkrone. Aus dem Fruchtknoten entwickelt sich eine glänzendschwarze, inwendig rote, sehr saftige und säuerlichsüß schmeckende Beere von der Größe einer Kirsche, die am Grunde von dem stehen gebliebenen und noch vergrößerten Kelche umschlossen erscheint. Die A. blüht vom Juni bis August, ist vom August an mit reifen Früchten beladen und, da diese sehr appetitlich aussehen, eine für Unkundige und namentlich für Kinder gefährliche Pflanze. Wenige Minuten nach dem Genusse der Beeren stellen sich Trockenheit und Kratzen im Halse, Schlingbeschwerden, heftiger Durst, Brechneigung, starke Erweiterung der Pupille des Auges, Sehstörungen, Schwindel sowie leichte Betäubung mit Hallucinationen ein. Hierzu gesellen sich bald Muskelunruhe, allgemeine Muskelkrämpfe und rauschartige Delirien, die schließlich in den Zustand tiefster Betäubung übergehen. Die Augen zeigen sich weit geöffnet, mit stierem Blick und stark geröteter Bindehaut, die Zunge ist gelähmt. Endlich sammelt sich vor dem Munde blutiger Schaum, und unter höchster Entkräftung und heftigen Krämpfen erfolgt der Tod. Noch giftiger als die Beeren sind die Blätter und der Wurzelstock; der Träger des Gifts ist ein namentlich in der Wurzel enthaltenes Alkaloid, das Atropin (s. d.). Wenn eine Belladonnavergiftung eingetreten ist, muß sogleich ein Arzt herbeigeholt werden. Bis dieser kommt, ist auf irgend eine Weise Brechen zu erregen, außerdem Milch, Öl, Essig oder Tannin zu geben. Gleichzeitig lasse man heiße Fußbäder, womöglich mit Essig und Senf, machen, um eine Ableitung von dem Gehirn und Rückenmark zu erzielen. Gegen die zurückbleibenden Sehstörungen und Pupillenerweiterung dient die innere und örtliche Anwendung der Kalabarbohne.

Atropasäure, eine mit der Zimmetsäure isomere Säure, α-Phenylakrylsäure, CH2·C(C6H5)·COOH ^[CH_{2}·C(C_{6}H_{5})·COOH, entsteht aus Atropin oder Tropasäure beim Erhitzen mit konzentrierter Salzsäure.

Atropatene, Landschaft, s. Aserbeidschan.

Atrophie (grch.), in der Medizin der durch mangelhaften Stoffwechsel herbeigeführte Schwund des Gesamtkörpers oder einzelner Organe oder Organteile. Wird der Stoffwechsel eines Organs aus irgendwelchem Grunde derart gestört, daß die zugeführten Stoffe die abgeführten nicht vollständig ersetzen können, so hat dies entweder eine bloße Abnahme des betreffenden Teils an Größe oder Zahl seiner Elemente, oder aber eine gleichzeitige Änderung seiner chem. Mischung und eine hierdurch bedingte Formveränderung zur Folge. Letztern Vorgang nennt man eine Degeneration oder Entartung, auch qualitative A., erstern, in dem nur Abnahme der Größe und der Zahl der Elemente erfolgt, eine einfache oder quantitative A.

Als normale A. kann man in der Entwicklungsgeschichte die Rückbildung und das gänzliche oder teilweise Schwinden solcher Organe bezeichnen, welche im Embryonal- und Larvenleben eine Funktion besitzen, die später nicht mehr geübt oder durch eine andere ersetzt wird (z. B. das Schwinden der Kiemen und des Schwanzes bei den Larven der Frösche, den Kaulquappen), oder auch solcher Organe, welche als Erbstücke angelegt, aber später rückgebildet und selbst ganz aufgesogen werden, wie z. B. die Zähne in den Kiefern der Walfischembryonen. (S. Rudimentäre Organe.)

Die Ursachen der krankhaften A. sind sehr mannigfach. Mangel an Nahrung, Störungen der regelmäßigen Verdauung oder der Aufsaugung des Speisesaftes, überhaupt alle Ursachen einer mangelhaften Blutbildung können im allgemeinen eine A. veranlassen, ebenso erschöpfende Säfteverluste durch Eiterungen u. s. w., übermäßige Anstrengungen, anhaltendes Fieber. Teilweise A. sind zumeist die Folge von Entzündungen, von Störungen der Cirkulation des Blutes in dem betreffenden Teile, insbesondere von gehemmtem Blutzufluß (z. B. durch anhaltenden Druck), von Mangel der zur Anregung des Stoffwechsels nötigen Reize (z. B. dauernder Unthätigkeit eines Muskels, Nerven u. s. w.), von