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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Baden (Großherzogtum; Geschichte)

Landtage von 1837 erhielt die Regierung die Genehmigung der Stände zu einer wesentlichen Veränderung der in echt freisinnigem Geiste abgefaßten Gemeindeordnung von 1831. Der Verfassungsumsturz in Hannover jedoch, die veränderte Stellung des Ministeriums zur Zweiten Kammer seit dem Tode des beliebten Staatsministers Winter sowie der nun gesteigerte Einfluß Blittersdorffs, alles dies blieb nicht ohne Rückwirkung auf den Geist des Volks und seiner Vertreter. Die Umstimmung trat schon bei der Versammlung der Stände von 1839 und 1840 hervor, deren Verhandlungen sich hauptsächlich um die Beratung über ein neues Strafgesetzbuch drehten. Zur Erfüllung eines seit Jahren gegebenen Versprechens erlieh die Regierung im Jan. 1840 die Verordnung zur bessern Sicherung der Schriftsteller gegen Censurwillkür. Nach verfassungsmäßiger teilweiser Erneuerung der Abgeordneten und Eröffnung eines neuen Landtags 17. April 1811 erhob sich dann ein lebhafter Streit über das vom Ministerium behauptete Recht der Verweigerung des Urlaubs für die zu Deputierten erwählten Staatsdiener. Als sich dieser Principienkampf nach längerer Vertagung erneuerte, ward die Kammer 19. Febr. 1842 aufgelöst. Infolge der neuen Wahl behielt die Opposition der Zweiten Kammer das Übergewicht. Der Antrag Welckers über Erleichterung materieller Lasten und gleichzeitige Förderung der geistigen Interessen, über Errichtung einer Landwehr und deren organische Verbindung mit dem zu vermindernden stehenden Heere, die Aufhebung aller Ausnahmemaßregeln des Deutschen Bundes und dessen Zurückführung auf die Grundlagen und Verheißungen der Bundesakte sowie der Antrag Sanders über den Zustand der Presse hatten ungemein lebhafte Angriffe gegen das Institut der Censur und heftige Debatten zur Folge. Ganz besonders war dies auch der Fall infolge eines Antrags Itzsteins, der die Einmischung. der Regierung in die Wahlen und die von den Ministerialchefs zu diesem Zwecke erlassenen Rundschreiben, durch die im ganzen Lande große Aufregung erzeugt worden war, betraf. Ungeachtet einer Protestation des Ministeriums beschloß die Zweite Kammer mit 34 gegen 24 Stimmen, den Ausdruck der Mißbilligung wegen Beschränkung der Wahlfreiheit in ihre Protokolle niederzulegen. Am 9. Sept. 1842 wurde der in der Geschichte des konstitutionellen Großherzogtums epochemachende Landtag im Auftrage des Großherzogs mit einer Rede geschlossen, die der Zweiten Kammer keine Hoffnung auf eine Veränderung des Ministeriums ließ.

Die Nachwirkungen dieser Kämpfe machten sich nach oben wie nach unten hin fühlbar. Die Regierung beharrte in ihrer Stellung, die Entfremdung zwischen Beamten und Volk nahm zu, und in der Bevölkerung dauerte die Aufregung fort. Der Landtag von 1843, der sich bis Febr. 1845 ausdehnte, war größtenteils mit Beratung der Gesetzentwürfe eines Strafgesetzbuches, einer Strafprozeßordnung und einer Gerichtsverfassung ausgefüllt, die nach mannigfaltigen Schicksalen und Änderungen erst 1851 in Wirksamkeit traten. Indessen war der freisinnige Rebenius an die Spitze des Ministeriums des Innern getreten, doch wollte es ihm nicht gelingen, das friedliche Verhältnis herzustellen, zumal seit die deutschkath. Bewegung auch B. ergriff und Censur und Polizei gegen sich herausforderte. So kam der neue Landtag im Nov. 1845 zusammen, auf dem sich gleich anfangs die Symptome der Verbitterung und Aufregung zeigten. Mitten in dem Streite der Parteien ward das Land durch die plötzliche Auflösung der Kammern (9. Febr. 1846) überrascht und dadurch die Agitation im Lande auf eine ungewöhnliche Höhe gesteigert. In der aufgeregtesten Stimmung wurden die Wahlen vorgenommen; sie sicherten der Opposition ein entschiedenes Übergewicht. Der konstitutionell gesinnte Bekk ward zunächst als Minister ohne Portefeuille in die Verwaltung berufen, und der wiedereröffnete Landtag ging ohne gewaltsamen Bruch im Sept. 1846 zu Ende. Zwei Monate später (15. Dez. 1846) ward Bekk Minister des Innern, und damit der konstitutionelle Liberalismus an die Spitze der Geschäfte gebracht. Die neue Regierung schlug einen freisinnigern und versöhnlichern Weg ein als ihre Vorgänger: innere Reformen wurden vorbereitet, bei dem Bundestage Schritte für Abschaffung der Censur gethan.

In diese Anfänge eines freundlichen Einverständnisses fiel die Nachricht von der franz. Februarrevolution, die natürlich B., das weit vorgeschobene Grenzland, zunächst am stärksten berührte. Aus allen Teilen des Landes kamen Petitionen mit den Forderungen: Preßfreiheit, Schwurgerichte, Volksbewaffnung und Nationalvertretung, die nachher ihren Weg durch Deutschland machten. Die Regierung erklärte sich sowohl mit diesen Wünschen einverstanden als mit den Forderungen, die von der äußersten Linken der Zweiten Kammer eingebracht und von der Versammlung selbst fast einstimmig angenommen wurden. Die Aufhebung der Ausnahmegesetze des Bundes, die Vereidigung des Militärs auf die Verfassung, die polit. Gleichstellung aller Religionsbekenntnisse, Verantwortlichkeit der Minister, Rechtsschutz gegen Mißbrauch der Amtsgewalt, Aufbebung der Reste des Feudalwesens, Reformen im Steuerwesen, Aufhebung der privilegierten Gerichtsstände, volkstümliche Kreisverwaltung, Einwirkung auf Berufung eines deutschen Parlaments, Unabhängigkeit der Richter, Entfernung des Bundestagsgesandten (Blittersdorff) und dreier Minister (Trefurt, Regenauer, von Freydorf): das waren die damals am weitesten gehenden Forderungen, die von der Regierung entweder sofort gewährt oder durch Gesetzesvorlagen erledigt wurden. Die ausscheidenden Minister wurden durch Brunner, Finanzrat Hoffmann und Oberst Hoffmann, drei anerkannt liberale Männer, ersetzt. Stand die Mehrheit der Kammer wie die Gemäßigten im Lande nun auf seiten der Regierung, so zeigte sich bald, daß die radikale Opposition bei jenen Forderungen nicht stehen bleiben werde. Auf einer Volksversammlung in Offenburg (19. März 1848) wurde zum erstenmal von dieser Partei, als deren Führer Hecker und Struve schon früher hervorgetreten waren (Versammlung in Offenburg 12. Sept. 1847), die Stimmung der Masse für eine republikanische Bewegung erforscht, während Fickler im Seekreise für die Republik agitierte und jenseit des Rheins sich Freischaren sammelten, deren Zweck die Republikanisierung Deutschlands war. Das Scheitern der republikanischen Partei im Deutschen Vorparlament brachte den Plan einer gewaltsamen Schilderhebung zur Reife; die Verhaftung Ficklers durch Mathy (8. April) beschleunigte den Ausbruch. Am 12. April erließen Hecker und Struve von Konstanz aus die Aufforderung zur bewaffneten Erhebung und Sammlung in Donaueschingen; die Regierung hatte indessen, da