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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Beaconsfield

Mitteln seiner gewandten Dialektik, seines schneidenden Witzes und seiner bittern Ironie an und rettete, obgleich er die Annahme der Zollaufhebung nicht verhindern konnte, doch seine Partei vor gänzlicher Zersprengung. Nach dem Tode Bentincks 1848, dem er in «Lord George Bentinck. A biography» (Lond. 1851) ein treffliches litterar. Denkmal setzte, mußten seine toryistischen Parteigenossen, die bisher den jüd. Emporkömmling mit gewisser Zurückhaltung behandelt hatten, ihn in aller Form als ihren Führer im Unterhaus anerkennen. Im Febr. 1852 ernannte ihn Graf Derby zum Schatzkanzler; B. ließ aus taktischen Gründen das schutzzöllnerische System fallen, hatte aber mit seiner Finanzverwaltung wenig Glück; die Verwerfung seines, vornehmlich von Gladstone bekämpften Budgets führte schon 17. Dez. 1852 den Sturz des Ministeriums herbei. Erst im Febr. 1858 gelang es den Tories, sich wieder der Regierung zu bemächtigen, worauf B. im zweiten Ministerium Derby wieder seinen Posten als Schatzkanzler einnahm. Seine finanziellen Maßregeln hatten diesmal bessern Erfolg, aber der Widerstand gegen die von ihm 24. März 1859 eingebrachte Reformbill und die einer Parlamentsauflösung folgende Neuwahl nötigten das Kabinett schon 17. Juni 1859 zum Rücktritt. Gegenüber dem neuen Premierminister Palmerston hielt sich die Opposition in den nächsten Jahren zurück, Disraeli forderte nur größere Energie im Auftreten nach außen. Nach Lord Palmerstons Tod 1865 begann eine neue Epoche für B.; er bekämpfte, von einem Teil abtrünniger Liberaler, den sog. Adullamiten, unterstützt, die Reformbill des Ministeriums Russell-Gladstone und bahnte sich durch dessen Niederlage, 18. Juni 1866, in dem dritten Ministerium Derby von neuem den Weg ins Amt. Nun suchte er seinerseits sowohl seine eigenen frühern wie die letzten liberalen Vorschläge für Parlamentsreform durch einen in der Erweiterung des Wahlrechts noch radikalern Antrag zu überbieten. Mit ganz hervorragendem Geschick erreichte er dessen Annahme auch bei der eigenen Partei, und als zugleich Graf Derby aus Gesundheitsrücksichten zurücktrat, übernahm B. im Febr. 1868 die Leitung der Regierung. Er kündigte in seiner Antrittsrede «eine wahrhaft freisinnige Politik» an, stand aber bald einer oppositionellen liberalen Mehrheit im Unterhaus gegenüber. Trotzdem blieb er im Amt und ließ es auf den Entscheid der Neuwahlen ankommen. Als diese gegen ihn ausfielen, sah er sich genötigt, noch vor dem Zusammentritt des neuen Parlaments zurückzutreten (3. Dez. 1868). Die von der Königin ihm angebotene Peerswürde nahm er für seine Gemahlin an, die zur Viscounteß von Beaconsfield erhoben wurde, während er seine leitende Stellung im Unterhaus beibehielt. Nach Graf Derbys Tod 23. Okt. 1869 wurde er der alleinige Führer der konservativen Partei und blieb es bis zu seinem Tode.

Zunächst beschränkte er sich auf hartnäckige Opposition gegen Gladstone, vor allem gegen dessen auswärtige Politik; aber auch die Entstaatlichung der irischen Kirche, die irische Landbill, die Armeereform, die Erziehungsbill, die Ballotbill wurden mit mehr oder weniger Heftigkeit von ihm bekämpft. Inzwischen begann im Volk die Reaktion gegen das Übermaß und die Überstürzung der zahlreichen Reformen Gladstones, und als das Parlament März 1873 der Regierung mit der irischen Universitätsbill eine Niederlage bereitete, übernahm Disraeli die Leitung der Geschäfte, nachdem ihm die allgemeinen Neuwahlen im Jan. 1874 eine große Mehrheit gebracht hatten. Im Februar kündigte er als sein Programm vorzüglich die Verbesserung der öffentlichen Gesundheitspflege und der gesellschaftlichen Zustände der arbeitenden Klassen an; zugleich wurde angedeutet, daß in Bezug auf auswärtige Politik ein entschiedeneres Auftreten das durch die Liberalen eingebüßte Ansehen Englands im Auslande zurückerobern solle. B. brachte eine Reihe socialer Reformmaßregeln durch, vor allem zeichnete er sich gegenüber seinem Vorgänger durch eine klare und geschickte auswärtige Politik aus. 1874 geschah die Einverleibung der Fidschi-Inseln, 1875 der Ankauf der Sueskanal-Aktien, April 1876 die Erhebung der Königin Victoria zur Kaiserin von Indien, während durch Gathorne Hardy eine Armeereorganisation durchgeführt wurde. Der Gegensatz gegen Rußland und dessen Ausdehnungsgelüste in Asien wie am Mittelmeer leitete B. vor allem in der russ.-türk. Verwicklung. Zwar hielt er sich im Kriege neutral, nahm aber nach dem Siege Rußlands eine drohende Haltung an, versammelte Truppen und Schiffe Jan. und April 1878 im Mittelmeer, bis Rußland in die Berufung eines europ. Kongresses nach Berlin einwilligte. Bei seiner Rückkehr von dem Berliner Kongreß, auf dem er große Erfolge errungen hatte, Juli 1878, wurde B. mit großen Ehren von Königin und Volk empfangen, überhaupt stand er um diese Zeit auf der Höhe seiner Macht und seines Ruhms. Bereits vorher hatte er wegen seines vorgerückten Alters, in welchem er den Aufgaben des Unterhausführers nicht mehr genügen konnte, sich als Viscount Hughenden und Graf von B. ins Oberhaus erheben lassen. Allmählich aber machte sich ein Rückschlag bei dieser in ihrer Größe zugleich kostspieligen Politik fühlbar. Bereits während des Russisch-Türkischen Krieges hatte ihn die geschickt geleitete Opposition Gladstones zum Maßhalten gezwungen; der nun folgende Krieg mit Afghanistan war zwar erfolgreich, forderte aber große Opfer, der Krieg gegen die Zulukaffern, der schließlich mit vollem Sieg endete, hatte unglücklich begonnen. Die von der Opposition genährte Mißstimmung war stärker, als B. selbst ahnte; in der Hoffnung auf eine neue Mehrheit löste er das Parlament März 1880 vorzeitig auf; aber die Neuwahlen brachten eine große liberale Mehrheit, und B. reichte infolgedessen 18. April seine Entlassung ein. Er beteiligte sich jedoch noch ferner an öffentlichen Fragen, bekämpfte Gladstones afghan. Politik, erkrankte aber im Frühjahr 1881 und starb 19. April 1881. Er wurde an der Seite seiner Gemahlin auf seinem Landsitze Hughenden in Buckinghamshire bestattet; auf Antrag Gladstones beschloß das Parlament die Errichtung eines Denkmals in der Westminsterabtei. Das Monument in der Pfarrkirche von Hughenden wurde ihm von der Königin gewidmet. Die Peerswürde erlosch mit ihm, zum Erben seines Vermögens hatte er seinen Neffen Coningsby Disraeli eingesetzt.

In seinen spätern Jahren hatte B. noch schriftstellerischen Erfolg mit seinen Romanen «Lothair» (3 Bde., Lond. 1870) und «Endymion» (3 Bde., ebd. 1881; deutsch von Böttger, 3 Bde., Lpz. 1881) errungen. B. war mehr ein schlagfertiger Wortkämpfer als ein kunstvoller Redner. Seinen Bewunderern ist er ein wahrhaft großer Staatsmann, seinen Gegnern nur ein höchst geschickter