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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Besitz

nis dauert, übt der Eigentümer als juristischer Besitzer den B. durch diese Stellvertreter als die natürlichen Besitzer, Inhaber oder Detentoren aus.

Aber auch solche Personen, welche die Sache von dem Eigentümer erhalten haben, um sie vorbehältlich der Rechte des Eigentümers zu eigenem Vorteil zu gebrauchen und dann nach Ablauf einer gewissen Zeit, vielleicht erst nach ihrem Tode, an den Eigentümer oder dessen Erben zurückgelangen zu lassen, wie Pächter, Mieter und Nießbräucher, sind nicht Besitzer der Sache. Denn der Pächter und der Nießbräucher wollen sich das Grundstück, welches sie bewirtschaften, nicht aneignen, als ob es ihnen gehörte. Die von ihnen gezogenen Früchte aber dürfen sie nach ihrer Rechtsstellung sich aneignen: sie und nicht der Verpächter besitzen die geernteten Früchte. Das Preuß. Landrecht nennt diese Klasse von Inhabern unvollständige Besitzer im Gegensatz zum vollständigen Besitzer, welcher durch sie besitzt. Natürlich kann der unvollständige Besitzer wieder seine Nutzung durch einen Inhaber ausüben, wie wenn der Gutspächter nach der Stadt zieht und das Pachtgut durch einen Inspektor für sich verwalten läßt, so daß der Eigentümer durch zwei Stellvertreter, welche untereinander stehen, den B. ausübt.

Es kann aber auch jemand den Besitzwillen haben, ohne Eigentümer zu sein. Zunächst der, welcher irrig glaubt, Eigentümer geworden zu sein. Der Verkäufer läßt dem Käufer das richtige Grundstück auf, übergiebt ihm aber an Ort und Stelle aus Verwechseln ein anderes Grundstück als das veräußerte. Hier ist der Käufer Besitzer des übergebenen Grundstücks geworden, und zwar redlicher Besitzer, aber nicht Eigentümer. Und er ist Eigentümer des aufgelassenen und auf ihn überschriebenen Grundstücks geworden, aber nicht Besitzer. Aber auch bevor ihm der eingetragene Eigentümer das zur Erfüllung des Kaufs übergebene Grundstück aufgelassen hat, ist der Käufer Besitzer dieses Grundstücks geworden, wenn schon mit dem Bewußtsein, daß er noch nicht Eigentum erworben habe. Und, wenn der Käufer im ersten Fall den Irrtum seines Verkäufers merkte, aber arglistigerweise das ihm übergebene bessere Grundstück in B. nahm, um es für sich als ihm gehörig zu nutzen, so ist er zwar unredlicher Besitzer, welcher weiß, daß er nicht Eigentümer ist und nicht Eigentümer werden sollte; aber er ist Besitzer. Er übt dieselbe Verfügungsgewalt über das Grundstück wie sonst der besitzende Eigentümer; er kann sie selbst üben oder durch Stellvertreter; er kann das von ihm besessene, wiewohl ihm nicht gehörige Grundstück thatsächlich verwalten lassen oder verpachten oder zum Nießbrauch geben. In Bezug auf den B. sind dann dieselben Verhältnisse begründet, wie wenn der besitzende Eigentümer verwalten liehe oder verpachtet hätte.

Der Besitzer, auch der unredliche, darf sich gegen gewaltsame Angriffe mit Gewalt verteidigen, das Österr. Gesetzbuch setzt vorsichtig hinzu: "wenn die Hilfe des Staates zu spät kommen würde", und das Preußische: "wenn sie zu spät kommen würde, einen unersetzlichen Verlust abzuwenden". Dasselbe darf der Inhaber zu eigenem Vorteil im eigenen Interesse auch gegen die unberechtigten Angriffe des Besitzers, von welchem er die Sache überkommen hat; und der, welcher die Sache lediglich im Interesse des Besitzers innehat, gegen Angriffe Dritter in dessen Interesse. Inhaber und Besitzer dürfen Notwehr (s. d.) üben.

Der Besitzer, er sei nun Eigentümer oder nicht, er sei redlicher oder unredlicher Besitzer, wird aber auch gegen Störungen von dem Richter geschützt. In seiner Klage hat er nur darzulegen, daß er Besitzer sei; und wenn ihm der B. gewaltsam entzogen ist, hat er den Anspruch, wieder in den B. eingesetzt zu werden. (S. Besitzklagen.) Selbst der Eigentümer darf gegen den besitzenden Nichteigentümer keine Selbsthilfe (s. d.) üben. Er muß, wenn ihm der B. nicht vom derzeitigen Besitzer fehlerhaft entzogen ist, so daß er gegen diesen die Besitzklage anstrengen kann, die Eigentumsklage erheben. In diesem Prozeß muß er aber sein Recht beweisen; daß der Besitzer selbst kein Recht hat, nützt ihm, dem Kläger, nichts. Beweist der Kläger sein eigenes Recht nicht, so wird er abgewiesen. Erstreitet er aber sein Recht, so hat nun auch der unredliche Besitzer entsprechend zu büßen. (S. Eigentumsklage.)

Andererseits wird der Besitzer nur geschützt, solange er besitzt, und nur gegen den, welcher ihm fehlerhaft den B. entzogen hat. Verliert er auf andere Weise den B., so kann er nicht, wie der Eigentümer, gegen den klagen, in dessen Hand er den B. findet. Gegen den Dritten überhaupt nicht, wenn dieser sich nicht einer Besitzverletzung gegen den Kläger schuldig gemacht hat.

So ist der B. zwar kein Recht, aber ein thatsächlicher Zustand, welcher um seiner selbst willen eines zwar nicht unbeschränkten, aber doch weitreichenden rechtlichen Schutzes genießt. Das ist eine unentbehrliche Ergänzung jeder Privatrechtsordnung. Denn diese geht von dem in dem menschlichen Freiheitsbedürfnis gegründeten Satze aus, daß die Obrigkeit nicht von Amts wegen darauf hält, daß jedem Eigentümer seine Sachen, wenn sie verschleppt oder aus seinem Besitze gebracht sind, wieder zugeführt werden. Das wäre auch gar nicht ausführbar, solange man nicht jeder Sache auf eine untrügliche Weise ansieht, wem sie gehört. Dies aber ist selbst bei Grundstücken und bei der vollkommensten Grundbuchordnung nicht möglich, da auch hier Abweichungen des thatsächlichen Besitzstandes von dem grundbuchmäßigen Eigentum vorkommen. Das Österr. Gesetzbuch hat einen auf das Grundbuch basierten Tabularbesitz eingeführt; aber auch dort hat man sich davon überzeugt, daß man dem thatsächlichen B. seine Anerkennung auch für die Grundstücke nicht entziehen kann. Der Eigentümer muß also seine Rechte begründen und beweisen.

Solange aber der Eigentümer seine Rechte nicht geltend machen will oder nicht geltend machen kann, und solange die Sache nicht wieder in seinen B. zurückgekehrt ist, muß der Rechtsfrieden durch Aufrechthaltung des bestehenden Zustandes geschützt werden. Und das geht wieder nicht bloß mit amtlichem, polizeilichem Einschreiten. Der Besitzer selbst muß bei Besitzstörungen klagen, und dazu muß er klagen können. Darin liegt die Rechtfertigung, daß dem B. ein rechtlicher Schutz zuteil wird.

Macht aber der Eigentümer seine Rechte überhaupt nicht geltend, so wird zuletzt aus dem B. Recht, wenigstens aus dem redlich erworbenen B., der auch schon vorher in einer dem Eigentum ähnlichen Weise geschützt wird (s. Ersitzung und Bona fides). Dem Rechte gleich steht der unvordenkliche B. (s. Unvordenklichkeit).

So stellt sich der Sachbesitz als eine Vorstufe zum Eigentum dar, mit welchem er mehrfache Ähnlichkeiten hat. Wie das Eigentum können auch