Schnellsuche:

Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

934

Bewegung

Haus steht fest, es ist in Ruhe im Vergleich zu dem umgebenden Boden, zu den benachbarten Bäumen, Felsen, Bergen u. s. w. Aber das Haus ist nicht in absoluter Ruhe, denn es teilt mit der ganzen Erdoberfläche die tägliche Umdrehung um die Erdachse und durchläuft mit der Erde die Bahn, die dieselbe um die Sonne beschreibt; und auch diese steht nicht still, wie überhaupt im ganzen Weltall kein Körper zu finden ist, von dem man behaupten könnte, daß er in absoluter Ruhe wäre. (Vgl. L. Lange, Die geschichtliche Entwicklung des Bewegungsbegriffes, Lpz. 1887.) - Es ist nun die Aufgabe der Mechanik (s. d.), die mannigfaltigen B. der Körper zu untersuchen und die Beziehungen festzustellen, die zwischen diesen B. selbst und ihren Ursachen, den wirkenden Kräften, bestehen. Die B. der Körper ist aber im allgemeinen eine sehr verwickelte, da gewöhnlich jeder Punkt eines bewegten Körpers eine besondere und besonders gestaltete Bahn beschreibt, wie dies schon der einfache Fall einer rollenden Kugel zeigt. Die Mechanik geht daher, um sich ihre Aufgabe zu erleichtern, von dem Studium der B. eines einzigen Punktes aus. Denselben denkt man sich, um ihn der Wirkung von Kräften zugänglich zu machen, mit Körpermaterie oder Masse begabt und findet als Grundbeziehung zwischen einer auf die Masse in dieses sog. materiellen Punktes wirkenden Kraft P und der erzeugten Beschleunigung (s. d.), deren Größe φ sei, das einfache Gesetz: P = m·φ; in Worten: Kraft gleich Masse mal Beschleunigung. Dieses Gesetz, welches auch das Gesetz vom Beharrungsvermögen (s. d.) enthält, ist der Ausgangspunkt für alle weitern rechnerischen Untersuchungen. - Die B. des materiellen Punktes ist geradlinig, wenn die wirkende Kraft ihre Richtung beibehält, krummlinig, wenn sich dieselbe ändert, z. B. wenn weitere anders gerichtete Kräfte auf ihn zu wirken beginnen. Eine geradlinige B. wird gleichförmig, sobald die Kraft aufhört zu wirken, denn alsdann hört nach obiger Gleichung auch die Beschleunigung auf, die Geschwindigkeit (s. d.) wird konstant. Wirkt eine konstante Kraft (wie z. B. die Schwerkraft), so ist auch die Beschleunigung konstant, die B. heißt dann gleichmäßig beschleunigt, wie bei einem freifallenden Körper; wirkt eine solche konstante Kraft der ursprünglichen Bewegungsrichtung entgegen, wie z. B. die Schwerkraft bei einem senkrecht nach oben geworfenen Körper, so heißt die B. gleichmäßig verzögert. Im allgemeinen ist die B. eines Punktes bekannt, wenn man erstens die Gestalt seiner Bahn kennt und zweitens weiß, welche Geschwindigkeit er in jedem Punkte dieser Bahn besitzt. Wird der materielle Punkt durch nichts gehindert, der Wirkung der Kräfte zu folgen, so heißt seine B. Eine freie, schreibt man ihm jedoch eine bestimmte Bahn vor, so ist seine B. eine unfreie oder gezwungene. Frei bewegen sich alle Himmelskörper, unfrei ein Eisenbahnzug, die Teile einer Maschine u. s. w.

Geht man nun zur freien B. eines festen Körpers, d. h. eines ganzen Systems von starr miteinander verbundenen materiellen Punkten über, so erkennt man, daß sich die einzelnen Massenteilchen, da sie fest miteinander verknüpft sind, in ihrer B. Gegenseitig beeinflussen; ferner beobachtet man an freibewegten Körpern sowohl fortschreitende als drehende B. oder Rotation (s. d.), wie bei fast allen Himmelskörpern. Diese verwickelten Verhältnisse werden mit Hilfe des D'Alembertschen Princips (s. d.) in höchst eleganter Weise geklärt, indem man zu folgendem wichtigen Satze gelangt: Die freie B. Eines starren Körpers geschieht so, als ob seine ganze Masse in dem Schwerpunkt (s. d.) vereinigt sei und dieser sich als materieller Punkt unter dem Einfluß der wirkenden Kräfte frei bewege. Jede dabei vorkommende drehende B. des Körpers geht so vor sich, daß in jedem Augenblick die Drehachse, mag sie fest oder veränderlich sein, durch den Schwerpunkt geht. - Bei der gezwungenen B., bei der dem Körper die Bahn vorgeschrieben wird, ist zu bemerken, daß er auf diese Bahn einen Druck, Bahndruck, ausübt, der um so größer ist, je mehr die vorgeschriebene Bahn von derjenigen abweicht, die der Körper einschlagen würde, wenn er ungehindert der Wirkung der Kräfte Folge leisten könnte. - Über die B. bei flüssigen und gasförmigen Körpern, bei denen die einzelnen Teilchen nicht fest miteinander verbunden sind, s. Hydraulik und Aerodynamik. - Besonders zu betrachtende B. sind die Kreiselbewegung (s. d.), Pendelbewegung (s. Pendel), Wellenbewegung (s. d.), Centralbewegung (s. d.).

Die Gesetze der in der Natur vorkommenden B. waren den Alten unbekannt, deren mechan. Kenntnisse sich auf die wenigen von Archimedes erkannten und bewiesenen Sätze der Statik (Hebel, Schwerpunkt und Gewichtsverlust von in Flüssigkeiten untergetauchten Körpern) beschränkten. Eine wissenschaftliche Übersicht der Bewegungsgesetze giebt Maxwell, Substanz und B. (2. Aufl., Braunschw. 1881). Weitere Litteratur s. Mechanik.

Die B. lebender Organismen ist ein Akt der das Wesen des Lebens ausmachenden Selbstthätigkeit (oder Selbstregierung) und als solche eine Haupteigenschaft des Lebens, und zwar insbesondere des tierischen. Bei den Tieren gilt sie zugleich als das wesentliche Kriterium des Lebens, indem man alle Körper, bei welcher sie nicht konstatiert werden kann, als tot ansieht. An und für sich ist freilich keine bestimmte Grenze zwischen der Molekularbewegung infolge der Zersetzung des toten Körpers und der Molekularbewegung der Ernährung zu ziehen, sowie diese wieder, bei Beteiligung größerer Gruppen von Elementarteilen, in sichtbare B. übergeht. Übrigens ist diese letztere eine Eigenschaft der organischen Substanz selbst, des Zelleninhalts, und existiert als solche auch bei den niedrigsten Organismen, wo, soweit wir wissen, keine Spur von Scheidung von Organen vorhanden ist. Die formlose Substanz der niedersten Organismen (Protisten) und der Zelleninhalt der höhern, Pflanzen wie Tiere, ist ursprünglich kontraktil. Aber bei den höhern Tieren, wo die Arbeitsteilung der Organteile weiter vorgeschritten ist, erfolgt die organische B., sowohl die ortsverändernde des ganzen Körpers und einzelner Glieder, als die innere, den Umlauf der Ernährungs- und Bildungssäfte u. s.w. bedingende B., z. B. des Herzens und der Gedärme, größtenteils durch Zusammenziehungen gewisser kontraktiler Fasern, welche Muskelfasern (s. Muskeln) genannt werden. Nur die weißen Blutkörperchen und die Samentierchen zeigen bei den höhern Tieren nebst den Flimmerepithelien selbständige B. Bei niedern Tieren (namentlich bei Seeschwämmen) ist dieselbe häufiger und treten sog. Wanderzellen oder amöboide Zellen im Körpergewebe auf.

Den Anstoß zu der B. giebt in dem lebenden höhern tierischen Organismus das Nervensystem,