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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Bibliothekswissenschaft

allmählich ein eigenes System, das Magazinsystem, ausgebildet. Der erste Anfang hierzu wurde beim Bau der Münchener Hofbibliothek (1832-43) gemacht, bei dem die Anwendung von Galerien den Gebrauch der Leitern zur Erreichung der obern Bücherreihen überflüssig macht. Weitere Fortschritte in den Magazinsystemen, namentlich durch hohe Seitenbeleuchtung und sparsamste Raumverwendung zeigten die Bauten des Britischen Museums (s. d.) in London (1827-47), sowie der Ste. Geneviève (1843-50) und der Nationalbibliothek zu Paris. Die höchste Vollendung hat gegenwärtig das System wohl im Bau der Kongreßbibliothek zu Washington (1888) erfahren, in der sich das Magazin strahlenförmig um einen achteckigen Lesesaal gruppiert. In allen diesen Bauten bildet das Büchermagazin von der Sohle bis zur Decke des obersten Geschosses freie Hohlräume, in denen die eisernen Büchergerüste derart angeordnet sind, daß sie zugleich als Stützen des Daches dienen. In senkrechten Abständen von etwa 2,5 m, so daß auch die obersten Bücherreihen der Gestelle vom Fußboden aus erreicht werden können, sind die Gerüste horizontal geteilt durch eiserne, an den Gerüstpfosten befestigte Decken, deren Fußboden aus durchbrochenen Gußeisenplatten besteht. Die Büchergestelle laufen senkrecht zu den Längswänden in Abständen von 1 m und sind von einem Mittelgang durchschnitten. Die Querbretter der Büchergestelle sind durch eiserne Stellzapfen verstellbar und bilden nach oben zu kleiner werdende Gefache, damit die Bücher nach drei Formaten gesondert aufgestellt werden können, die größeren (Folio) unten, die kleinern (Quart und Oktav) oben, und zwar empfehlen sich der Raumersparnis halber als Maße für die lichte Höhe der Gefache bei Oktav 25 cm, Quart 35 cm, Folio 45 cm; für die Tiefe der Gestelle bei Oktav 20 cm, Quart 30 cm, Folio 40 cm; für die Weite der Gestelle 1 m. Die Galerien stehen unter sich durch Eisentreppen in Verbindung, die Bücherbeförderung wird durch Aufzüge bewirkt, die Beleuchtung durch eine Verbindung von Oberlicht mit zweiseitigem Seitenlicht. Die Geschoßhöhe entspricht der von drei Bücherrängen. Die Dächer sind massiv oder in Wellblech herzustellen, die Verwendung von hölzernen Konstruktionsteilen überhaupt möglichst auszuschließen. Zur Vermeidung der ungünstigen chem. Einflüsse, denen die Bücher durch feuchte oder zu trockne und warme oder verunreinigte Luft unterliegen, ist auf beständige Lufterneuerung innerhalb des ganzen Gebäudes Bedacht zu nehmen, was am besten durch Einrichtung von Luftheizung geschieht. Die Luftwärme darf in den Bücherräumen nicht unter 8° R. herabsinken. - Unter den Verwaltungsräumen sind zu nennen das Zimmer des Direktors, die Arbeitszimmer der Beamten, wo zumeist auch der bibliogr. Apparat und die Kataloge ihren Platz haben, sowie das Ausleihezimmer; notwendig sind weiterhin ein Zeitschriften- und womöglich ein Handschriftenzimmer und vor allem ein geräumiger, behaglicher Lese- und Arbeitssaal, in dem sich eine für die Leser bestimmte Handbibliothek befindet.

In neuerer Zeit sind alle großen Neubauten deutscher Bibliotheken nach dem Magazinsystem erfolgt, so die Universitätsbibliothek zu Wien, die Bibliotheken in Karlsruhe, Rostock (1871), Halle (1880), Greifswald (1881), Stuttgart (1883), Kiel (1884), Wolfenbüttel (1886), Leipzig (1888-91), sowie teilweise auch die Umbauten in Göttingen und Bonn (1890). Beim Leipziger Gebäude trat insofern eine Neuerung ein, als unter Beseitigung der hohen Hohlräume mit den zahlreichen, durch eiserne Roste hergestellten Geschossen niedrige doppelseitig beleuchtete Magazinsäle eingerichtet sind, wodurch ein sicherer Abschluß der Räume gegen Feuersgefahr erreicht und verhindert wird, daß Staub und Schmutz von Geschoß zu Geschoß durchdringt.

Was das Beamtenpersonal betrifft, so ist erst neuerdings, namentlich in Anregung einer kleinen Schrift von Klette (anonym, Lpz. 1871), die "Selbständigkeit des bibliothekarischen Berufes" allgemein anerkannt worden. Die Vorbildung des Bibliothekars muß in wissenschaftlicher Beziehung eine encyklopädische sein, wobei vor allem auf Erwerbung reicher Sprach-, Geschichts- und Litteraturkenntnisse zu sehen ist, und in technischer Beziehung teils durch theoretische Vorlesungen über B., für die jetzt an der Universität Göttingen ein eigener Lehrstuhl besteht (Professor Dziatzko), teils durch praktische Ausbildung an einer Bibliothek erreicht werden. Stets aber muß ein Fachstudium vorangegangen und die Befähigung zu selbständiger Forschung auf einem Specialgebiet dargethan sein; nur dann wird der Bibliothekar sich auch auf andern wissenschaftlichen Gebieten zurechtfinden und die litterar. Bewegung verfolgen können, während er ohne Einsicht in die Art und Wege wissenschaftlicher Forschung bloßer Registrator sein und der geistigen Verflachung und Halbbildung verfallen würde.

Bei Begründung des Bücherschatzes bestimmt der Zweck die Grenzen, innerhalb deren sich die Sammlung bewegen soll. Zweckdienlich ist hier die Erwerbung eines geeigneten schon bestehenden Büchervorrats, der die Grundlage der Bibliothek zu bilden hat, woran sich dann der weitere Zuwachs anschließt. Würdige Erwerbungen sind in erster Linie die wissenschaftlich wichtigen, worunter umfangreiche und kostspielige Serienwerke und Zeitschriften hervorzuheben sind, in zweiter die durch Entstehung, Schicksale, Material und Aussehen merkwürdigen, dann seltene Werke, wie Handschriften, alte Drucke, verbotene Bücher, Prachtwerke. Alle in den Besitz der Bibliothek gelangenden Bücher sind sogleich durch einen Stempel zu kennzeichnen, am besten auf der Rückseite des Titelblattes.

Sodann sind die Titel der Werke, jede Schrift auf einem eigenen Zettel, mit Voranstellung des Verfassernamens oder bei Anonymen eines sachlichen Ordnungs- oder Stichwortes, genau aufzunehmen, d. h. der Zettelkatalog ist herzustellen, der allen weitern Katalogisierungs arbeiten als Unterlage zu dienen hat. Demnächst ist der systematische oder wissenschaftliche (Real-)Katalog anzulegen, nach dem zugleich die Aufstellung der Bücher zu erfolgen hat, so daß ein besonderer Standortskatalog, wie er bisher vielfach üblich und nötig war, ganz entbehrt werden kann. Denn die Bibliothek soll in Katalog und Aufstellung die Entwicklung der Wissenschaften veranschaulichen und so ermöglichen, sämtliche auf einen bestimmten Gegenstand bezüglichen Werke schnell und sicher an einer Stelle beieinander zu finden. Seit dem Mittelalter sind die verschiedensten Systeme der Anordnung durchgeführt worden. Für die Ausarbeitung eines Systems hat die praktische Rücksicht auf den Zweck der Bibliothek, auf ihren Umfang und besondern Inhalt den Ausschlag zu geben. Je größer die Biblio-^[folgende Seite]