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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Burschenschaft

deutschen B. hervor, die sich über alle Hochschulen Deutschlands verbreiten sollte. Über deren Grundlagen einigte man sich schon Ende März 1818 auf einem zu Jena gehaltenen "Burschentage", an dem die Abgeordneten von neun Universitäten teilnahmen, indem Liebe zu Volk und Vaterland und Weckung und Erhaltung volkstümlicher Sitte als Grundgedanke dieser allgemeinen Vereinigung ausgesprochen wurde. Auf einem weitern Burschentage in Jena berieten und beschlossen Abgeordnete der B. von 14 Universitäten 18. Okt. 1818 die Konstitution der Allgemeinen deutschen B. als "der freien Vereinigung der gesamten wissenschaftlich auf der Hochschule sich bildenden deutschen Jugend zu einem Ganzen, gegründet auf das Verhältnis der deutschen Jugend zur werdenden Einheit des deutschen Volks", indem sie "Einheit, Freiheit und Gleichheit aller Bursche untereinander, Gleichheit aller Rechte und Pflichten, und christlich-deutsche Ausbildung einer jeden geistigen und leiblichen Kraft zum Dienste des Vaterlandes" als ihre Ziele und Grundsätze aufstellten. Die Leitung der Geschäfte wurde in die Hände einer einzelnen jährlich neu zu erwählenden B., für 1818 in die Hände der Jenaer, für 1819 in die der Berliner gelegt. Bis zum Frühjahr 1819 bestanden bereits B. auf fast allen deutschen Hochschulen. In mehrern B. bildeten sich engere Vereinigungen, und in diesen kleinern und abgeschlossenen Kreisen war es um so leichter möglich, daß sich bei einzelnen die polit. Aufregung bis zu einem gewissen Fanatismus steigerte. Nach der Ermordung Kotzebues durch Sand 23. März 1819 wurde, obgleich die B. an der Mordthat ihres ehemaligen Mitgliedes in keiner Weise beteiligt war, infolge der Karlsbader Beschlüsse vom Bundestage 20. Sept. 1819 die B. verboten und unterdrückt. Überall wurde sie aufgelöst; in Jena 26. Nov. 1819, wobei von der B. an ihren bisherigen Gönner und Schützer Großherzog Karl August als Ausdruck der Dankesgefühle und als Rechtfertigung vor der deutschen Geschichte eine Adresse beschlossen wurde und Binzers Lied "Wir hatten gebauet u. s. w." entstand. Auf fast allen deutschen Universitäten wurden weitläufige Untersuchungen wegen sog. demagogischer Umtriebe geführt. Aber schon ein Jahr nach Vollziehung der auf die Karlsbader Beschlüsse gegründeten Bundesbeschlüsse bildeten sich im stillen die frühern Verbindungen an vielen Orten wieder und nahmen nun erst, da sie nicht mehr öffentlich hervortreten durften, auf mehrern Hochschulen den Charakter geheimer und eigentlich polit. Verbindungen an. So entstand z. B. der Jünglingsbund (s. d.). Wiederholte Verbote und geschärfte Strafandrohungen hatten auch diesmal keinen Erfolg. Schon 1827 wurde ein neuer Verband der Allgemeinen deutschen B., mit dem Endziel der zu erstrebenden Einheit Deutschlands, ins Leben gerufen. Derselbe Gegensatz, der sich schon in der Entstehung der engern Vereine innerhalb der größern Verbindungen offenbart hatte, trat jetzt schärfer hervor. Während es der Partei der Arminen, mit ihren christlich-german. Ideen, zunächst nur um ideale Einheit des Vaterlandes und, als Mittel zum Zweck, um ihre eigene wissenschaftliche, sittliche und körperliche Ausbildung für den Dienst des Vaterlandes zu thun war, verfolgte die Partei der Germanen eine mehr praktisch-polit. Richtung im Sinne einer polit. Einigung Deutschlands. Der Streit zwischen beiden Parteien kam im Sept. 1827 auf dem Burschentage in Bamberg zur Sprache und bildete bis zu dem in Frankfurt im Sept. 1831 den Hauptgegenstand der Verhandlungen. Hier blieben wie auf spätern Burschentagen die Arminen in der Minderheit, wurden sogar zeitweilig mit Verruf belegt. Das Princip der B. war damit aufgegeben. In den unruhigen Jahren von 1830 ab nahmen B. an den Volksversammlungen, patriotischen Vereinen u. dgl. zahlreich teil, beteiligten sich am Hambacher Feste und endlich auch 1833 an dem Frankfurter Attentat (s. d.). Es wurde infolgedessen vom Bundestage durch Beschluß vom 20. Juni 1833 die sog. Centraluntersuchungsbehörde eingesetzt, auf allen deutschen Universitäten eine allgemeine strenge Untersuchung eingeleitet und viele Mitglieder der B. in den großen Kriminalprozeß mit hineingezogen. Im Laufe der nächsten Jahre ergingen in den einzelnen deutschen Staaten gegen Hunderte von Studenten Strafurteile, die vieljährige Zuchthaus- und Festungsstrafen, Verlust der Anstellungsfähigkeit u. s. w., ja sogar in einigen Fällen die Todesstrafe verhängten. Diese wurde allerdings nicht vollzogen, sondern in Freiheitsstrafen verwandelt; aber erst die in Preußen 1840 erteilte vollständige Amnestie gab endlich auch den dort am härtesten Betroffenen die Freiheit zurück. Trotz aller Unterdrückungsmaßregeln der Regierungen und des Bundestags bestand aber die B. im geheimen fort. In der Bewegung von 1848 trat die B. und überhaupt die Studentenschaft wenig hervor; eine Versammlung von etwa 1500 Studierenden von 16 Hochschulen faßte im Juni 1848 zu Eisenach Resolutionen über Umgestaltung der Universitäten und ließ sie der deutschen Nationalversammlung in Frankfurt durch eine Deputation überreichen. Nur die Universität zu Wien hat an den Ereignissen von 1848 in größerm Umfange teilgenommen (s. Akademische Legion). Seit dem Sturze des Metternichschen Systems dürfen auf allen deutschen Hochschulen, wie die studentischen Verbindungen überhaupt, so auch die burschenschaftlichen offen und frei sich regen und entfalten.

Für die polit. Ziele der heutigen B. sind die Jahre 1866 und 1870 nicht ohne Einwirkung geblieben. In der durch Herstellung des Deutschen Reichs erlangten polit. Einheit ist die eine Seite der alten burschenschaftlichen Bestrebungen erfüllt. Es scheint aber auch der alte burschenschaftliche Geist verschwunden zu sein, was vielleicht eine Folge des Umstandes ist, daß die einzelnen B. nicht wie die Korps einen ununterbrochenen Bestand hatten; denn von den 50 jetzt bestehenden B. datiert nur eine auf 1817 zurück, 2 auf das Jahrzehnt 1830-40, 12 auf das 1840-50, 11 auf das 1850-60 und 9 auf das 1860-70. Mit der Zeit entwickelte sich neben der germanistischen und arministischen Richtung noch eine dritte, die teutonistische, die zum landsmannschaftlichen Wesen neigte, ohne die burschenschaftlichen Principien mehr aufzugeben als die andern Richtungen. Nach mehrfachen vergeblichen Versuchen, die deutschen B. zu vereinigen, gelang es 20. Jan. 1870, die sog. Eisenacher Konvention zu gründen, nach deren Auflösung (1872) 10. Nov. 1874 in Eisenach der noch jetzt bestehende A. D. C., d. h. der Allgemeine Deputierten-Konvent, gegründet wurde, der allerdings erst 20. Juli 1881 von allen B. anerkannt ward. Eine innerhalb des A. D. C.-Verbandes bestehende enge Vereinigung, das sog. Süddeutsche Kartell, bilden die B. Alemannia in Heidelberg, Germania