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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Schlagworte auf dieser Seite: Centralisationssystem; Centralismus; Centralkasseanweisungen; Central-Labor-Union

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Centralisationssystem – Central-Labour-Union

gegen kann man von einer decentralisierten Rechtspflege heutzutage nicht sprechen: das System der letztern im modernen Staate ist trotz der Gliederung der Gerichte und des Instanzenzuges unbedingt centralisiert, denn der Begriff Decentralisation setzt Selbständigkeit des betreffenden Organs voraus.

Die C. tritt in Deutschland zuerst im Gegensatze zur feudalen Zersplitterung und ihren Nachwirkungen resp. Überresten zu Tage. Zu diesen gehört das sog. Provinzialsystem für die Landesverwaltung, nach welchem nicht nur jeder Teil des Gesamtgebietes sein eigenes öffentliches Recht und, wenn überhaupt, seine eigenen Landstände, sondern auch seine eigene Verwaltung hatte und die Einheit des Ganzen nur in wenigen Fällen zur rechtlichen Geltung kam, vielmehr thatsächlich nur auf der Person des Staatsoberhauptes beruhte; das war z. B. das Verwaltungssystem Friedrichs d. Gr. Unter solchen Umständen konnte jener Partikularismus, der, auf die althergebrachte Selbständigkeit pochend, der organischen Verbindung zu und mit einem größern Ganzen widerstrebte, dem Gedanken der Staatseinheit siegreichen Widerstand leisten, übrigens war nach dem Provinzialsystem die Verwaltung jedes einzelnen Landesteils für sich mehr centralisiert, als dies nach dem modernen Centralisationssystem möglich ist, während dem staatlichen Ganzen gegenüber das Provinzialsystem, trotz verschiedener, im Interesse der Einheit allmählich durchgeführter Modifikationen, einen für die Dauer nicht haltbaren Grad der Decentralisation bezeichnet. Sowie nun infolge dessen die Einheit der Verwaltung nach dem Realsystem, d. h. nach Centralisierung verschiedener Verwaltungsressorts, angestrebt und nach und nach durchgeführt wurde (in Preußen geschah dies erst durch die große Steinsche Reformgesetzgebung), so schien die Besorgnis vor den Gegnern dieser Einheit die Vernichtung aller Selbständigkeit der Teile, von den Provinzen an durch alle Arten von Lokalgemeinden hindurch und bis zur individuellen Freiheit herab, wenigstens der Staatsverwaltung und ihren Organen gegenüber, zu fordern. So entstand in manchen Ländern der centralisierte Polizeistaat, insbesondere in Österreich und Frankreich im Laufe des 17. und 18. Jahrh., d. i. die polizeiliche Kontrolle und Leitung des gesamten Lebens, und, als der prägnanteste Ausdruck dieser Richtung, der absolute Fürstenstaat (s. Absolutismus) mit dem Princip «der Staat bin ich» samt seiner herrschenden Bureaukratie. Bei der Stärke dieser Richtung, welche sich zu ihrer Rechtfertigung an die antike, namentlich röm. Staats- und Fürstenidee, sowie an die Autorität der Bibel und Kirche anlehnte, mußten die autonomen Gebilde des Mittelalters entweder vollständig eingehen oder doch zur gänzlichen Ohmnacht abgeschwächt werden.

Die Beseitigung der feudalen Privilegien, die Aufhebung der weit ausgedehnten Autonomie der Gemeinden und Korporationen, die Unterwerfung der grundherrlichen und ständischen Gewalten unter die Staatsgewalt bildet das Hauptmoment der Ausbildung des modernen Staates. Je früher und energischer dieser staatliche Umwandlungsprozeß sich vollzog, desto straffer wurde die Staatsthätigkeit centralisiert; in Frankreich viel früher und in viel größerm Umfange als in Deutschland. Die Französische Revolution namentlich that sich durch rücksichtslose Beseitigung der noch vorhandenen Reste provinzialer und kommunaler Selbständigkeit und gutsherrlicher Verwaltungsbefugnisse hervor, und erst nach der völligen Durchführung des konstitutionellen Systems begann man in Frankreich ein Verständnis dafür zu gewinnen, daß eine zu weit getriebene C. der Verwaltung Gefahren und Übelstände im Gefolge habe. Doch ist bis zur Stunde die franz. Verwaltung in hohem Grade centralisiert. In Deutschland wurde die C. nicht annähernd so streng durchgeführt wie in Frankreich. Die Schwäche des Reichs und die Vielzahl der deutschen Territorien hatte in dieser Beziehung, neben manchen Nachteilen, auch ihre guten Seiten. An Stelle der in Deutschland nie ganz überhörten Proteste gegen die Übergriffe der C. trat allmählich eine Klärung der Meinungen, wonach man es zwar aufgab, auf früher überwundene Standpunkte zurückzukommen, aber doch auch, selbst von seiten der Fürsten und ihrer Regierungen, die Notwendigkeit einsah, ein anderes System einzuführen, nämlich unter Erhaltung der politischen C. administrativ zu decentralisieren.

Die namentlich seit dem Sturze Napoleons Ⅰ. und der Gründung des Deutschen Bundes nicht ohne Einfluß franz. und engl. Muster eingeführten Repräsentativverfassungen mit verantwortlichen Ressortministern, die genaue Bestimmung der Grenzen der Staatsgewalt, insbesondere der administrativen, unter Wahrung der polit. und bürgerlichen Freiheitsrechte, die Aufnahme des Laienelements in den Dienst der Verwaltung, die Schonung geschichtlich begründeter und noch lebensfähiger, nicht staatsgefährlicher Partikularitäten, die Überlassung der Autonomie an die Gemeinden in ihren rein lokalen Angelegenheiten, der Aufbau der ganzen Verwaltung des Staates auf den natürlichen Gliederungen des Territoriums und die Abwälzung einer größern Anzahl wichtiger Gegenstände zur Selbstverwaltung auf jene Gliederungen (vgl. die neuen Gemeinde-, Armen-, Schulgesetze, die preuß. Kreis- und Provinzialordnung u. s. w.), endlich die Überweisung der administrativ-streitigen Sachen an besondere Verwaltungsgerichtshöfe: das waren die hauptsächlichsten Mittel, die nach und nach, in mehr oder minder vollkommener Form, die Übel eines unnatürlichen Centralisationssystems zu heben bestimmt erscheinen, ohne daß sie die Aufgabe haben können, eine die Einheit und Kraft des Staates beeinträchtigende Decentralisation zur Geltung kommen zu lassen. Die Hauptschwierigkeit liegt darin, diejenigen Angelegenheiten, welche eine selbständige und darum auch verschiedenartige Behandlung und Erledigung seitens lokaler Behörden vertragen, ohne daß dadurch die Einheit und Kraft des Staates gefährdet und allgemeine Interessen verletzt werden, herauszuheben und sie in geeigneter Weise dezentralisiert verwalten zu lassen. (S. auch Centralverwaltung und Gemeinde.)

Vgl. Gneist, Verwaltung, Justiz, Rechtsweg u. s. w. (Berl. 1869); ders., Der Rechtsstaat (ebd. 1872; 2. Aufl. 1879).

Centralisationssystem, s. Centralisation, Kaserne und Krankenhaus.

Centralismus, das System der Centralisation (s. d.); Centralist, Anhänger des C.

Centralkasseanweisungen, s. Anticipation.

Central-Labor-Union (spr. ßénträll lehb’r juhnĭon), die Vereinigung der Gewerkschaftsvereine und Zweigvereine des Ordens der Knights of labor (s. d.) in Neuyork, welche sich organisiert hat, um dahin zu wirken, daß aus ihrer Mitte Leute zu den Municipal-, Staats- und Bundesämtern gewählt werden.

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